Nach den Landtagswahlen Die AfD entzaubern – aber wie?

Hätten Union, SPD, Grüne und Co. die AfD nicht dämonisiert, wäre ihr Erfolg nicht möglich gewesen. Wie die AfD die Parteienlandschaft verändert und wie Politik, Journalisten und Bürger mit der Partei umgehen sollten.

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Politik des Protests: Etliche Wahlplakate der Alternative für Deutschland zeigten

Beatrix von Storch hätte den Sieg ihrer Partei am Sonntag vor einem Millionenpublikum im Ersten Deutschen Fernsehen genüsslich auskosten können. Die AfD-Vizechefin hätte gegen Flüchtlinge oder gegen den Islam polemisieren können. Von Storch ist jene AfD-Spitzenpolitikerin, die meint, Polizisten sollten im Zweifel auf Flüchtlinge schießen – auch auf Kinder.

Kurz vor der Wahl war zudem bekannt geworden, dass sie Islamkritik zum Schwerpunkt im künftigen AfD-Grundsatzprogramm machen will.

Von Storch hat bei „Anne Will“ aber nicht gegen Flüchtlinge oder den Islam gehetzt. Im Gegenteil: Als die AfD von einem Grünen als „NPD für Besserverdienende“ und ihre Mitglieder als „Rassisten im Schafspelz“ bezeichnet wurde, sagte von Storch seelenruhig: „Die Anfeindungen helfen uns nur.“ Die AfD sei wegen dieser „Arroganz der Macht“ im Parteiensystem angekommen.

Tatsächlich sind die etablierten Parteien maßgeblich für den Aufstieg der AfD verantwortlich. Das wohl peinlichste Bild in den vergangenen Wochen gaben ausgerechnet Winfried Kretschmann (Grüne), Malu Dreyer (SPD) und Julia Klöckner (CDU) ab. Aus Angst vor der neuen Vitalität der „Rechtspopulisten“ lehnten Kretschmann und Dreyer eine Fernsehdiskussion mit den AfD-Kandidaten kurz vor den Wahlen ab - und bescheinigten der AfD damit, eine buchstäblich unerhörte politische Kraft zu sein.

AfD gelingt die Aktivierung von Nichtwählern

Führende Bundespolitiker wie Wolfgang Schäuble (CDU), Sigmar Gabriel (SPD) oder CDU-General Peter Tauber fanden zudem Vokabeln wie „Dumpfbacke“, „Pack“ und „Arschloch“ angemessen, um intellektuelle Hungerleider zu beschimpfen. Die Folge: Die „besorgten Bürger“ konnten nicht nur ihr narzisstisches Selbstbild stabilisieren. Sie konnten auch zunehmend das Argument für sich in Anspruch nehmen, was sie selbst als böse Unterstellung in Umlauf gebracht hatten: den Vorwurf, dass die Politik sich um die einfachen Leute weniger schere als um Migranten und Flüchtlinge.

Reaktionen aus den Ländern
Björn Höcke, AfD Quelle: REUTERS
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner: Quelle: dpa
Ralf Stegner, SPDSPD-Vize Ralf Stegner erwartet ungeachtet des schwachen Abschneidens bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt keine Diskussion über Parteichef Sigmar Gabriel. "Nein, kein Stück", sagte Stegner am Sonntag in der ARD. "Wir werden jetzt gemeinsam schauen, dass wir jetzt die nächsten Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin gut machen und im nächsten Jahr im Bund. Und der Rückenwind aus Mainz wird uns dabei helfen." In Rheinland-Pfalz sind die Sozialdemokraten stärkste Partei geworden. Zum Erfolg der rechtspopulistischen AfD sagte Stegner: "Die AfD hat mit Angstmacherei Punkte gemacht. Wir rücken nicht nach rechts." Quelle: dpa
Alexander Gauland, AfD Quelle: dpa
Sigmar Gabriel, SPD Quelle: REUTERS
Frauke Petry, AfD Quelle: AP
Katrin Budde, SPD Quelle: REUTERS

Union, SPD und Grüne haben – wenn überhaupt – erst nach der Wahl verstanden, dass viele AfD-Wähler Pauschalisierungen und Beschimpfungen mit Dankbarkeit auf sich beziehen, um mit der Kraft ihres (Selbst-)Hasses besser denn je dem Bild entsprechen zu können, das sich „das System“ ihrer Meinung nach von ihnen macht.

Die AfD hat diese Ablehnung der anderen geschickt in eine Aktivierung von Nichtwählern umgesetzt. Die „Alternative für Deutschland“  hat knapp 400.000 traditionelle Nicht-Wähler mobilisiert. Ein Großteil der Wähler stimmte dabei nicht mal aus inhaltlichen Gründen für die AfD. In Baden-Württemberg sagten 70 Prozent der Sympathisanten, sie hätten den etablierten Parteien aus Enttäuschung ihre Stimme verweigert. In Rheinland-Pfalz (62 Prozent) und Sachsen-Anhalt (64 Prozent) sind die Werte vergleichbar hoch.

Die AfD wird in den nächsten fünf Jahren zur deutschen Politik gehören, ob die etablierten Parteien, Journalisten oder Nicht-AfD-Wähler das nun gutheißen oder nicht. Die Re-Mobilisierung der bislang „Ausgeschlossenen“ schadet der Demokratie nicht.

Im Gegenteil: Die politische Stimmung im Land wird nun ehrlicher abgebildet. Das ist kein Grund zur Sorge, weil im Westen immer noch 85 Prozent der westdeutschen Wähler das Politikangebot von Union, SPD, Grünen, FDP und Linken für ausreichend differenziert halten.

Wie die AfD Politiker und Journalisten in die Falle lockte

Politikwissenschaftler Werner Patzelt von der TU Dresden empfiehlt den etablierten Parteien, die AfD nicht länger zu tabuisieren. „Sie sollten sich öffentlich und redlich mit den Argumenten der AfD auseinandersetzen.“ Es sei falsch, Problembeschreibungen der AfD abzutun, weil sie von der AfD kommen, und sie ernst zu nehmen, wenn Sozialdemokraten sie vorbrächten.

„Vernünftige Vorschläge sollten auch dann aufgegriffen werden, wenn sie von der AfD kommen. Ferner sollten Politiker der etablierten Parteien mit der AfD diskutieren und nicht davonlaufen“, sagt Patzelt.

Am gefährlichsten ist die Situation für die Unionsparteien. CSU-Parteichef Horst Seehofer sieht die Existenz der Union bereits gefährdet. So dramatisch mag die Lage zwar noch nicht sein. Dennoch hat der bayrische Ministerpräsident einen guten Punkt, glaubt auch Patzelt. „Wenn sich die AfD vernünftig aufstellt und Rechtsradikale ausschließt, kann sie zur neuen Heimat für enttäuschte CDU-Wähler werden. Dann stünde die CDU vor einem ähnlichen Problem wie die SPD, die zunächst von den Grünen und später von den Linken Konkurrenz bekommen hat.“

Parteien müssen Denkräume zurückerobern

Die AfD als Fleisch vom Fleische der CDU? Die Wählerwanderungen zeigen zwar, dass die Partei unter Führung von Frauke Petry aus allen politischen Lagern Wähler gewinnen konnte – auch von Sozialdemokraten, Linken und Grünen. Im politischen Koordinatensystem steht die AfD aber eindeutig rechts von der Union. Für rechtsextremistisch hält Patzelt die Partei gleichwohl nicht. „Die AfD ist keine NPD light.“

Wenn nicht rechtsextrem, dann zumindest rechtspopulistisch? Das Attribut steht der AfD zweifellos zu. Aber die anderen Parteien (und Journalisten) müssen Rechtspopulismus Argument für Argument, Beleg für Beleg, Zitat für Zitat, wieder und wieder nachweisen. Nur dann kann der fatalen Eindruck vermieden werden, nichts von dem, was ein AfD-Politiker sagt, könne richtig sein, nur weil ein AfD-Politiker es sagt. Tatsächlich sind viele Politiker und Journalisten in diese Falle gelaufen.

Es wird nun höchste Zeit, dass sich Union, SPD und Grüne mit Blick auf die prekäre politische Stimmung in Deutschland Denk- und Argumentationsräume zurückerobern – jenseits von Merkels Positivismus und jenseits einer formelhaft-taktischen oder dumm-denunziatorischen Auseinandersetzung mit der AfD.

Es wird Zeit, dass sie gewillt sind, die AfD argumentativ zu stellen. Dass sie die völkische Sprache und xenophoben Töne einiger ihrer Sprecher und Anhänger seziert („Das Überleben des eigenen Volkes sichern“, „1000 Jahre Deutschland“, „Das Schicksal des deutschen Volkes“ etc.).

Und dass sie deutlich macht, die anfallenden politischen Probleme, ganz im Gegensatz zur AfD, nicht nach Maßgabe von Ideologie und Opportunität behandeln zu wollen, sondern moralisch integer, jederzeit solide und sachorientiert.

Eine solche Politik, die sich selbst unbequem ist, weil sie das Demagogische ablehnt, das Taktische meidet und ins Faktische verliebt ist, muss sich vor den Wählern nicht angstvoll verstecken. Sie wüsste jederzeit 95 Prozent der Deutschen hinter sich.

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