Nach Kundenschelte von VW-Chef Müller Politiker fordern von VW-Großaktionär mehr Härte

In der VW-Debatte gerät das Land Niedersachsen unter Druck. Nachdem Konzernchef Müller betrogene VW-Kunden kritisiert hat, soll nun der Großaktionär des Autobauers einschreiten. Unmut regt sich in allen Parteien.

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Der VW-Konzernchef Matthias Müller (l.) und der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD): Das Land Niedersachsen hat mit 20 Prozent der VW-Stammaktien ein Vetorecht bei allen wichtigen Entscheidungen des Autobauers. Quelle: AFP

Nach kritischen Äußerungen des VW-Chefs Matthias Müller zu Kunden in Europa, die vom Dieselskandal betroffen sind, ist der Ruf nach einem Einschreiten des VW-Großaktionärs Niedersachsen laut geworden. „Die Zurückhaltung von Niedersachsens Ministerpräsident Weil als Anteilseigner von VW ist für mich nicht nachvollziehbar. Da wären klare Worte des Landes Niedersachsen angebracht“, sagte der Vize-Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Michael Fuchs, dem Handelsblatt.

„Wenn ein Vorstandsvorsitzender seinen Kunden Vorwürfe macht, dann ist das kontraproduktiv und offenbart eine Haltung, die sich am Ende des Tages nicht auszahlt“, kritisierte Fuchs. „Ein Unternehmen muss sich auch dem Kaufverhalten seiner Kunden anpassen, nicht anders herum.“ Auch hätte er von den Sozialdemokraten erwartet, „dass sie die Boni-Zahlungen an die VW-Manager verhindern, die den Abgas-Skandal mit zu verantworten haben“.

Auch die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Recht und Verbraucherschutz, Renate Künast, sieht Niedersachsen am Zug. Vom zweitgrößten VW-Eigner erwarte sei, „dass er ein Interesse daran hat, dass Konzerne Verbraucher nicht einfach konsequenzenlos hinters Licht führen können“, sagte die Grünen-Politiker dem Handelsblatt. Der VW-Konzern habe deutsche Verbraucher getäuscht. Sie hätten beim Kauf Autos mit anderen Abgaswerten erhalten als ihnen zugesagt worden sei. „Dafür müssen sie entschädigt werden. Es ist mir unerklärlich, dass dem VW Chef dafür die Einsicht fehlt“, so Künast.

Wo VW überall zur Kasse gebeten wird
Italien will bis zu fünf Millionen EuroVW muss in Italien wegen des Abgasskandals um Dieselfahrzeuge bis zu fünf Millionen Euro Strafe zahlen. Es gehe um Verkäufe von Autos auf dem italienischen Markt ab 2009, bei denen die Zulassung durch Softwaremanipulationen erreicht worden war, teilte die italienische Wettbewerbsbehörde mit. Es habe einen schweren Verstoß gegen die professionelle Sorgfalt gegeben und Kunden hätten mit den realen Daten womöglich eine andere Kaufentscheidung getroffen. Laut früheren Meldungen sind in Italien knapp 650.000 Volkswagen von dem Skandal betroffen. Quelle: dpa
Bayern will bis zu 700.000 Euro Quelle: dpa
Entschädigungen für Aktionäre und Anleger: 1 bis 8 Milliarden Euro Quelle: dpa
Kundenentschädigungen von bis zu 10 Milliarden Euro Quelle: dpa
Rückrufe und Entschädigungen in Europa und dem Rest der Welt: bis zu 4,5 Milliarden Euro Quelle: dpa
Rückrufe und Nachrüstung in Europa Quelle: dpa
Mögliche Wertminderung von VW-Fahrzeugen: 0,5 Milliarden EuroIst ein VW-Diesel-Fahrzeug nach der Umrüstung noch genauso viel wert wie vorher und erzielt es als Gebrauchtwagen denselben Preis wie vor dem Skandal? Diese Frage ist noch nicht abschließend geklärt, doch das Risiko, dass die VW-Fahrzeuge im Wert fallen, ist gegeben. Die VW-Tochter Financial Services, die für 1,2 Millionen Leasing-Fahrzeuge zuständig ist, hat vorsorglich die Rücklagen für mögliche Wertverluste nach oben korrigiert. Quelle: dpa

Der Grünen-Wirtschaftsexperte Dieter Janecek forderte von der Landesregierung in Hannover ebenfalls klare Worte. „Verbraucherbeschimpfung ist genauso wenig hilfreich wie Wählerbeschimpfung“, sagte der Bundestagsabgeordnete dem Handelsblatt.

Harte Konsequenzen für die Konzernspitze brachte der stellvertretende Bundesvorsitzende der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Christian Bäumler, ins Spiel. „Müller gefährdet mit der Beleidigung von Kunden Arbeitsplätze“, sagte Bäumler dem Handelsblatt. „Das Land Niedersachsen muss im Interesse der Arbeitnehmer klären, ob Volkswagen mit diesem Vorstandschef noch eine Zukunft hat. Manager, die so auftreten wie Müller, unterminieren die soziale Marktwirtschaft in Deutschland.“

Das SPD-geführte Verbrauchschutzministerium wollte sich nicht zu Müller äußern und verwies auf eine Kommentierung des Parlamentarischen Staatssekretärs Ulrich Kelber (SPD) bei Twitter. „Ob bei dem Fehlverhalten des VW-Managements Kundenschelte das Richtige ist? Habe da berechtigte Zweifel“, schrieb Kelber am Sonntag in dem Kurznachrichtendienst.

Müller hatte zuvor die Position des Autobauers bekräftigt, vom Dieselskandal betroffenen VW-Kunden in Europa keine ähnlichen Entschädigungen zu zahlen wie in Amerika. „Man kann das nicht über einen Kamm scheren, denn die Ausgangssituation ist völlig unterschiedlich“, sagte Müller der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. „Den Kunden in Europa entsteht kein Nachteil, weder beim Verbrauch noch bei den Fahreigenschaften. Und wenn ich das anfügen darf: Auf der einen Seite kritisieren viele die amerikanische Gesetzgebung in anderen Zusammenhängen, siehe TTIP. Wenn es aber darum geht, selbst Vorteile daraus zu ziehen, scheint das amerikanische Recht auf einmal der richtige Weg zu sein.“

„Volkswagen braucht dringend eine strategische Neuausrichtung“


Wenn deutsche Kunden sich benachteiligt fühlen, könne er das „emotional nachvollziehen“, fügte Müller hinzu. Die rechtlichen und regulatorischen Umstände seien hierzulande aber komplett anders als in Amerika: „In Amerika werden wir für 2,0-Liter-TDI-Fahrzeuge auch nach dem Rückruf die dort sehr viel strengeren Emissionswerte nicht zu 100 Prozent erfüllen können. Dies trifft für unsere Kunden in Europa nicht zu.“ Zugleich wehrte sich Müller gegen Vorwürfe, die deutsche Autoindustrie habe die Elektromobilität verschlafen. „Am Angebot mangelt es nicht, sondern an der Nachfrage“, kritisierte der Manager. „Auf der einen Seite denken und handeln viele Deutsche im Alltag grün, wenn es aber um E-Mobilität geht, haben wir als Verbraucher spitze Finger.“

Auch in der SPD regt sich nun Unmut. „Die Äußerungen von Herrn Müller zeigen erneut den Realitätsverlust einiger Mitglieder der Wirtschaftselite“, sagte der Vize-Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses im Bundestag, Klaus Barthel (SPD), dem Handelsblatt. Fest stehe, dass viele deutsche Diesel-Pkw sowohl die europäischen als auch die US-amerikanischen Grenzwerte nicht einhielten. Dass in die betroffenen Fahrzeuge eine Software „in betrügerischer Absicht“ eingebaut worden sei, die auf dem Messstand andere Ergebnisse liefere als im normalen Fahrbetrieb, „verstößt sowohl gegen das europäische Vorsorgeprinzip als auch gegen das US-amerikanische Recht“.  

Mit seiner Äußerung verhöhne Müller daher nicht nur seine Kunden, sondern auch die EU-Kommission und die Bundesregierung. „Diese sollten endlich handeln, um das geltende Recht durchzusetzen.“

Der Grünen-Politiker Janecek nannte die Äußerungen des VW-Chefs instinktlos. „VW hat die deutschen Kunden genauso belogen wie die amerikanischen - und auf politischer Ebene immer alles dafür getan, um strengere gesetzliche Vorgaben zu verhindern“, sagte der Grünen-Politiker. Gleichzeitig sei VW in den vergangenen Jahren nicht müde geworden, mit der Umweltfreundlichkeit von Dieselautos zu werben – gegenüber den Kunden und gegenüber der Politik. „Jetzt die Verbraucherinnen und Verbraucher dafür zu kritisieren, statt Elektroautos eben Dieselfahrzeuge gekauft zu haben, das kann man emotional schon zu Recht als hämisch empfinden.“

Was habe denn Volkswagen als größter europäischer Automobilhersteller bisher getan, um der Elektromobilität zum Durchbruch zu verhelfen?, fragte Janecek. „Leider viel zu wenig“, fügte er hinzu. Und Janecek forderte Konsequenzen: „Volkswagen braucht dringend eine strategische Neuausrichtung, um die Wende zur emissionsfreien Mobilität hinzubekommen und Kundenvertrauen zurückzubekommen.“ Die jüngsten Äußerungen seien dafür jedoch „alles andere als hilfreich“.


NRW-Minister: „So wird Autoindustrie kein Vertrauen zurückgewinnen“

Der nordrhein-westfälische Verbraucherschutzminister Johannes Remmel (Grüne) fürchtet, dass sich die Vertrauenskrise, unter der die deutschen Autobauer wegen des Abgasskandals litten, noch verschärfen könnte. „Die Aussagen von Herrn Müller zeigen die ganze Problematik, wie die alte und neue VW-Führung mit dem Abgasskandal umgeht: Erst werden Technologie-Entwicklungen wie E-Mobilität verschlafen, dann wird geschummelt, dann vertuscht und zum Schluss werden die heimischen Verbraucher auch noch beschimpft“, sagte Remmel dem Handelsblatt. „So wird die deutsche Autoindustrie kein Vertrauen zurückgewinnen.“

Müller demonstriere mit seinem Verhalten zudem „sehr eindrucksvoll, dass wir mit der Forderung nach der Einführung von Sammelklagen, wie wir sie in Deutschland im Bereich des Finanzmarktes ja schon haben, auf dem richtigen Weg sind“. Nur bisher habe sich die Bundesregierung noch nicht erklärt, ob sie dieses Instrument einführen wolle oder nicht, so Remmel.

Die Grünen-Politikerin Künast hält verbraucherrechtliche Veränderungen für überfällig. „Tatsächlich müssen in Deutschland endlich die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, damit Verbraucher ein kollektives Klagerecht erhalten und  Konzernchefs sich bei Verbrauchertäuschungen nicht länger aus der Verantwortung stehlen könne“, sagte sie.

„Hier steht jedoch die Bunderegierung seit einem Jahr auf der Bremse.“ Der Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz, Heiko Maas (SPD), habe zwar zugesagt, noch dieses Jahr einen entsprechenden Entwurf vorzulegen, doch CDU und CSU sähen dafür keinen Bedarf.  „Ich bin gespannt, wie lange die Koalition dieses Schmierentheater noch spielen will.  Den Preis dafür zahlen jedenfalls die Verbraucher“, so Künast.

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