Nach Jamaika-Aus Steinmeier als Krisenmanager

Alle noch einmal nachdenken: Das ist das Mindeste, was der Bundespräsident von den Parteien verlangen kann. Vor allem von der SPD, die jahrzehntelang Steinmeiers politische Heimat war.

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Nach dem Scheitern der Jamaika-Koalitionsverhandlungen muss der frühere Außenminister sein diplomatisches Geschickt unter Beweis stellen. Quelle: AP

Berlin Diplomatisches Geschick wird ihm ja bescheinigt nach acht Jahren als Außenminister. Frank-Walter Steinmeier weiß, wann es auf ihn ankommt, in internationalen Konfliktlagen wie der Ukraine oder dem Iran, oder eben jetzt, in der innenpolitischen Sackgasse nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen. Dass er dabei ausgerechnet und vor allem der SPD ins Gewissen reden muss, macht seine Mission allerdings besonders schwierig.

Der sonst eher machtlose Bundespräsident ist plötzlich in einer zentralen Rolle. Artikel 63 des Grundgesetztes regelt das. Vom Staatsoberhaupt hängt am Ende ab, ob es zu Neuwahlen kommt oder zu einer Minderheitsregierung. Vorher allerdings knöpft er sich noch einmal die Parteiführer vor.

Mit Kanzlerin Angela Merkel traf er sich schon am Montag, mit FDP und Grünen spricht er an diesem Dienstag, mit der CSU am Mittwoch, mit SPD-Chef Martin Schulz am Donnerstag. Geht vielleicht doch noch eine Koalition, Schwarz-Gelb-Grün oder Schwarz-Rot?

Von 2005 bis 2009 und von 2013 bis 2017 hat Steinmeier als SPD-Außenminister mit der CDU-Kanzlerin eng zusammengearbeitet. Darüberhinausgehende Sympathien sind nicht bekannt, aber sicher weiß er, wo Merkels Stärken und Schwächen liegen. Wie Merkel dürfte auch Steinmeier nicht mehr darauf hoffen, dass sich FDP-Chef Christian Lindner besinnt und Jamaika doch noch möglich macht.

Und wie die Kanzlerin dürfte Steinmeier alles versuchen, SPD-Chef Schulz zum Einlenken zu bewegen, um die große Koalition vielleicht doch zu verlängern. Was er von der Entscheidung der SPD hält, für eine Fortsetzung der Koalition mit der Union nicht zu Verfügung zu stehen, kann nur vermutet werden. Er selbst hat ja als Kanzlerkandidat 2009 aus einer großen Koalition heraus die SPD zu ihrem bis dahin schlechtesten Ergebnis geführt. 2017 kam es dann mit Schulz noch mieser.

Seit März dieses Jahres ist Steinmeier im Amt. Die ersten Monate blieb er für viele farblos, doch nun läuft es besser. Im Oktober die Rede zum Tag der Einheit, dann der vielbeachtete Kurztrip zu Präsident Wladimir Putin nach Moskau, jetzt die Regierungsbildung. Steinmeier dürfte viel daran liegen, hier etwas zu bewegen. Dabei geht es dem erfahrenen Außenpolitiker auch um Deutschlands Bild in der Welt.

Schon bei seinem Besuch in Paris vor zwei Wochen musste er zur Kenntnis nehmen, wie groß die Sorgen um die künftige deutsche Außenpolitik in Frankreich sind. Demonstrativ unterstützte er den Reformkurs des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. „Ich stehe, wie die große Mehrheit meiner Landsleute, an Ihrer Seite“, betonte er. „Ihr Schwung aus Frankreich, den spüren wir in Berlin. Und ich bin sicher: Wir werden ihn mit Elan aufnehmen.“

Daraus wird jetzt wohl erst einmal nichts. Aber die Phase der Unsicherheit im Krisenmodus soll möglichst kurz sein. Die Jamaika-Gespräche sind gerade 14 Stunden gescheitert, da tritt er vor die Mikrofone. „Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält.“ Unerwartet klare Worte. Von Neuwahlen ist nicht die Rede.

Eine starke Neigung zum Aktenstudium sagen ihm viele nach, er soll sich sogar die Papiere der Jamaika-Verhandlungen bestellt haben, um zu erfahren, woran es denn nun genau gelegen hat. Jedenfalls will Steinmeier eine umfassende Entscheidungsgrundlage auf dem Tisch haben, wenn er dann irgendwann entscheiden muss.

Neuwahlen wären vielleicht die einfachere Lösung, aber eine Minderheitsregierung will er nicht deshalb ausschließen, weil es sie noch nicht gegeben hat. Erst einmal redet er den Verantwortlichen noch einmal ins Gewissen. Er sieht sich als Hüter des Grundgesetzes, nicht als Erfüllungsgehilfe der Parteien.

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