Nach Wahltriumph der AfD Anti-AfD-Strategie verzweifelt gesucht

War der jüngste AfD-Wahltriumph erst der Anfang? Umfragen sagen den Rechtspopulisten weitere Erfolge voraus. Die etablierten Parteien wollen das verhindern. Doch welche Strategie verspricht am meisten Erfolg?

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Ein Wahlplakat der AfD: Wie kann die Partei entzaubert werden, fragen sich die etablierten Parteien. Quelle: dpa

Berlin Eine Woche, nachdem die AfD bei den Landtagswahlen ein politisches Erdbeben in Deutschland ausgelöst hat, zeigt sich das Dilemma der etablierten Parteien deutlicher denn je: Eine ausgefeilte Gegen-Strategie ist bisher nicht erkennbar. Union, SPD & Co. tun sich erkennbar schwer mit der Frage, wie den Rechtspopulisten künftig begegnet werden soll. Dabei war der Aufstieg der Alternative für Deutschland (AfD) schon lange vor den Wahlen absehbar.

Entsprechend deutlich wandte sich denn auch die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, bereits am Wahlabend mit einem eindringlichen Appell an die Politik. „Ich erwarte von den demokratischen Parteien jetzt schleunigst ein nachhaltiges Konzept, wie dieser verheerende Trend gestoppt werden kann“, sagte Knobloch dem Handelsblatt.

Doch von klaren Konzepten ist bisher keine Spur. Union und SPD verfolgen vielmehr Strategien, die der AfD womöglich eher in die Hände spielen als sie zu schwächen, weil sie neuen Streit in der Großen Koalition entfachen könnten.

So sieht etwa der innenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag, Stephan Mayer (CSU), in der Forderung nach einer Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik die richtige Antwort auf das Erstarken der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD). Einen Kurswechsel à la CSU lehnen jedoch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der Koalitionspartner SPD ab.

Die Sozialdemokraten wollen vielmehr der AfD mit einem Programm für soziale Investitionen das Wasser abgraben. Und sie wollen die Partei entzaubern, indem sie ihr politisches Programm als kontraproduktiv für Deutschland entlarven. Ob das gelingen kann?

Momentan profitiert die AfD auch bundesweit von ihren Erfolgen bei den jüngsten Landtagswahlen, während die großen Parteien das Nachsehen haben. Im Sonntagstrend, den das Meinungsforschungsinstitut Emnid wöchentlich für die Zeitung „Bild am Sonntag“ erhebt, verlieren demnach SPD und CDU/CSU jeweils zwei Prozentpunkte. Die Sozialdemokraten kommen nur noch auf 22 Prozent und damit den niedrigsten Wert seit 2009. Die Union rutscht auf 34 Prozent ab. Die rechtspopulistische AfD steigt hingegen zwei Punkte auf einen Rekordwert von 13 Prozent.

Die Umfrage ergab außerdem, dass 60 Prozent der Deutschen davon ausgehen, dass die AfD bei der Bundestagswahl 2017 den Einzug ins Parlament schafft. Grundsätzlich können sich mittlerweile sogar 19 Prozent der Wähler vorstellen, für die AfD zu stimmen.  Und das, obwohl die Partei in der Wahrnehmung vieler Wähler nach rechts gerückt ist. Mit 72 Prozent stufen jetzt laut dem jüngsten ZDF-Politbarometer deutlich mehr Befragte die AfD als rechte Partei ein, als dies noch im November 2015 (57 Prozent) der Fall war. Nur 13 Prozent (November 2015: 18 Prozent) verorten sie in der Mitte und für 8 Prozent (November 2015: 8 Prozent) steht sie links.


Welche Anti-AfD-Strategie Parteienforscher empfehlen

Die Umfragen verheißen nicht Gutes für das Ziel, der AfD Paroli zu bieten. Allerdings haben sich die etablierten Parteien selbst in diese missliche Lage gebracht. „Der Wischi-Waschi-Kurs im Vorfeld der Landtagswahlen, mal mit der AfD reden zu wollen und dann wieder doch nicht, hat der Partei genützt“, sagte der Rechtspopulismus-Forscher von der Fachhochschule Düsseldorf, Alexander Häusler, der „Landeszeitung“ in Lüneburg. Denn die AfD besetze ganz bewusst die Außenseiterrolle.

Wie einst Jörg Haider und FPÖ ermächtige sie sich, als Gegenpart der sogenannten Altparteien für das ganze Volk zu sprechen. „Gegen eine solche Partei“, so Häusler, „die viele Wechselwähler auf allen Flügeln anspricht, hilft kein bloßes Ausgrenzen.“ Auch sei ein „reiner logischer Sachdiskurs“ nicht mit Leuten möglich, die ihre Wahrheit für die alleinige halten und die auf eine Politik der Angst setzten. „Dies kann nur inhaltlich-konfrontativ geschehen, indem bei diesen Rechtspopulisten die Diskrepanz zwischen Schein und Wirklichkeit aufgedeckt wird“, sagte der Wissenschaftler. „So können die Bürger auf das rein instrumentelle Verhältnis der Partei zur Demokratie hingewiesen werden.“

Aus Sicht des Berliner Parteienforschers Oskar Niedermayer muss eine erfolgversprechende Strategie zum Umgang mit der AfD und zur Rückgewinnung eines Teils ihrer Wähler zwei Komponenten haben: Zum einen müsse es der Politik gelingen, die Zahl der neu hinzukommenden Flüchtlinge auf Dauer niedrig zu halten und die Integrationsprobleme anzugehen.  „Mit welchen Maßnahmen dies geschieht, ist zweitrangig, solange die Bevölkerung das Gefühl vermittelt bekommt, die Politik habe das Problem wieder im Griff“, sagte Niedermayer dem Handelsblatt.

Zum anderen müsse man sich mit der AfD inhaltlich auseinandersetzen, um nicht deren These Vorschub zu leisten, man rede nicht mit ihr, weil man keine Argumente gegen ihre Positionen habe. „Das sollte man aber nicht mit falschen Tatsachenbehauptungen tun, denn das schlägt wieder zurück“, warnte der Experte. Niedermayer empfahl den Parteien, sich nicht vorschnell mit den Inhalten der AfD auseinanderzusetzen, sondern abzuwarten, bis die Partei Ende April ihr Grundsatzprogramm tatsächlich beschlossen habe. Die Aussagen des Programmentwurfs, so Niedermayer, sollten die Parteien nicht als Positionen der AfD verkaufen, weil sich an dem Entwurf bis zum und auf dem Parteitag sicherlich noch vieles ändern werde.

Doch in den die kursierenden Programminhalten sehen die etablierten Parteien einen möglichen Ansatzpunkt, gegen die AfD Stellung zu beziehen. In der Union wird darüber hinaus Flüchtlingspolitik als ein Hebel gesehen, der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen.


„Die Botschaft an AfD-Wähler muss lauten: Wir haben verstanden“

Der CSU-Innenpolitiker Mayer glaubt, dass dies eine Lehre aus dem AfD-Wahltriumph sei. Die Politik müsse dem „massiven Umbruch“ bei den Landtagswahlen  „ein klares Signal“ entgegen stellen. „Die Botschaft an die Wähler der AfD muss lauten: Wir haben verstanden“, sagte Mayer dem Handelsblatt. Es könne daher kein „Weiter so“ geben. „Der bisherige Kurs in der Flüchtlingskrise kann so nicht fortgesetzt werden, denn ein großer Teil in der Bevölkerung erwartet völlig zu Recht eine Lösung der Flüchtlingskrise.“

Eine weiterhin ungeregelte Zuwanderung könne die Gesellschaft in Deutschland nicht verkraften, ist Mayer überzeugt. „Die Politik der Länder, die zur Schließung der Balkanroute führte, ist nicht zu verteufeln, sondern zu unterstützen“, verlangte der CSU-Politiker. „Eine klare Abkehr von der Aufnahmepolitik aus dem September 2015 ist vonnöten.“

Mayer wies überdies darauf hin, dass viele Wähler angegeben hätten, die AfD als Protestpartei gewählt zu haben. Man müsse die Ursachen für diesen Protest beseitigen. „Ganz wichtig ist natürlich auch, dass das Potenzial der Protestwähler durch nicht vermittelbare und kontraproduktive Maßnahmen nicht noch erhöht wird, zum Beispiel durch eine Zusammenarbeit mit der Türkei, die mit einer Visa-Freiheit belohnt wird“, sagte der CSU-Politiker und fügte hinzu: „Ich bin überzeugt, dass sich die AfD entzaubern lässt, wenn man den Bürgern mit einer durchdachten Politik überzeugende Lösungen in der Flüchtlingskrise präsentiert.“

Die SPD will der AfD hingegen mit einem Programm für soziale Investitionen das Wasser abgraben. „Rechten Hetzern, die unsere Gesellschaft spalten wollen, setzen wir eine Politik für sozialen Zusammenhalt entgegen: Investitionen in Arbeitsmarkt, Bildung und bezahlbaren Wohnraum für alle diejenigen, die kommen wie für diejenigen, die schon hier leben“, sagte der SPD-Bundesvize Ralf Stegner dem Handelsblatt. „Ein Solidarpakt für den Zusammenhalt aller Teile der Gesellschaft ist im Moment auch wichtiger als die Schwarze Null.“


SPD will AfD über ihr Programm entzaubern

Der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka setzt bei der Entzauberung der AfD auf deren politisches Programm. „Es geht jetzt vor allem darum, sich in den Parlamenten deutlich und akzentuiert mit den Personen und Inhalten der AfD auseinanderzusetzen. Dies ist das beste Rezept, um zu zeigen, dass diese Partei abgesehen von der Asyl- und Flüchtlingsthematik auch generell keine seriösen Antworten auf drängende Fragen liefert“, sagte Lischka dem Handelsblatt. Wer die Absenkung des Spitzensteuersatzes für Reiche auf 25 Prozent befürworte und für die Abschaffung der Schulpflicht eintrete, handle nicht im Interesse der Bürger.

Auch Stegner will verstärkt über die politischen Absichten der AfD aufklären.  „Wer die AfD wählt, bekommt Steuererleichterungen für Reiche und Sozialkürzungen, Atomkraft und Lohndumping“, sagte er. Die AfD lehne zudem eine Politik für die Gleichstellung von Mann und Frau ebenso ab wie hart erkämpfte Arbeitnehmerschutzrechte. „Das nationale Isolations-Programm der AfD ist ein massives Jobvernichtungsprogramm“, betonte der SPD-Vize und fügte hinzu: „Und wer Gewalt für ein Mittel der Flüchtlingspolitik hält, der attackiert die humane Orientierung unseres Grundgesetzes.“

Der Politikwissenschaftler Niedermayer bezweifelt, dass der Ansatz der Sozialdemokraten Erfolg haben wird. „Die SPD-Strategie, auf eine Politik des sozialen Zusammenhalts aller Benachteiligten, also der Einheimischen und Flüchtlinge, zu setzen, wird angesichts der vielfältigen Probleme, die ein Teil ihrer eigenen Klientel mit der großen Zahl von Immigranten hat, sicherlich nicht einfach“, sagte er.

Für den Berliner Politikwissenschaftler Gero Neugebauer hat die sozialdemokratische Politik immerhin den Vorteil, "dass sie zumindest denen, die die AfD deshalb gewählt haben, weil ihnen keine soziale Sicherheit im Wandel angeboten noch die Angst vor Veränderungen genommen wurde, ein Angebot macht". Letztlich sei aber eine geeignete Strategie gegen die AfD nur dann erfolgreich, "wenn sie die Gründe für deren Aufstieg analysiert und dann verursacht, diese Ursachen zu beheben", sagte Neugebauer dem Handelsblatt.

"Das setzt jedoch eine einige Analyse und gemeinsame Haltung der übrigen Wettbewerber voraus." Das jedoch könne nicht erwartet werden, ist der Experte überzeugt. Nicht zuletzt auch deshalb nicht, "weil dadurch die existierenden Differenzen zwischen ihnen abgeschliffen und Eindruck der Alternativlosigkeit bestätigt werden würde", so Neugebauer.


Grüne fordern Gesamtstrategie gegen die AfD

Nichtsdestotrotz tendieren zumindest die Grünen zu einem geschlossenen Auftreten der Parteien gegenüber der AfD. "Wir brauchen eine Gesamtstrategie gegen diese beunruhigenden Entwicklungen in unserer Demokratie", sagte Fraktionsvize Konstantin von Notz dem Handelsblatt. Vereinsverbote, wie das gegen die rechtsextreme Gruppe "Weiße Wölfe Terrorcrew", könnten nur eine Facette eines Gesamtpaketes von Maßnahmen sein. "Dabei geht es auch darum, den Menschen nachzugehen, die aus Frust oder Unkenntnis, Ihre Stimme der AfD geben", so von Notz. "Genauso klar aber müssen wir eine harte Linie gegenüber denjenigen ziehen, die rassistisch, antisemitisch und antidemokratisch in unserem Land und in Europa unterwegs sind."

Für quasi aussichtslos hält der Parteienforscher Neugebauer indes eine sachliche Auseinandersetzung in den Parlamenten mit der AfD, zumal die AfD dazu erst einmal Gelegenheiten bieten müsste. "Dazu wird es nach allen bisherigen Erfahrungen mit der AfD kaum kommen", ist sicher der Politik-Experte sicher. "Obwohl Landtage kaum als Foren zur Auseinandersetzung über länderübergreifende Politik geeignet sind, dürften AfD Parlamentarier sie dennoch als Bühne für populistische Attacken nutzen."

Hinzu kommt, dass die Zeit für die AfD läuft. „Das Zeitfenster ist sehr schmal, in dem sich entscheidet, ob wir in Deutschland dauerhaft österreichische oder französische Verhältnisse haben werden“, sagte der Düsseldorfer Rechtspopulismus-Experte Häusler. Zumal sich die AfD selbst den Einzug in den Bundestag samt möglicher Übernahme von Regierungsverantwortung als Ziel gesetzt habe. Die Auseinandersetzung mit ihr müsse in den demokratischen Parteien und der Zivilgesellschaft daher jetzt beginnen. „Wenn man sich nicht mit einer starken rechtspopulistischen Partei auf der Bühne abfinden will, muss die AfD bis zu den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, im Frühjahr 2017 entzaubert werden“, sagte Häusler.

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