Nach dem Urteil zu Diesel-Fahrverboten Warum sich Autobanken auf eine Klagewelle einstellen können

Der Anteil an Dieselfahrzeugen bei den abgemeldeten Autos auf diesem Stuttgarter Hof steigt rasant. Quelle: dpa

Nach dem Diesel-Urteil könnten viele Autobesitzer den „Widerrufsjoker“ ziehen: Finden sie Fehler im Darlehensvertrag, muss der Kaufvertrag rückabgewickelt werden.

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Als der Vorsitzende Richter des Bundesverwaltungsgerichts am Dienstag noch mitten in seiner Urteilsbegründung zu den Diesel-Fahrverboten steckte, da boten bereits findige Rechtsanwälte im Internet mit Verweis auf die Entscheidung den betroffenen Autobesitzern eine „kostenlose Erstprüfung“ der Kauf- und Kreditverträge ihrer Dreckschleudern an. Werbewirksam verwiesen die Juristen auf den „Diesel-Widerrufsjoker“.

Tatsächlich kann dieser Joker nicht erst seit dem Urteil, dass Diesel-Fahrverbote für bessere Luft in Städten grundsätzlich zulässig sind, gezogen werden. Schon seit dem Beginn des Diesel-Skandals werben Anwälte dafür, dass sich Betroffene mit dem Widerrufsrecht von den unliebsam gewordenen Fahrzeugen trennen können. Durch die drohenden Fahrverbote dürfte dieser Kniff nun neue Aufmerksamkeit erhalten. Die Chance: Wer sein Diesel-Fahrzeug über einen Kredit bei einer Autobank, also etwa der VW Bank, der Audi Bank oder der Mercedes Bank finanziert hat, kann prüfen lassen, ob im Vertrag Formfehler stecken. Das Prinzip ist schon von Immobilienverträgen bekannt.

Sind bestimmte Angaben unvollständig oder enthält die Widerrufsbelehrung Fehler, dann kann der Darlehensnehmer auch nach Ablauf der üblichen 14-tägigen Frist seinen Vertrag widerrufen. Es besteht ein „ewiges Widerrufsrecht“. „Der Gesetzgeber hat die Informationspflichten so kompliziert geregelt, dass nahezu keine Bank es geschafft hat, alles richtig zu machen“, schreibt etwa Rechtsanwalt Stefan Schweers in seinem Online-Rechtstipp. „Hier wirkt sich also der Hang zur Bürokratie einmal zugunsten des Verbrauchers aus.“

Finden sich Formfehler und der Darlehensvertrag wird wiederrufen, muss auch der Kaufvertrag rückabgewickelt werden. Der Käufer kann sein Fahrzeug zurückgeben und erhält dann Anzahlung und Raten zurück. Allerdings könnte eine Entschädigung für die Nutzung des Autos fällig werden. Betroffen sind nach dem 10. Juni 2010 abgeschlossene Kredit- und Leasingverträge aller großen Autobanken. Bei Verträgen, die nach dem 13. Juni 2014 unterzeichnet wurden, vertreten Rechtsexperten sogar die Ansicht, dass nicht einmal ein Ausgleich für den Werteverlust fällig wird. Es ist aber fraglich, ob die Richter diese Auffassung teilen.

Autobanken können sich auf Klagewelle einstellen

Durch den Diesel-Skandal gibt es bereits vier wegweisende Urteile zum Widerruf von Autokrediten. Rechtskräftig ist allerdings noch keines. Das Landgericht Arnsberg urteilte gegen die VW Bank (Aktenzeichen 2 O 45/17), der Käufer konnte den Wagen zurückgeben, musste allerdings einen Werteersatz leisten.

Vor dem Landgericht Berlin ging ein Fall ähnlich aus (Aktenzeichen 4 O 150/16). Hier versuchte die VW Bank ein Urteil zu umgehen, indem sie dem Autobesitzer das Fahrzeug einfach schenken wollte. Der Käufer ging darauf jedoch nicht ein. In der Berufung soll nun geklärt werden, ob eine Nutzungsentschädigung gezahlt werden muss. Das Landgericht Ellwangen (Aktenzeichen 4 O 232/17) und das Landgericht München I (Aktenzeichen 29 O 14138/17) bestätigten ebenfalls den Widerruf von Autokrediten und die Rückabwicklung des Autokaufs.

Drei der vier Urteile erstritt Rechtsanwalt Christoph Lehnen. Nach eigenen Angaben führt er derzeit  „mehrere Hundert Prozesse“ gegen alle namhaften Autobanken, insbesondere für Dieselfahrer. Bundesweit vertritt er demnach über 2500 Mandanten. „Angesichts der drohenden Fahrverbote in 70 deutschen Städten bietet der Widerruf Verbrauchern mehr denn je einen geschickten Ausweg aus der unverschuldeten Diesel-Falle“, meint er.

Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer, die das Urteil vor dem Landgericht Arnsberg erstritten hat, gibt an, mehr als 100 Gerichtsverfahren gegen verschiedene Autobanken wegen des Widerrufs von Autokrediten zu führen. 3000 Verbraucher wurden demnach bereits beraten und vertreten.

Die Stiftung Warentest hat eine Liste von Anwälten veröffentlich, die glaubwürdig versichert haben, Mandate zu Verträgen mit Autobanken erfolgreich bearbeitet zu haben. Häufig kommt es zu einem Vergleich mit der Autobank und einer Verschwiegenheitsverpflichtung. Darum sind viele Fälle gar nicht bekannt. Verbraucherschützer raten Diesel-Besitzern, Rechtsbeistand zu suchen, weil die Verträge sehr kompliziert seien. Der Rechtsstreit könne zudem Jahre dauern.

Vor allem, so raten Juristen, muss genau überlegt werden, ob am Ende doch eine Nutzungsentschädigung für die vom Auto zurückgelegten Kilometer fällig werden könnte. Denn liegt der Kaufpreis abzüglich der Entschädigung unter dem Wert des Autos als Gebrauchtwagen, rechnet sich der Widerruf nicht.

Laut MDR hat die VW Bank dem Vorwurf widersprochen, dass Kreditverträge zuhauf fehlerhaft seien. Das hätten auch Urteile der Landgerichte Braunschweig, Frankfurt und Stuttgart bestätigt.

Nichtsdestotrotz können sich die Autobanken angesichts der drohenden Fahrverbote und des andauernden Diesel-Skandals wohl auf eine Klagewelle einstellen. Nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamtes gibt es derzeit hierzulande mehr als 15 Millionen Diesel-Pkw. Auto-Experten gehen davon aus, dass die Hälfte aller Autokäufe auf Kredit finanziert werden.

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