
Vom ersten Wahlsieg des Olaf Scholz im Jahr 2011 ist eine hübsche Anekdote überliefert. Frank Stauss, Mit-Inhaber der Werbeagentur Butter, hat sie in seinem Buch "Höllenritt Wahlkampf" aufgeschrieben. Scholz, damals noch Herausforderer, eroberte das Hamburger Rathaus vor vier Jahren mit einem Wahlergebnis von 48,4 Prozent, und danach rief Scholz seinen obersten Wahlkampf-Strategen auf dem Handy an. Stauss hatte sich, in Erwartung eines durchaus soliden Siegs, bereits in den Skiurlaub in die Dolomiten verabschiedet.
So steht die Wirtschaft in Hamburg da
Die rund 1,8 Millionen Einwohner erwirtschafteten 2013 ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von fast 98 Milliarden Euro. Das entspricht einem Anteil von 3,6 Prozent an der Wirtschaftsleistung Deutschlands. Damit lag die Elbmetropole im Mittelfeld. Das BIP pro Kopf von 53.600 Euro war jedoch das höchste aller Bundesländer. Grund ist die hohe Zahl an Arbeitsplätzen in Luftfahrt, Forschung, Internet und Medien sowie die Wertschöpfung des Hamburger Hafens.
Im ersten Halbjahr 2014 ist die Wirtschaft der Hansestadt um 0,7 Prozent gewachsen. Das war weniger als der Schnitt in Deutschland. Die Arbeitslosenquote lag im Januar 2015 mit 7,7 Prozent im Mittelfeld der Bundesländer.
Die Bruttowertschöpfung der Industrie lag 2013 bei 10,3 Milliarden Euro. Zum Vergleich: In Bremen waren es fünf Milliarden und in Berlin 8,9 Milliarden Euro. Die wichtigsten Branchen waren der Fahrzeugbau, der Maschinenbau, die Mineralölverarbeitung sowie die Nahrungsmittelindustrie und die Tabakverarbeitung mit einem Anteil von zusammen 65 Prozent. Größter Arbeitgeber ist die Luftfahrtindustrie mit Airbus und der Lufthansa.
Der öffentliche Gesamthaushalt der Hansestadt war zuletzt mit 25,1 Milliarden Euro verschuldet. Das entspricht rund 14.400 Euro je Einwohner. Damit war die Pro-Kopf-Verschuldung niedriger als in den beiden anderen Stadtstaaten Berlin und Bremen. Beim Länderfinanzausgleich gehört Hamburg wegen seiner Wirtschaftskraft zu den vier Geberländern.
Die 48 Prozent bedeuteten nun damals allerdings nicht nur die absolute Mehrheit, sondern eine rauschende Übernahme, es war ein Triumph über fast zehn Jahre CDU-Regierung in der Hansestadt. Scholz war in der entsprechenden Stimmung: aus dem Häuschen, euphorisiert, geradezu machttrunken. So hörte er sich dann auch an.
Na, fragt der Wahlsieger seinen Wahlkämpfer also trocken am Telefon, bist Du zufrieden?
So ist er, der Scholz. Und so schätzen ihn die Hamburger. Auch am gestrigen Wahlabend inszenierte der alte und neue Bürgermeister Hamburgs eine derart sagenhafte Sprödigkeit, dass man nur staunen konnte. Er freute sich sicher diebisch über das Ergebnis, aber er wusste es gut zu verstecken.
Die absolute Mehrheit hatte die SPD mit ihrem Amtsinhaber nicht verteidigen können, die 45,7 Prozent des Jahres 2015 sind für die leidgeprüften Sozialdemokraten insgesamt aber dennoch eine Labsal. Und Scholz ist nun der unwahrscheinliche Star, der neue Leitstern sozialdemokratischer Hoffnung, ein durchgenüchterter Politmanager-Pragmatismus auf zwei Beinen, neben dem der schillernde Sigmar Gabriel – der (noch) unangefochtene Parteivorsitzende – plötzlich aufpassen muss, nicht als Mann des Übergangs zu wirken.
Muss die SPD im Bund nicht aus Hamburg lernen? Und wenn ja, was? Ist Scholz womöglich ein guter Kanzlerkandidat? Und wenn ja, wann? Das sind die Fragen, die vor allem der Berliner Medien-Politik-Komplex jetzt mit Hochdruck durch die Kanäle spült.
Doch so weit ist es noch lange nicht. Scholz muss sich in Hamburg erstmal einen Koalitionspartner suchen, mit dem er weiter regieren kann. Und auch hier gilt: Das Interessanteste ist nicht das Wahrscheinlichste. Scholz sagt in der Koalitionsfrage genau das, was er im Wahlkampf seit Monaten als simplen Lieblingsspruch kultiviert hat: Wir halten, was wir versprechen - und wir tun, was wir sagen.
Die SPD wird in der Hansestadt also zuerst und ausführlich mit den Grünen verhandeln. Beide Seiten wissen um die programmatischen Vorlieben und roten Linien der jeweils anderen. Scholz wird deshalb keine Abstriche bei Wirtschaftsförderung oder Wohnungsbau akzeptieren, auch nicht bei der Elbvertiefung, die zu wollen für jeden Hamburger Bürgermeister alternativlos ist. Die Grünen werden Akzente beim öffentlichen Nahverkehr, in der Schul-und Universitätspolitik setzen, die Olympiabewerbung dürfte kontrovers diskutiert werden. Aber wenn die Grünen nicht überreizen, wird an Rot-Grün in Hamburg kein Weg vorbeigehen.
Katja Suding, die Frontfrau der wiederbelebten FDP, hat zwar gleich am Tag nach der Wahl zum wiederholten Male ihre tatkräftige Hilfe angeboten, Scholz zum Bürgermeister zu wählen ("Wenn der Bürgermeister anruft, dann werde ich rangehen"), aber eine sozial-liberale Koalition hat trotzdem kaum Chancen.
Nicht nur deshalb, weil Scholz gerne sagt, sozial-liberal sei er schon selbst. Sondern vor allem, weil er sich in den vergangenen Jahren als Ministerpräsident eine einflussreiche Rolle in der Bundespolitik erarbeitet hat, die er erhalten möchte. Scholz liebt den Einfluss, er schätzt Macht über die Maßen, und beides wäre bei einer Koalition mit Suding dahin. Hamburg wäre das einzige rot-gelb regierte Bundesland. Statt in der Phalanx SPD-geführter Länder (samt grüner Beteiligungen) über den Bundesrat das große Rad zu drehen, müsste Scholz ständig mit einer FDP rechnen, die mit Einsprüchen Stöcker in die Speichen schmeißt. Der profilierte Bundespolitiker Scholz müsste sich ständig mit einem Koalitionspartner herumschlagen, der sich selbst bundespolitisch profilieren muss.
Ganz Hamburger wird Scholz diese Option nur ziehen, wenn es gar nicht anders geht. Ansonsten wird hanseatisch gelten: Tut das not? Nee.