Nach NSU-Desaster Die Reformen des Bundesverfassungsschutzes

Der Verfassungsschutz will aus den Fehlern im Fall NSU lernen. Amtschef Maaßen hat erste Reformen auf den Weg gebracht: klarere Regeln für den Umgang mit V-Leuten, Konzentration auf Extremisten - und mehr Querdenkertum.

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Der Eingang des Bundesamts fuer Verfassungsschutz (BfV) in Koeln. Das Amt wird nun reformiert, als Konsequenz aus dem NSU-Desaster. Quelle: dapd

Berlin Als Lehre aus dem Fall der Neonazi-Terrorzelle NSU baut das Bundesamt für Verfassungsschutz seine Arbeitsweise um. Behördenchef Hans-Georg Maaßen präsentierte am Mittwoch gemeinsam mit Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in Berlin die ersten Ergebnisse der Reform. Demnach gibt es nun ein mehrstufiges Prüfverfahren, bevor eine Akte vernichtet wird. Die Behörde hat neue Regeln für den Einsatz von V-Leuten und für die Zusammenarbeit mit den Ländern aufgestellt, will sich nun vor allem auf gefährlichen Extremismus konzentrieren und vorausschauender denken. Maaßen und Friedrich betonten, es handele sich nur um eine erste Stufe, weitere Reformschritte würden folgen.

Der Inlandsgeheimdienst war dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) jahrelang nicht auf die Spur gekommen, ebenso wenig wie die Polizei. Der Gruppe werden zwischen den Jahren 2000 und 2007 zehn Morde zur Last gelegt. Das Terrortrio flog erst Ende 2011 auf. Neben gravierenden Fehlern bei den Ermittlungen hatte auch für Empörung gesorgt, dass im Bundesamt für Verfassungsschutz noch nach dem Auffliegen der Gruppe sensible Akten zur rechtsextremen Szene vernichtet wurden. Der frühere Amtschef Heinz Fromm hatte deswegen 2012 seinen Posten geräumt.

Neue Kontrollmechanismen sollen verhindern, dass sich derartige Schredderaktionen wiederholen: Es gibt nun einheitliche Regeln für den Umgang mit Akten, die Mitarbeiter werden gezielt dazu geschult. In jeder Abteilung gibt es einen Beauftragten für solche Fragen.

Die Behörde setzt sich außerdem neue Prioritäten: Sie richtet ihren Fokus vor allem auf gewaltbereiten Extremismus und reduziert dafür die Beobachtung anderer Bereiche. Unstrittig ist das nach Angaben von Maaßen und Friedrich in länderübergreifenden Fällen. Strittig sei aber noch, was passiert, wenn das Bundesamt in nur einem Bundesland ein gewaltorientiertes Phänomen beobachtet und sich einschalten will. Friedrich sagte, bislang seien die Länder in solch einem Fall noch gegen ein Eingreifen der Verfassungsschützer des Bundes. Der Ressortchef will die Länder aber zum Einlenken bringen: „Ich werde in der Frage - wie in anderen - hart bleiben.“

Maaßen sagte, ein wichtiges Ziel sei es, die Analysefähigkeit der Behörde zu verbessern. Die Mitarbeiter müssten mehr „über den Tag hinaus denken“. In Zukunft dürfe es etwa nicht nur darum gehen, eine rechte Demonstration und die Gegenkundgebung im Blick zu haben, sondern Trends in der rechten Szene zu erkennen und Prognosen zu erstellen. Eine „Querdenker-Gruppe“ soll die Arbeit im Amt hinterfragen und kritisch begleiten.

Bis zum Jahresende soll auch die V-Leute-Datei stehen, in der die Verfassungsschützer aus Bund und Ländern ihre Informanten erfassen. Mit der Datei wollen Bund und Länder verhindern, dass sie den gleichen V-Mann führen, ohne vom jeweils anderen Einsatz zu wissen. Klarnamen sollen darin aber nicht zu lesen sein.

Vereinheitlicht werden die Regeln für Auswahl und Führung dieser Informanten: Menschen, die wegen schwerer und schwerster Straftaten verurteilt sind, fallen als Quelle aus. Niemand soll so viel Geld für seine Informationen erhalten, dass er allein davon leben kann. Die V-Mann-Führer beim Verfassungsschutz sollen alle fünf Jahre wechseln, damit kein besonderes Näheverhältnis entsteht.

Der Reformprozess hatte im vergangenen September begonnen. „Nach zehn Monaten kann man nicht sagen: Das Amt ist grundlegend reformiert“, sagte Maaßen. Es sei aber bereits einiges erreicht. Auch Friedrich räumte ein, teilweise werde der Umbau länger dauern.

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