Nach Messerattacke in Hamburg Bundesanwaltschaft übernimmt Ermittlungen

Seit Freitag war unklar: Ist die Messerattacke in einem Hamburger Supermarkt die spontane Tat eines psychisch labilen Mannes - oder ein islamistischer Anschlag? Die Ermittlungen deuten nun eher auf letzteres hin.

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Bei einem Messerangriff in einem Supermarkt hatte ein 26-jähriger abgelehnter Asylbewerber einen 50 Jahre alten Mann getötet. Quelle: dpa

Karlsruhe/Berlin/Hamburg Die Bundesanwaltschaft vermutet einen islamistischen Hintergrund bei dem Messerattentat von Hamburg und hat daher die Ermittlungen in dem Fall übernommen. Ein radikal-islamistischer Hintergrund liege nahe, der 26 Jahre alte Angreifer habe sich aber wohl selbst radikalisiert, teilte die Karlsruher Behörde am Montag mit und begründete die Übernahme der Ermittlungen mit der „besonderen Bedeutung des Falles“.

Der Palästinenser, dem nach einem abgelehnten Asylantrag die Ausreise drohte, hatte am Freitag in dem Supermarkt im Hamburger Stadtteil Barmbek unvermittelt auf umstehende Menschen eingestochen. Er tötete einen 50 Jahre alten Mann, sieben Menschen wurden verletzt. Passanten überwältigten den Angreifer. Er sitzt seit dem Wochenende wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft.

Der in den Vereinigten Arabischen Emiraten geborene Mann war 2015 als Schutzsuchender nach Deutschland gekommen. Den Sicherheitsbehörden war er als Islamist bekannt, er wurde aber als nicht als „Gefährder“ eingestuft - also als jemand, dem ein Terrorakt zuzutrauen ist.

Bislang hatten die Hamburger Behörden betont, die Motivlage sei unklar. Es gebe einerseits Hinweise auf religiöse und islamistische Motive, andererseits auf eine „psychische Labilität“. Offen sei, was ausschlaggebend für die Tat gewesen sei.

Die Entscheidung der Bundesanwaltschaft deutet nun klar auf eine politisch motivierte Tat hin. Die Behörde verfolgt Straftaten gegen die innere und äußere Sicherheit. Ein wichtiger Bereich ist der Terrorismus. In der Erklärung heißt es, Anhaltspunkte für eine Mitgliedschaft in der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) oder einer anderen Gruppierung gebe es zwar nicht - auch nicht dafür, dass es Kontakte oder eine Einflussnahme gab. Es lägen auch keine Hinweise auf andere Tatbeteiligte oder Hintermänner vor.

Die weiteren Ermittlungen hätten allerdings nähere Erkenntnisse zur Motivlage des Täters erbracht. Eigenen Angaben zufolge habe sich der Mann seit geraumer Zeit mit radikal-islamistischen Themen beschäftigt. Zwei Tage vor der Tat habe er sich „für eine entsprechende Lebensweise entschieden“. Was genau damit gemeint ist, ließ die Behörde zunächst offen. Am Tattag selbst habe sich der 26-Jährige schließlich entschlossen, „ein Attentat zu begehen - verbunden mit der Hoffnung, als Märtyrer zu sterben“.

Ein Freund des Mannes hatte die Polizei vor Monaten auf eine mögliche Radikalisierung aufmerksam gemacht. Verfassungsschützer nahmen sich der Sache an, hatten jedoch Zweifel, ob eher eine psychische Auffälligkeit vorlag. Sie regten bei der Polizei an, den Mann durch den Sozialpsychiatrischen Dienst untersuchen zu lassen. Dazu kam es jedoch nicht. Die Polizei geht neben den weiteren Ermittlungen zu den Tathintergründen auch der Frage nach, warum dieser Check unterblieb.

Die Attacke des ausreisepflichtigen Mannes löste eine Sicherheitsdebatte aus. Erst am Samstag war das „Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ in Kraft getreten. Damit wird unter anderem die Abschiebehaft für „Gefährder“ ausgeweitet und ihre Überwachung per Fußfessel erleichtert. Der innenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Stephan Mayer (CSU), sagte der „Passauer Neuen Presse“ (Montag), das Gesetz hätte ein Jahr früher kommen können. „Die SPD hat dies lange verhindert“, beklagte er. „Wenn die neue Regelung früher gekommen wäre, hätte man den Attentäter von Hamburg bis zu seiner Rückführung inhaftieren können.“

Der Innenexperte der SPD im Bundestagswahlkampf, Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius, hielt im Deutschlandfunk dagegen, wenn es keine Anhaltspunkte gegeben habe, um den Mann als „Gefährder“ einzustufen, habe man ihn auch nicht in Gefährderhaft nehmen können.

Aus der Union kamen auch Forderungen nach einer Passpflicht für Asylbewerber und nach einer schärferen deutschen Visa-Politik gegenüber Staaten, die bei der Rückführung ihrer Bürger nicht kooperieren. Die Linke-Innenpolitikerin Ulla Jelpke wertete das als Wahlkampfmanöver und Versuch, ein Verbrechen zu instrumentalisieren, um „menschenverachtende Forderungen durchzusetzen“.

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