Nach Kundenschelte von VW-Chef Müller Politiker fordern von VW-Großaktionär mehr Härte

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„Volkswagen braucht dringend eine strategische Neuausrichtung“


Wenn deutsche Kunden sich benachteiligt fühlen, könne er das „emotional nachvollziehen“, fügte Müller hinzu. Die rechtlichen und regulatorischen Umstände seien hierzulande aber komplett anders als in Amerika: „In Amerika werden wir für 2,0-Liter-TDI-Fahrzeuge auch nach dem Rückruf die dort sehr viel strengeren Emissionswerte nicht zu 100 Prozent erfüllen können. Dies trifft für unsere Kunden in Europa nicht zu.“ Zugleich wehrte sich Müller gegen Vorwürfe, die deutsche Autoindustrie habe die Elektromobilität verschlafen. „Am Angebot mangelt es nicht, sondern an der Nachfrage“, kritisierte der Manager. „Auf der einen Seite denken und handeln viele Deutsche im Alltag grün, wenn es aber um E-Mobilität geht, haben wir als Verbraucher spitze Finger.“

Auch in der SPD regt sich nun Unmut. „Die Äußerungen von Herrn Müller zeigen erneut den Realitätsverlust einiger Mitglieder der Wirtschaftselite“, sagte der Vize-Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses im Bundestag, Klaus Barthel (SPD), dem Handelsblatt. Fest stehe, dass viele deutsche Diesel-Pkw sowohl die europäischen als auch die US-amerikanischen Grenzwerte nicht einhielten. Dass in die betroffenen Fahrzeuge eine Software „in betrügerischer Absicht“ eingebaut worden sei, die auf dem Messstand andere Ergebnisse liefere als im normalen Fahrbetrieb, „verstößt sowohl gegen das europäische Vorsorgeprinzip als auch gegen das US-amerikanische Recht“.  

Mit seiner Äußerung verhöhne Müller daher nicht nur seine Kunden, sondern auch die EU-Kommission und die Bundesregierung. „Diese sollten endlich handeln, um das geltende Recht durchzusetzen.“

Der Grünen-Politiker Janecek nannte die Äußerungen des VW-Chefs instinktlos. „VW hat die deutschen Kunden genauso belogen wie die amerikanischen - und auf politischer Ebene immer alles dafür getan, um strengere gesetzliche Vorgaben zu verhindern“, sagte der Grünen-Politiker. Gleichzeitig sei VW in den vergangenen Jahren nicht müde geworden, mit der Umweltfreundlichkeit von Dieselautos zu werben – gegenüber den Kunden und gegenüber der Politik. „Jetzt die Verbraucherinnen und Verbraucher dafür zu kritisieren, statt Elektroautos eben Dieselfahrzeuge gekauft zu haben, das kann man emotional schon zu Recht als hämisch empfinden.“

Was habe denn Volkswagen als größter europäischer Automobilhersteller bisher getan, um der Elektromobilität zum Durchbruch zu verhelfen?, fragte Janecek. „Leider viel zu wenig“, fügte er hinzu. Und Janecek forderte Konsequenzen: „Volkswagen braucht dringend eine strategische Neuausrichtung, um die Wende zur emissionsfreien Mobilität hinzubekommen und Kundenvertrauen zurückzubekommen.“ Die jüngsten Äußerungen seien dafür jedoch „alles andere als hilfreich“.


NRW-Minister: „So wird Autoindustrie kein Vertrauen zurückgewinnen“

Der nordrhein-westfälische Verbraucherschutzminister Johannes Remmel (Grüne) fürchtet, dass sich die Vertrauenskrise, unter der die deutschen Autobauer wegen des Abgasskandals litten, noch verschärfen könnte. „Die Aussagen von Herrn Müller zeigen die ganze Problematik, wie die alte und neue VW-Führung mit dem Abgasskandal umgeht: Erst werden Technologie-Entwicklungen wie E-Mobilität verschlafen, dann wird geschummelt, dann vertuscht und zum Schluss werden die heimischen Verbraucher auch noch beschimpft“, sagte Remmel dem Handelsblatt. „So wird die deutsche Autoindustrie kein Vertrauen zurückgewinnen.“

Müller demonstriere mit seinem Verhalten zudem „sehr eindrucksvoll, dass wir mit der Forderung nach der Einführung von Sammelklagen, wie wir sie in Deutschland im Bereich des Finanzmarktes ja schon haben, auf dem richtigen Weg sind“. Nur bisher habe sich die Bundesregierung noch nicht erklärt, ob sie dieses Instrument einführen wolle oder nicht, so Remmel.

Die Grünen-Politikerin Künast hält verbraucherrechtliche Veränderungen für überfällig. „Tatsächlich müssen in Deutschland endlich die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, damit Verbraucher ein kollektives Klagerecht erhalten und  Konzernchefs sich bei Verbrauchertäuschungen nicht länger aus der Verantwortung stehlen könne“, sagte sie.

„Hier steht jedoch die Bunderegierung seit einem Jahr auf der Bremse.“ Der Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz, Heiko Maas (SPD), habe zwar zugesagt, noch dieses Jahr einen entsprechenden Entwurf vorzulegen, doch CDU und CSU sähen dafür keinen Bedarf.  „Ich bin gespannt, wie lange die Koalition dieses Schmierentheater noch spielen will.  Den Preis dafür zahlen jedenfalls die Verbraucher“, so Künast.

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