Nach GroKo-Einigung Außenminister Gabriel rechnet mit SPD-Führung ab

Außenminister Sigmar Gabriel prangert mit deutlichen Worten den „respektlosen Umgang“ in der SPD an. Gekränkt sagte er noch anstehende Termine ab.

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In der SPD-Spitze knirscht es gewaltig. Quelle: dpa

Berlin Nach der schwierigen Einigung von Union und SPD auf einen neuen Koalitionsvertrag wächst in ihren Reihen Unmut über zentrale Vereinbarungen. Vom Wirtschaftsflügel der Union kam heftige Kritik an der Vergabe des Finanzministeriums an die SPD. Die Jusos bekräftigten ihre generellen Vorbehalte und setzen weiter auf einen Stopp der großen Koalition beim anstehenden SPD-Mitgliederentscheid. Die künftige Opposition kritisierte die GroKo als viel zu unambitioniert.

Der Wirtschaftsflügel der Union kritisiert den Verlust des Finanzressorts an die SPD massiv. Der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung von CDU und CSU, Carsten Linnemann, sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Ressortaufteilung gehe „mitten ins Mark“ der CDU. „Für unsere Partei könnte sich der 7. Februar 2018 als Zäsur herausstellen, als Anfang vom Ende der Volkspartei CDU.“ Die Partei laufe Gefahr, ihre Überzeugungen in der Europa- und Haushaltspolitik aufzugeben. „Die CDU war in diesen Themen immer Garant für Solidität. Das ist jetzt infrage gestellt.“

Auch der CDU-Mittelstandspolitiker Christian von Stetten kritisierte den Kabinettszuschnitt. „Gerade das Finanzministerium abzugeben, wird bei den CDU-Mitgliedern nicht gerade für Begeisterungsstürme sorgen“, sagte er in der ARD. Der Präsident des CDU-nahen Wirtschaftsrats, Werner Bahlsen, sagte der dpa: „Dadurch, dass die SPD das Schlüsselressort Finanzen erhält, winkt ein Ende solider Haushaltspolitik.“ Der Chef der Jungen Union, Paul Ziemiak, rief die CDU daher zu Wachsamkeit auf, „wenn es um generationengerechte Politik und stabile Haushaltspolitik geht“.

Führende CDU-Politiker wiesen Kritik an der Ressortverteilung zurück. „Floskeln wie „Da hat sich die Union über den Tisch ziehen lassen“, das ist mir zu einfach“, sagte CDU-Vize Julia Klöckner dem Sender „hr-Info“. Die CDU habe nach Jahrzehnten das Wirtschaftsministerium wiederbekommen. „Wir haben eine ganze Reihe wichtiger Ministerien“, sagte der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU). Zwar sei die Abgabe des Finanzministeriums an die SPD schmerzlich gewesen, dafür erhalte die CDU aber das Wirtschaftsministerium. „Das war am Ende ein Kompromiss, den will ich nicht schöner reden, als er ist.“

CSU-Chef Horst Seehofer verteidigte den schwarz-roten Vertrag am Donnerstag als ein gutes Werk. „Wir haben viel Gutes für die Leute vorgesehen - das ist ja die Hauptzielsetzung.“ Als Beispiele nannte er den Wohnungsbau, die Senkung des Solidaritätszuschlags oder die Grundrente. Die CSU habe zudem „manches verhindert“, etwa die von der SPD geforderte Bürgerversicherung. Beim Familiennachzug von Flüchtlingen habe man „eine sehr akzeptable Lösung zwischen Humanität und Begrenzung“ gefunden. Als erste der drei Parteien billigte am Donnerstag die CSU den schwarz-roten Koalitionsvertrag und machte seitens der CSU den Weg für eine neue Bundesregierung frei.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte den Abschluss der Koalitionsverhandlungen als wichtigen Schritt. „Ich weiß, dass man im Ausland und vor allem in Europa auf den Abschluss der Regierungsbildung wartet“, sagte er bei einem Besuch in Südkorea. „Und deshalb denke ich, wir sind zumindest einen Schritt weiter.“

Union und SPD hatten sich am Mittwoch auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Neben Inhalten verständigten sich die Parteien auf die Verteilung der Ministerien. Die SPD, die bei der Bundestagswahl nur 20,5 Prozent erhalten hatte, soll 6 der 15 Ressorts bekommen. SPD-Chef Martin Schulz hatte seinen Rückzug als Parteivorsitzender angekündigt und Fraktionschefin Andrea Nahles als Nachfolgerin vorgeschlagen. Schulz will Außenminister werden, wenn die Parteibasis die Koalition bei der Mitgliederbefragung billigt. Zuvor hatte Schulz noch ausgeschlossen, in ein Kabinett von Angela Merkel (CDU) einzutreten.

Der geschäftsführende Außenminister Sigmar Gabriel, der einer neuen Regierung voraussichtlich nicht angehören wird, beklagte, „wie respektlos bei uns in der SPD der Umgang miteinander geworden ist und wie wenig ein gegebenes Wort noch zählt“. Die öffentliche Wertschätzung seiner Arbeit sei „der neuen SPD-Führung herzlich egal“ gewesen. Mehrere noch anstehende Außenminister-Termine und -Reisen sagte Gabriel ab.

Nordrhein-Westfalens SPD-Chef Michael Groschek räumte ein Glaubwürdigkeitsproblem seiner Partei beim Eintritt von Schulz in Merkels Kabinett ein. „Wir können das nicht unter den Teppich kehren. Ich kann die Gefühlswallung und manche Faust auf dem Tisch verstehen“, sagte der Vorsitzende des mächtigen SPD-Verbandes in Düsseldorf. Er finde Schulz' Begründung aber überzeugend.

Schulz und seine designierte Nachfolgerin Andrea Nahles wollen gemeinsam ab 17. Februar auf sieben Regionalkonferenzen um eine Zustimmung der SPD-Mitglieder für die große Koalition werben. Auch SPD-Vize Ralf Stegner kündigte an, für den Koalitionsvertrag zu werben. Zum Beispiel bei befristeten Jobs, Pflege, Gesundheit und Rente habe die SPD eine Menge herausgeholt, sagte er der dpa.

Juso-Chef Kevin Kühnert hingegen hält es weiter für möglich, eine GroKo noch zu verhindern. „Niemand kann sich sicher sein, was den Ausgang des Mitgliedervotums angeht. Der Zuspruch, den wir bekommen, ist ungebrochen“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der Entscheid, bei dem 463 723 SPD-Mitglieder abstimmen können, soll vom 20. Februar bis zum 2. März stattfinden.

Die Linke warf Union und SPD eine Stärkung der Rechtspopulisten vor. „In der kleinsten großen Koalition aller Zeiten verkommt das zum Heimatschutzministerium hochgeschriebene Innenressort zum Versorgungsbahnhof für einen abgehalfterten CSU-Ministerpräsidenten“, sagte ihr Fraktionsgeschäftsführer Jan Korte der dpa. Seehofer soll ein Superministerium für Inneres, Heimat und Bau bekommen. Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer sagte der dpa, es stünden 105 Prüfaufträge und 15 neue Kommissionen im GroKo-Vertragsentwurf. „Das könnte neuer Rekord beim Vertagen von Entscheidungen werden.“

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