Modellstadt für Mobilität „Ein bisschen gespenstisch“

Peter Tschentscher Quelle: dpa

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher will die Hansestadt zur Modellstadt für Mobilität machen. Ein Gespräch über Fehler der Verkehrspolitik, Rezepte gegen Staus und seine Spritztour mit einem autonom fahrenden Auto.

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WirtschaftsWoche: Herr Bürgermeister, vor kurzem haben Sie eine Spritztour mit einem autonom fahrenden Auto gemacht. Wie war’s?
Das war interessant – aber auch ein bisschen gespenstisch. Ich habe das Lenkrad, das Gaspedal, die Bremse losgelassen. Dann fuhr das Auto selbstständig durch den engen Großstadtverkehr, mit 50 km/h. Ich habe gedacht: Hoffentlich nimmt er die Kurve richtig. Wenn ich das Gefühl hatte, dass das Auto anderen Fahrzeugen zu nahekam, habe ich das Lenkrad wieder in die Hand genommen. Mein Eindruck ist, dass da schon noch ein paar weitere Algorithmen entstehen müssen, bis wir alle autonom fahren können.

Die Teststrecke, auf der Sie autonom unterwegs waren, ist ein Projekt für den Weltkongress für intelligente Verkehrssysteme und -services (ITS), den Hamburg im Jahr 2021 ausrichten wird. Warum soll ausgerechnet Hamburg eine weltweite Modellstadt für Mobilität sein?
Wir wollen zeigen, dass man den Verkehr auch in einer sehr verdichteten und wirtschaftsstarken Stadt gut organisieren kann – klimaneutral, komfortabel, sicher. Je größer so eine Metropole wird, umso intelligenter muss man Verkehrsanforderungen erfüllen. Hamburg hat im Unterschied zu reinen Wohnstädten neben dem Personen- auch einen starken Wirtschaftsverkehr. Wir haben aber auch die Wirtschaftskraft, die Wissenschaft und die Innovationsbereitschaft, um die Mobilität der Zukunft zu entwickeln.

Oppositionspolitiker bezeichnen die Projekte als PR für den beginnenden Wahlkampf.
Die Projekte sind sehr sinnvoll, der Nutzen für die Stadt ist groß. Wir wollen, dass man in Hamburg überall innerhalb von fünf Minuten ein Angebot des öffentlichen Nahverkehrs erreichen kann. Da sind Projekte wie ein autonom fahrender Bus, der in einem ITS-Projekt getestet wird, sehr hilfreich. Das alles ist langfristig angelegt. Wir haben den ITS-Weltkongress 2021 nach langer Zeit wieder nach Europa geholt und sollten alle gemeinsam darauf achten, dass wir bei der Digitalisierung gegenüber Asien nicht weiter abgehängt werden.

Welche Fehler hat Hamburg in seiner Verkehrspolitik in den vergangenen Jahrzehnten gemacht?
Die Verkehrspolitik war zu lange allein auf das Auto ausgerichtet. Unser bisheriges U- und S-Bahnnetz ist im Wesentlichen vor 100 Jahren gebaut worden – seitdem ist fast nichts passiert. Wir haben mit Beginn des SPD-geführten Senats im Jahr 2011 begonnen, das U- und S-Bahnsystem wieder als das leistungsfähigste aller Verkehrsträger zu verstehen. Die Mobilität ist neben dem Wohnungsbau das zweite große Thema, von dem die Wirtschaftskraft und die Lebensqualität in einer Stadt wie Hamburg abhängen. Nachdem wir den Wohnungsbau in Hamburg wieder ins Laufen gebracht haben, kümmern wir uns in den kommenden zehn Jahre mit demselben Nachdruck um die Verbesserung der Mobilität.

Sie wollen neue U-Bahnen bauen. Eine Straßenbahn könnte man zeitnaher und günstiger errichten.
Eine Stadtbahn ist nur unwesentlich leistungsfähiger als ein gut funktionierendes Bussystem und benötigt viel Platz im öffentlichen Raum. Eine U-Bahn ist dagegen sehr viel leistungsfähiger und verläuft unterirdisch. Bei der Planung einer Stadtbahn ist ein früherer Senat an allen Ecken und Enden an wütenden Bürgerprotesten gescheitert. Straßenbahnen sind laut, brauchen viel Platz und zerschneiden den öffentlichen Raum. Deswegen bauen wir lieber neue U-Bahnen.

Das Thema Verkehr wird in Umfragen in Hamburg teilweise als das wichtigste angesehen. Die Befragten sagen dann, dass die Verkehrssituation schlechter geworden ist. Stimmt das?
Es gibt auch andere Studien. In einer aktuellen Untersuchung wurde festgestellt, dass ein schlechter Tag in Hamburg einem normalen Tag in München entspricht. Grundsätzlich nehmen die Stauprobleme mit der Größe der Stadt zu, weil immer noch ein zu großer Anteil der Wege mit dem Auto zurückgelegt wird.

Was ist Ihr Rezept gegen Staus?
Es gibt einen Zielkonflikt: Auf der einen Seite müssen wir Straßen und Brücken sanieren, Leitungen verlegen und ein neues Fernwärmenetz bauen. Auf der anderen Seite soll der Verkehr fließen. Wir lösen diesen Konflikt, in dem wir die Baustellen umfassender koordinieren, also auch die kleinen Baustellen mit einbeziehen. Und wir wollen alle Unternehmen, die im Straßenraum arbeiten, über eine digitale Plattform vernetzen. Damit können alle Arbeiten in einer Straße, die in den kommenden Jahren geplant sind, frühzeitig koordiniert und in einer Baustelle zusammengelegt werden. Das verringert die Kosten und die Zahl der Baustellen.

Hamburg schneidet mit seinem öffentlichen Nahverkehrsanbieter HVV im Vergleich zu Städten wie Berlin, München, Düsseldorf schlechter ab. Anderswo nutzt man lieber Bus und Bahn. Die Preise sind hoch, die Tarifstruktur kompliziert. Wie kann man das ändern?
Der Anteil von Bussen und Bahnen am Gesamtverkehrsaufkommen ist in Hamburg in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Diesen Weg setzen wir fort, indem wir massiv in den Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs investieren und die Tarife schrittweise günstiger machen. Wir beginnen mit den Ticketpreisen für die weniger zahlungskräftigen Kunden - Schüler, Auszubildende und Senioren –, die wir dieses Jahr gar nicht erhöht haben. Darüber hinaus möchte ich Schülerinnen und Schüler im Laufe der nächsten Jahre schrittweise vollständig von den ÖPNV-Kosten befreien.

Können Sie eigentlich die neuen Möglichkeiten der Mobilität auch privat mal ausprobieren?
Wenn ich zu offiziellen Terminen unterwegs bin, eher nicht. Aber privat nutze ich alle Verkehrsmittel, gerne auch die Alternativen zum Auto, also Fahrrad, Bus und Bahn.

Ärgert es Sie, dass die Wut über den Verkehr nur an der SPD hängen bleibt – und nicht an den Grünen, die auch mitregieren?
Nein, die Leute verstehen ja, dass wir die Stadt in Ordnung bringen müssen und nicht zaubern können. Und trotzdem ist es in dem Moment, in dem man im Stau steht, immer ärgerlich. Aber wir müssen den Sanierungsstau aus den früheren Jahren abarbeiten und kommen gut voran.

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