Nach den Übergriffen von Köln

#Medienkrise

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Nichts beschönigen. Nichts weglassen. Einordnen.

Der völkisch gesinnte Dorffaschist, der beim Sonntagsfrühschoppen vor dreißig Jahren noch ganz allein an der Theke saß, um sein Ressentiment ins sechste Pils zu rülpsen, darf sich heute der Anerkennung aller Dorffaschisten Deutschlands erfreuen, die sich mit ihm rund um die Uhr zum Deutschland-Club der Dorffaschisten verbünden. Seine Meinung muss sich nicht mehr im argumentativen Wettstreit bewähren und sein „Argument“ kann so stumpf, hohl und leer sein, wie es will - der Dorffaschist von heute macht die beglückende Erfahrung, dass seine Meinung buchstäblich zählt (von Mitgliedern der Peer-Group geliked wird).

Was tun? Blöde Frage. Zurück zu den Fakten natürlich, auf den Tisch damit. Nichts beschönigen. Nichts aufrechnen. Nichts weglassen. Nichts relativieren. Zurück zu den Argumenten, auf den Tisch damit. Einordnen. Vergleichen. Kommentieren. Diskutieren. Mehr Fragen, weniger Antworten - und möglichst keine Ausrufezeichen. Zurück zu den Selbstverständlichkeiten auch. Sich mit nichts und niemandem gemein machen, mit keiner „schlechten“ Sache, mit keiner „guten“ Sache.

Sich selbst gegenüber wachsam bleiben, nein: sich stets verdächtig sein, das vor allem. Der Medienphilosoph Norbert Bolz hat vollkommen Recht, wenn er in einem bemerkenswerten Interview mit der WirtschaftsWoche sagt: „Wir leben in einem Land, in dem es so viel formale Freiheit gibt wie noch nie zuvor in der Geschichte“ - und zugleich „in einem derartigen Einschüchterungsklima, dass wir uns nicht mehr trauen, die einfachsten Sachverhalte naiv auszusprechen“.

Anders gesagt: Worauf es ankommt, ist nicht nur eine Entgiftung des öffentlichen Raumes, sondern auch seine erneute Öffnung. Der öffentliche Raum ist nicht nur in die Hände von Interessierten geraten, von Aktivisten und Propagandisten mit einer politischen Agenda. Sondern in ihm ist auch längst nicht mehr das Selbstverständliche selbstverständlich. Welchen Journalisten oder Facebooker das auch immer besorgt - er sollte sich weniger „Sorgen“ machen.

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