Nachspiel zu Krawallen Warum Olaf Scholz trotz G20 nicht stürzt

Heute Abend steht Olaf Scholz erstmals vor dem G20-Ausschuss. Doch gefährlich wird es für wohl nicht. Der amtierende Hamburger Bürgermeister profitiert von einer Dreifachstrategie und schwachen Gegnern.

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Für Hamburgs Ersten Bürgermeister dürften die Krawalle beim g20-Gipfel kaum Konsequenzen haben. Quelle: dpa

Hamburg Die Zerknirschung hielt nach den G20-Krawallen nur kurz an. Wer Olaf Scholz in den vergangenen Wochen in Hamburg traf, erlebte meist einen gut gelaunten, mit sich im Reinen befindlichen Bürgermeister. Nach wochenlanger Aufregung über die Krawalle diskutiert die Stadt längst wieder lieber über steigende Abfallgebühren – und Scholz gilt bereits als Aspirant auf die nächste SPD-Kanzlerkandidatur.

Dabei steht Scholz vor einer Prüfung: Heute ab 17 Uhr muss der Erste Bürgermeister im Hamburger Rathaus Auskunft geben zu den G20-Krawallen. Die Opposition will ihn vor einem Sonderausschuss rösten. Doch der ehrgeizige SPD-Mann hat wenig zu befürchten. Das Handelsblatt nennt sieben Gründe dafür.


1. Power-Play

Direkt nach dem Gipfel hat Olaf Scholz auf eine Dreifachstrategie gesetzt: keine Fehler eingestehen, sich entschuldigen und Opfer entschädigen. Am Tag eins nach dem Gipfel hat Scholz klargemacht, dass er die Polizisten als „Helden“ sieht und seinen Innensenator Andy Grote (SPD) im Amt halten will. Scholz verzichtete auf ein Bauernopfer – und schützte sich so ironischerweise selbst. Hätte er die Schuld seinem Innenpolitiker zugeschoben, wären Rufe nach persönlichen Konsequenzen kaum noch abzuwenden gewesen. So jedoch bestreitet Scholz erfolgreich eigene Versäumnisse. Das kostete ihn zwar Glaubwürdigkeit, schützt ihn aber. Die Botschaft, im Senat seien keine Fehler gemacht worden, milderte er durch eine allgemeine Entschuldigung im Stadtparlament Bürgerschaft ab. Dazu kam ein 40 Millionen Euro schweres Entschädigungspaket für Sachschäden, das wohl nicht einmal ausgeschöpft werden muss – aber betroffene Anwohner zumindest milder stimmte und Handlungsfähigkeit demonstrierte.

2. Klare Verteidigungslinien

Scholz hat seine Botschaft seit dem Gipfel konsequent durchgehalten. Er behauptet, das Ausmaß der Krawalle sei nicht absehbar gewesen. Dabei nennt er zwei Punkte: Zum einen sei nicht zu erwarten gewesen, dass größere Gruppen fernab des Gipfels Autos anzünden und Schaufenster einschlagen. Zum anderen sei erstmals überhaupt ein Sondereinsatzkommando (SEK) bei einer Demonstration nötig gewesen. An beiden Darstellungen gibt es erhebliche Zweifel. Schon vor dem Gipfel sperrten Kaufleute auf der gesamten, am Ende kaum betroffenen zentralen Einkaufsmeile Mönckebergstraße ihre Schaufenster mit Sperrholz ab. Auch an vielen anderen Stellen in der Stadt blieben Läden geschlossen. Eltern in der ganzen Stadt forderten vor dem Gipfel, ihre Kinder zu Hause lassen zu können. Beides zeigt: Es rechneten sehr wohl viele Menschen in Hamburg mit Vorfällen im gesamten Stadtgebiet.

Zweifel gibt es auch, ob ein SEK am Samstagabend im Schanzenviertel wirklich notwendig war. Die Polizei konnte bis heute nicht nachweisen, dass die behauptete Gefahr durch Wurfgeschosse von den Dächern in neuem Ausmaß wirklich existierte. Möglicherweise beruht der SEK-Einsatz auf einer zu dramatischen Wahrnehmung durch die Sicherheitskräfte am Samstagabend. Der Verdacht, zu viel Polizei sei zur Sicherung der Fahrtstrecke für die Staatsgäste vom Veranstaltungsgelände zur Elbphilharmonie und zurück gebunden gewesen, ist nicht schlüssig ausgeräumt. Dabei liegt nahe, dass die Situation im Schanzenviertel nur deshalb so eskalieren konnte, weil zu wenig Polizei verfügbar war – trotz des Einsatzes Zehntausender Sicherheitskräfte in der Stadt und obwohl weniger Gewalttäter nach Hamburg kamen als prognostiziert.

Obwohl das auf deutliche Fehleinschätzungen und eine zu hohe Risikobereitschaft der politisch Verantwortlichen schließen lässt, hat Scholz vor dem Ausschuss wenig zu befürchten: Die wesentlichen Fakten sind schon jetzt bekannt – und Scholz setzt sich kaltschnäuzig darüber hinweg. Der Ausschuss müsste in den Akten Hinweise darauf finden, dass die Polizeiführung oder andere Behörden sehr deutlich vor dem G20-Gipfel in Hamburg gewarnt hatten. Es ist aber unwahrscheinlich, dass es solch eine klare Warnung gegeben hat. Scholz hat mehrfach bestritten, dass es solch ein Statement gab.

3. Rückhalt für Polizei

Nach dem Gipfel gab es viel Lob für die Polizisten – trotz der Eskalation. Das „Hamburger Abendblatt“ lud die Polizisten in die Elbphilharmonie ein, nach Berichten über 72-Stunden-Schichten und hoch gegriffene Verletztenzahlen zeigten sich große Teile der Politik und der Bevölkerung demonstrativ solidarisch. Das spielt Scholz jetzt in die Karten, da es an die Aufarbeitung von Fehlern geht. Insbesondere die CDU-Opposition wird die Polizei nicht zu stark angreifen wollen. Dabei gab es offensichtliche Probleme: Marodierende Gruppe zogen beispielsweise durch die westliche Innenstadt um Reeperbahn und Altona, nachdem es der Polizei nicht gelungen war, den Schwarzen Block bei einer Demonstration namens „Welcome to Hell“ einzukesseln.

Offensichtlich mussten die Polizisten viel länger arbeiten als geplant. Ruhezeiten konnten nicht eingehalten werden, Einheiten mussten bis zur völligen Erschöpfung im Einsatz bleiben, erhebliche Überstunden liefen auf. Zudem gibt es etliche unschöne Bilder von gewalttätigen Polizisten, deren Einsatz unverhältnismäßig wirkt. Offiziell gestand die Polizei bereits ein, ausgerechnet einen Bus der SPD-Jugendorganisation „Die Falken“ versehentlich gestoppt zu haben. Ein minderjähriges Mädchen aus der Gruppe wurde im Gewahrsam beispielsweise beim Toilettengang beobachtet, auch andere melden empörende Behandlung, Schläge und den Zwang, sich auszuziehen.

Scholz hat anfangs gesagt, Polizeigewalt habe es nicht gegeben. Anschließend musste er zurückrudern und erklären, er habe damit systematische Gewalt gemeint. Inzwischen zieht er sich auf die Position zurück, die internen Ermittlungen liefen auf Hochtouren – und lässt die Kritik so abperlen.


Die Opposition kann nicht gefährlich werden

4. Die Opposition ist schwach

Rot-Grün hat in Hamburg eine große Mehrheit in der Bürgerschaft. Die CDU ist seit der vergangenen Wahl vor drei Jahren minimiert. Ihr Fraktionschef André Trepoll ist wesentlich weniger erfahren als der ehemalige SPD-Generalsekretär und Bundesarbeitsminister Scholz. CDU-Parteichef Roland Heintze hat nicht einmal ein Mandat für die Bürgerschaft bekommen. Die CDU in Hamburg forderte früh den Rücktritt von Scholz.

Bundeskanzlerin Angela Merkel fiel ihren Parteifreunden allerdings in den Rücken – schließlich war ihre Bundesregierung Mitveranstalter des Gipfels. Die Rücktrittsforderung verpuffte damit wirkungslos. Sollten im Sonderausschuss neue Vorwürfe auftauchen, erschiene eine erneute Rücktrittsforderung als zweiter Aufguss – und hätte wohl wenig Zugkraft.

Lautstärkste Opposition in Hamburg ist die Linke. Sie ist jedoch über ihr eigenes Milieu hinaus in Hamburg beim Thema G20 kaum anschlussfähig. Schließlich gilt die Partei als eng verbandelt mit der autonomen Szene, die offen zu einem gewissen Maß an Gewalt bei Demonstrationen zu G20 aufgerufen hatte. Die AfD in der Bürgerschaft hingegen fährt generell einen unklaren Kurs, ist zerstritten und erscheint oft wenig professionell. Sie forderte nach dem G20-Gipfel von Scholz, die Grünen aus dem Senat zu werfen und allein weiterzumachen – eine politisch völlig unrealistische Forderung. Die Hamburger FDP hat gerade ihre Gallionsfigur Katja Suding nach Berlin verloren und muss sich neu aufstellen.

Die Opposition ist damit nicht nur schwach, sondern auch uneins, für was sie Scholz kritisieren will: für zu wenig Sicherheit, für zu viel Repression, für zu große Demonstrationsverbote oder für zu wenig Verständnis für friedliche Proteste? Dazu kommt neue Kritik an den Kosten: Die 50 Millionen Euro Bundeszuschuss reichen vorne und hinten nicht – anders als von Scholz prognostiziert. Die Vorwürfe gegen ihn werden so aber immer unfokussierter.

All das spielt Scholz in die Karten: Er kann sich auf die rot-grüne Koalition verlassen – auch wenn sich die Grünen schon vor dem Gipfel vorsichtig von der Veranstaltung distanziert hatten. Die Opposition dagegen agiert ungeschickt.

5. Scholz bestimmt die Spielregeln mit

Mit seiner Mehrheit kann Scholz' Lager wichtige Spielregeln bestimmen. So setzten die Senats-Fraktionen durch, dass statt eines Untersuchungsauschusses nur ein Sonderausschuss eingerichtet wird, der weniger Rechte hat. Zudem sind viele Akten in sehr weiten Teilen geschwärzt worden – all das behindert die Aufklärungsarbeit der Opposition und verringert die Wahrscheinlichkeit, dass Überraschungen zu Tage treten.

6. Viele Verurteilungen

Entgegen der ursprünglichen Erwartungen fällt die Hamburgische Justiz in recht kurzer Zeit zahlreiche deutliche Urteile gegen Gewalttäter. Für Flaschenwürfe auf gepanzerte Polizisten gibt es empfindliche Haftstrafen. Das ist ein deutlicher Unterschied zu vielen anderen Ausschreitungen in Hamburg, etwa zum 1. Mai. Eine große Sonderkommission ermittelt weiter. Das besänftigt die Kritiker und demonstriert Handlungsfähigkeit. Der Haken: Inzwischen bemängelt die Hamburger CDU zusammen mit Polizeigewerkschaftlern, das viele für die G20-Folgen gebundene Personal führe dazu, dass die Hamburger Polizei 8000 andere Ermittlungsfälle auf die lange Bank schieben musste.

7. Unklare Bewertung

Letztlich läuft die Kritik an Scholz auf eine politische Bewertung hinaus: War es verantwortungslos, den Gipfel trotz vielfältiger Warnungen in der Zweimillionenstadt Hamburg mit ihrer bekannt starken linken Szene abzuhalten? Oder überwog die Notwendigkeit, als Bundesrepublik einen leistungsfähigen Standort mit vielen Hotelbetten zu finden sowie die Chance, den Standort Hamburg auf internationaler Bühne präsentieren zu können? Wie viele taktische Fehler darf die Landespolizei in einem solchen beispiellosen Einsatz machen? Wie viel Fehlverhalten einzelner Beamter ist im Rahmen? Und letztlich: Sind nicht viel mehr die Gewalttäter schuld als die Politik? Darf sich ein Politiker zum Rücktritt drängen lassen, weil politische Extremisten und Spaß-Krawallmacher sich danebenbenehmen?

Scholz hat eine klare Antwort auf die Fragen gefunden – und dürfte aller Voraussicht nach damit durchkommen.

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