Nach Hochwasser Debatte über Versicherungspflicht gegen Naturkatastrophen nimmt Fahrt auf

Altstadt von Ahrweiler in der vergangenen Woche (links) und vier Wochen zuvor: Die Aufräumungsarbeiten nach der Flutkatastrophe laufen noch immer. Quelle: dpa

Die Flutkatastrophe im Juli zerstörte viele Existenzen - nur ein Teil der Schäden war versichert. Viele Versicherer waren bislang gegen eine Pflichtversicherung für Naturgewalten, doch das ändert sich offensichtlich.

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Nach der Katastrophenflut des Juli kommt Bewegung in die jahrelange Debatte über eine Pflichtversicherung gegen zerstörerische Naturgewalten. Die Versicherer sprechen über ein Modell, demzufolge für sehr hohe und schwere Schäden eine Elementar-Pflichtversicherung denkbar wäre. „Wir diskutieren im Gesamtverband der Versicherungswirtschaft sehr aktiv, wie Lösungsmöglichkeiten aussehen können“, sagte HUK-Coburg-Vorstandsmitglied Jörg Rheinländer der Deutschen Presse-Agentur. „Vielleicht kriegt man die Politik dahin, dass man ganz extreme Ereignisse verpflichtend absichert, also mit sehr hohen Selbstbehalten. Zwischen diesen sehr hohen Schäden und den niedrigen könnte man eine privatwirtschaftliche Lösung finden.“

Der Verband will in wenigen Monaten seine Vorschläge präsentieren: „Wir machen uns im GDV zusammen mit unseren Mitgliedsunternehmen Gedanken und werden im Herbst Ideen vorlegen, wie sich die Verbreitung der Naturgefahrenversicherung zu risikogerechten Preisen signifikant erhöhen lässt“, sagte GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen. Die Versicherungslösung müsse aber Teil eines Gesamtkonzepts sein. „Dazu gehören auch Aufklärung und verbindliche Maßnahmen zur privaten und staatlichen Prävention.“

Anlass ist die Tatsache, dass viele Menschen und Firmen in den Katastrophengebieten für Häuser und ihr Hab und Gut keine Elementarpolicen gegen Überschwemmungen und Hochwasser abgeschlossen hatten. Die Bundesregierung plant bis zu 30 Milliarden Euro Wiederaufbauhilfe, um die Schäden zu beseitigen. Versichert sind laut GDV lediglich Schäden in Höhe von über fünf Milliarden Euro - der Verband geht vom oberen Rand seiner Schätzung von 4,5 Milliarden bis 5,5 Milliarden Euro aus.

Viele Versicherer standen einer Pflichtversicherung bislang skeptisch bis ablehnend gegenüber - unter anderem wegen der Befürchtung, dass Hausbesitzer dann den eigenverantwortlichen Schutz ihrer Gebäude vernachlässigen könnten. „Ganz viele Häuser, die nun sehr stark beschädigt sind oder nicht mehr existieren, wären einfach versicherbar gewesen“, sagte Rheinländer. Bei der HUK Coburg sind nach seinen Angaben 4200 Schadensmeldungen in der Gebäudeversicherung eingegangen, beim Hausrat weitere 2000, außerdem 7500 weitere über beschädigte Autos. Doch das sind nur die Zahlen der Kunden, die tatsächlich elementar- beziehungsweise kaskoversichert sind.

„Es sind deutlich mehr Schäden gemeldet worden, weil die Kunden zum Teil nicht wussten, ob sie eine Elementarversicherung abgeschlossen haben oder nicht“, sagte Rheinländer. „Das sind sehr schlimme und belastende Situationen, auch für unsere Mitarbeiter.“ Die Versicherer wollten die Diskussion über eine Pflichtversicherung aktiv mitgestalten, sagte Rheinländer über die Gespräche im GDV. „Denn die jetzige Situation ist keine, die man eigentlich haben möchte.“ Ungeachtet aller politischen Appelle nach den Überschwemmungen der Vergangenheit ist bisher lediglich etwas mehr als die Hälfte der deutschen Hausbesitzer elementarversichert.

Dass sämtliche Schäden schnell abgerechnet sind, ist nicht zu erwarten. „Wir haben unsere Prozesse geändert, gehen sehr schnell hinein und leisten substanzielle Vorschusszahlungen, damit die Kunden wieder handlungsfähig sind“, sagte Rheinländer für das eigene Unternehmen. „Wir haben mittlerweile die Gebäude und Hausratsschäden weitestgehend komplett aufgenommen und ungefähr die Hälfte mit Sachverständigen begutachtet. In zwei Wochen sollten wir mehr oder weniger überall mit Sachverständigen vor Ort gewesen sein.“

Bei komplett verlorenen Häusern sei die Regulierung relativ einfach. „Dann können wir meist die Versicherungssumme auszahlen.“ In anderen Fällen würden Vorschüsse gezahlt. „Dann wird abgerechnet, wenn die Rechnungen kommen. Das heißt aber auch, dass die Regulierung des letzten Schadens sich aufgrund des Handwerkermangels länger hinziehen wird. Wir hatten ja vorher schon Handwerker- und Materialmangel in Deutschland, die Schwierigkeiten sind jetzt noch einmal größer.“

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Doch nicht nur die Gebäude- und Hausratschäden sprengen nach Rheinländers Worten den Rahmen des bisher Gewohnten: „Bei den Autos haben wir einen sehr hohen Anteil von Totalschäden, ich gehe von über 80 Prozent aus.“ Eine Pflichtversicherung könne materiell helfen, sagte Rheinländer. „Aber nach so einem Ereignis müssen wir uns als Erstes die Frage stellen, wie wir Tote und großes Leid vermeiden. Dazu zählt der Hochwasserschutz, dazu zählt öffentliche Infrastruktur, die vernünftiger gewartet werden sollte.“

Mehr zum Thema: Der Staat stellt für die Flutschäden Milliarden bereit. Das Geld hilft auch jenen, die sich die Risikovorsorge auf Kosten anderer sparten – wie so oft. Sind Ungeimpfte und unversicherte Flutopfer asozial?

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