Wolfgang Ischinger ist so etwas wie der Fleisch gewordene Optimist. Der Mann trat einst seinen Dienst als deutscher Botschafter in Washington Tage vor den Anschlägen am 11. September 2001 an, unermüdlich warb er danach um Verständigung. Und als sich kurz darauf die deutsche Regierung und George W. Bush dennoch zum Krieg im Irak überwarfen, hielt Ischinger hinter den Kulissen die Gesprächskanäle offen.
Die Akteure im Syrien-Konflikt
Anhänger von Präsident Baschar al-Assad kontrollieren weiter die meisten großen Städte wie Damaskus, Homs, Teile Aleppos sowie den Küstenstreifen. Syriens Armee hat im langen Krieg sehr gelitten, konnte aber infolge der russischen Luftunterstützung seit September 2015 wieder Landgewinne verzeichnen. Machthaber Assad lehnt einen Rücktritt ab.
Die Terrormiliz beherrscht im Norden und Osten riesige Gebiete, die allerdings meist nur spärlich besiedelt sind. Durch alliierte Luftschläge und kurdische Milizen mussten die Islamisten im Norden Syriens mehrere Niederlagen einstecken. Unter der Herrschaft der Miliz, die auch im Irak große Gebiete kontrolliert, verbleibt die inoffizielle Hauptstadt Raqqa, die bedeutende Versorgungsstrecke entlang des Euphrat und ein kleiner Grenzübergang zur Türkei. Offiziell lehnen alle lokalen und internationalen Akteure den IS ab.
Sie sind vor allem im Nordwesten und Süden Syriens stark. Ihr Spektrum reicht von moderaten Gruppen, die vom Westen unterstützt werden, bis zu radikalen Islamisten.
Die zu Beginn des Kriegs bedeutende Freie Syrische Armee (FSA) hat stark an Einfluss verloren. Sie kämpft vor allem gegen Diktator Assad.
In der „Islamischen Front“ haben sich islamistische Rebellengruppen zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist der Sturz Assads und die Errichtung eines „Islamischen Staates“ – die gleichnamige Terrormiliz lehnen sie jedoch ab. Sie werden von Saudi-Arabien unterstützt und sind ideologisch mit al-Qaida zu vergleichen. Militärisch untersteht ihr auch die „Dschaisch al-Fatah“, die von der Türkei unterstützt wird. Teilweise kooperieren sie mit der al-Nusra-Front, Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida.
Sie ist zersplittert. Das wichtigste Oppositionsbündnis ist die Syrische Nationalkoalition in Istanbul. Diese wird von zahlreichen Staaten als legitim anerkannt, von vielen lokalen Akteuren wie al-Nusra oder der kurdischen PYD jedoch abgelehnt.
In Damaskus sitzen zudem Oppositionsparteien, die vom Regime geduldet werden. Bei einer Konferenz in Riad einigten sich verschiedenen Gruppen auf die Bildung eines Hohen Komitees für Verhandlungen, dem aber einige prominente Vertreter der Opposition nicht angehören.
Kurdische Streitkräfte kontrollieren mittlerweile den größten Teil der Grenze zur Türkei: Sie sind ein wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen den IS.
Dabei kämpfen sie teilweise mit Rebellen zusammen, kooperieren aber auch mit dem Regime. Führende Kraft sind die „Volksverteidigungseinheiten“ YPG der Kurden-Partei PYD, inoffizieller Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK. Diese streben einen eigenen kurdischen Staat an – die Türkei lehnt das vehement ab.
Washington führt den Kampf gegen den IS an der Spitze einer internationalen Koalition. Kampfjets fliegen täglich Angriffe. Beteiligt sind unter anderem Frankreich und Großbritannien. Deutschland stellt sechs Tornados für Aufklärungsflüge über Syrien, ein Flugzeug zur Luftbetankung sowie die Fregatte „Augsburg“, die im Persischen Golf einen Flugzeugträger schützt. Washington unterstützt moderate Regimegegner.
Die Türkei setzt sich für den Sturz Assads ein und unterstützt seit langem Rebellengruppen wie die islamistische Dschaisch al-Fatah. Neben der Sicherung ihrer 900 Kilometer langen Grenze ist die Türkei seit August 2016 auch mit Bodentruppen in Syrien vertreten. Ziel ist neben der Vergeltung für Terroranschläge des IS auch, ein geeintes Kurdengebiet im Norden Syriens zu verhindern.
Der Abschuss eines russischen Flugzeugs über türkischem Luftraum im November 2015 führte zu Spannungen zwischen Russland und der Türkei.
Seit September 2015 fliegt auch Russlands Luftwaffe Angriffe in Syrien. Moskau ist einer der wichtigsten Unterstützer des syrischen Regimes: Rebellenorganisationen werden pauschal als „Terroristen“ bezeichnet und aus der Luft bekämpft. Der Kampf gegen islamistische Rebellen soll auch ein Zeichen an Separatisten im eigenen Land senden.
Geostrategisch möchte Russland seinen Zugriff auf den Mittelmeerhafen Tartus nicht verlieren.
Teheran ist der treueste Unterstützer des Assad-Regimes, auch aus konfessionellen Gründen. Iraner kämpfen an der Seite der syrischen Soldaten. Die von Teheran finanzierte Schiitenmiliz Hisbollah ist ebenfalls in Syrien im Einsatz. Sie fürchten die Unterdrückung der schiitischen Minderheit im Falle eines Sieges sunnitischer Rebellen, aber auch den Verlust von regionalem Einfluss.
Riad ist ein wichtiger Unterstützer vornehmlich islamistischer Rebellen. Sie fordern, dass Assad abtritt. Saudi-Arabien geht es auch darum, den iranischen Einfluss zurückzudrängen. Der Iran ist der saudische Erzrivale im Nahen Osten.
Trotz religiöser Ähnlichkeiten zwischen IS und dem saudischen Wahabismus engagiert sich Saudi-Arabien im Kampf gegen den IS.
Aber nun steht Ischinger, mittlerweile Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, auf der Bühne im Bayerischen Hof und er klingt nicht einfach vorsichtig, sondern offen besorgt. Er zitiert den legendären Diplomaten Richard Holbrooke, verstorben vor einigen Jahren, der vom europäischen Amerika und dem amerikanischen Europa geschrieben hat, jener unerlässlichen Partnerschaft. Aber Ischinger ist sich schlicht nicht mehr sicher, ob diese Botschaft noch gilt in diesen Tagen, da der neue US-Präsident Donald Trump die Beistandspflichten der NATO als Verhandlungsmasse eines „Deals“ zu definieren scheint. Ob die USA nach wie vor dieser unerlässliche Partner ist? „Manche Aussagen von Donald Trump lassen daran zweifeln“, sagt Ischinger.
In der Tat. Zwar sind auch bei dieser Sicherheitskonferenz wieder Spitzen der US-Regierung versammelt, etwa Vizepräsident Mike Pence (der am Samstag mit Kanzlerin Angela Merkel sprechen wird) – oder Verteidigungsminister James Mattis. Der hält kurz nach Ischinger eine kurze Ansprache und bemüht sich, einige Sätze einzustreuen, die als Beruhigungspillen an die aufgeregten und „ungeduldigen“ (Ischinger) Europäer wirken sollen – etwa, dass Artikel 5 des NATO-Vertrages, der eine gegenseitige Beistandspflicht vorsieht, nach wie vor ein „bedrock“ der Allianz sei. Dass es sich beim Bündnis mit den Europäern um eine „essentielle Partnerschaft“ handele.
Mattis vermeidet auch, erneut ausführlich auf jene Kostendebatte einzugehen, die die Schlagzeilen der vergangenen Tage beherrscht hatte. Da hatte Mattis – in dem Punkt ganz in Übereinkunft mit Trump – Amerikas Partner, auch Deutschland, nämlich dringend an die Verpflichtung der Nato-Mitglieder erinnert, mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts für die Verteidigung auszugeben (in Deutschland sind es derzeit rund 1,2 Prozent, Tendenz allerdings steigend).
Die Forderungen hatten eine heftige Debatte ausgelöst – auch wenn Mattis durchaus Unterstützung aus der deutschen Politik erhielt. Norbert Röttgen etwa, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, favorisierte in der WirtschaftsWoche gar ein Ziel von drei Prozent – so viel sollen die deutschen Haushaltsposten für Sicherheit, wirtschaftliche Entwicklung, Diplomatie und humanitäre Hilfe insgesamt ausmachen. Bislang liegen sie zusammen bei rund zwei Prozent. „Es ist politisch notwendig und fiskalisch möglich, ab dem Haushalt 2018 den Verteidigungsetat Jahr für Jahr um 0,1 Prozent des BIP zu erhöhen, rund drei Milliarden Euro jährlich“, sagte Röttgen.
Zerstrittene EU-Mitgliedsstaaten
Auch Verteidigungsminister Ursula von der Leyen (CDU) hatte auf die Vorschläge erwidert, mit „verlässlichen Schritten“ das Zwei-Prozent-Ziel erreichen zu wollen. Dennoch wuchs auch in ihrem Umfeld die Sorge vor einer anderer Schlussfolgerung: dass nur wer zähle, weiter uneingeschränkt auf amerikanischen Schutz hoffen dürfe.
Dass das keine Grundlage für einen transatlantischen „Deal“ ist, daran ließ von der Leyen bei ihrem starken Auftritt in München keinen Zweifel. Zwar betonte sie, die Europäer würden sich nicht länger „wegducken“ können. Es sei unerlässlich, dass diese mehr für die Verteidigung ausgeben würden.
Sie machte auch klar, kein Verständnis dafür zu haben, dass die Europäer aus Angst vor der Trump-Regierung die eigene Selbstfindung vernachlässigten – so zerstritten wirken die EU-Mitgliedsstaaten derzeit, dass manche ihrer Vertreter nicht einmal auf demselben Panel sitzen wollten, was man sonst eher von Vertretern aus Israel und Palästina kennt.
Aber von der Leyen betonte zugleich, was eben NICHT verhandelbar sei. Dass es sich etwa bei NATO-Solidarität um keinen schlichten Deal handele, der vom besten Preis abhänge. Und: dass das Verteidigungsbündnis eben auch eine Wertegemeinschaft sei, nicht bloß eine Interessenvertretung. Zu diesen Werten gehörte das Folterverbot ebenso wie die Achtung für internationales Recht. An dieser Stelle erschallte, zum einzigen Mal in dieser ersten Sitzung der Konferenz, sogar Beifall im Saal.
Von der Leyen beendete ihre Rede mit einem kurzen Satz, wenige Worte nur lang, doch äußerst symbolträchtig. „Eine Nation, die sicher sein will, braucht Freunde“, sagte die Bundesverteidigungsministerin. Von Präsident Trump ist bekannt, dass er nicht gerne lange Memos liest. Es würde reichen, wenn ihm seine Minister diesen Satz als Zusammenfassung aus München übermittelten.