Nach 21-Stunden-Sitzung Deutschland soll spätestens 2038 aus der Kohle aussteigen

Autos fahren auf einer Straße zum Braunkohlekraftwerk Niederaußem. Quelle: dpa

Das Konzept der Kohlekommission steht. 2038 soll das letzte Kraftwerk vom Netz. Einstimmig war das Ergebnis nicht – aber fast. Jetzt ist die Bundesregierung am Zug.

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Deutschland will nach den Atomkraftwerken auch seine Kohlemeiler früher abschalten. Die Kohlekommission der Regierung verständigte sich nach über 20-stündigem Ringen am Samstagmorgen auf ein Aus für das letzte Kraftwerk bis spätestens 2038, wie aus dem Abschlussbericht hervorgeht, der Reuters am Samstagmorgen in Auszügen vorlag. Es gab nur eine Gegenstimme in dem 28-köpfigen Gremium. Die betroffenen Regionen und Länder sollen bis 2040 mindestens 40 Milliarden Euro erhalten, um die Folgen für die betroffenen Braunkohlegebiete im Rheinland und in Ostdeutschland abzufedern. Als Entlastung für den erwarteten Strompreis-Anstieg soll es ab 2023 nach derzeitigem Stand jährlich etwa zwei Milliarden Euro für Unternehmen und Privathaushalte geben. Die Kraftwerksbetreiber können ebenfalls auf Entschädigungen hoffen. Zudem sprach sich die Kommission für den Erhalt des Hambacher Forstes aus, die umstrittene Rodung für die Braunkohleförderung will sie dort verhindern.

Die Kommission mit Vertretern von Industrie, Gewerkschaften, Wissenschaft und Umweltverbänden sollte für den Klimaschutz einen Weg aus der Kohle weisen, mit der mit mehr als 100 Meilern immer noch fast 40 Prozent des Stroms in Deutschland produziert wird. Ziel des Beschlusses ist ein gesellschaftlicher Konsens, den die Bundesregierung dann umsetzen muss.

Die Hauptgeschäftsführerin des Verbandes Kommunaler Unternehmen, Katherina Reiche, sprach von einer guten Grundlage zur Beendigung der Kohleverstromung. Zentrale Punkte seien auch Zukunftsperspektiven und neue Arbeitsplätze in den Revieren. „Wir richten die Erwartung an die Bundesregierung, die Empfehlung der Kommission umzusetzen“, sagte Reiche, die selbst Mitglied des Gremiums ist.

Der Ausstieg aus der klimaschädlichen Verstromung von Kohle könnte der Empfehlung zufolge auch schon 2035 geschehen. Dies soll aber im Lichte des Klimawandels und auch der Versorgungssicherheit erst im Jahr 2032 entschieden werden. Schon innerhalb der nächsten vier Jahre schlägt die Kommission das Aus für Anlagen mit einer Leistung von über zwölf Gigawatt vor, was rechnerisch etwa 24 größeren Kohleblöcken entspricht.
Braunkohlekraftwerke sollen bis dahin zunächst nur im Westen vom Netz, was auch Auswirkungen auf den Tagebau dort hat. Die umstrittene Rodung des Hambacher Forsts für die Braunkohleförderung will die Kommission verhindern: „Die Kommission hält es für wünschenswert, dass der Hambacher Forst erhalten bleibt“, heißt es. Der Hambacher Forst ist zum Symbol des Widerstands gegen die Kohle geworden.

2030 wird die Kraftwerksleistung der Kohlemeiler dem Beschluss zufolge dann auf 17 Gigawatt Braun- und Steinkohle mehr als halbiert. Damit kann der Energiesektor dann auch die Klimaziele der Regierung erreichen.

Die Energiekonzerne wie RWE oder Uniper können auf umfangreiche Entschädigungen hoffen: „Die Kommission empfiehlt, zur Umsetzung eine einvernehmliche Vereinbarung auf vertraglicher Grundlage mit den Betreibern im Hinblick auf die Stilllegungen zu erzielen.“ Profitieren kann davon auch das Großkraftwerk Datteln von Uniper, das noch im Bau ist, aber nicht mehr ans Netz soll. Summen werden nicht genannt, allerdings werden frühere Regelungen nahegelegt, bei denen Kraftwerke auf Druck der Regierung in eine Reserve verlegt wurden. Damals wurden dafür etwa 600 Millionen Euro pro Gigawatt bezahlt.

Vor der entscheidenden Sitzung der Kommission zum Kohlausstieg machen sich Klimaschützer und Entschädigungsprofiteure stark. Wenn sie sich einigen, dürfte das zu Lasten eines Dritten gehen: des Steuerzahlers.
von Ferdinand Knauß

Großverbraucher der Industrie sollen entlastet werden

Die Kommission geht davon aus, dass die Strompreise in den kommenden Jahren steigen werden, da auch das letzte AKW im Jahr 2022 vom Netz geht. „Es ist ein Ausgleich zu schaffen, der Unternehmen und private Haushalte vom Strompreisanstieg entlastet, der durch die politisch beschleunigte Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung entsteht“, heißt es daher im Bericht. Aus heutiger Sicht sollten dafür rund zwei Milliarden Euro pro Jahr aufgebracht werden. Die Summe wird aber erst 2023 genau festgelegt werden. Großverbraucher der Industrie sollen zudem wie bisher von den Zusatzkosten für den Klimaschutz durch die CO2-Verschmutzungsrechte entlastet werden, die den Strompreis treiben.

Nach dem Willen der Kommission werden Entlastungen und Entschädigungen nicht auf den Strompreis umgelegt.

Milliardenschwere Strukturhilfen

Mit milliardenschweren Hilfen aus dem Bundeshaushalt können zudem die besonders betroffenen Bundesländer und Regionen rechnen, also vor allem das Rheinland und ostdeutsche Gebiete. Kündigungen bei den noch rund 25.000 Beschäftigten in Kraftwerken und Tagebauen will die Kommission ausschließen. Für Strukturhilfen, neue Verkehrsprojekte und die Ansiedlung von wissenschaftlichen Einrichtungen als Ausgleich will der Bund über 20 Jahre insgesamt 40 Milliarden Euro zur Verfügung stellen.

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