Netzausbau Stell dir vor, der Wind weht, aber keiner nimmt den Strom

Ein Offshore-Windpark in der Nähe der Nordseeinsel Amrum. Quelle: REUTERS

Der Ausbau der Windenergie kommt voran, aber die Leitungen fehlen. Rund 7700 Kilometer Stromtrassen werden gebraucht, fertig gebaut sind bislang aber nur 1500 Kilometer. Der langsame Ausbau gefährdet nicht nur die deutsche Energiewende, sondern auch den Green Deal der EU.

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Es ist noch nicht allzu lange her, als Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) wieder einmal vom Boom der Windkraft schwärmte, der sich vor allem auf dem Meer zeige. „Gemeinsame Offshore-Wind-Projekte werden einen wichtigen Beitrag auf dem Weg zu einem klimaneutralen Europa leisten“, sagte Altmaier anlässlich einer deutsch-dänischen Kooperationsvereinbarung zum Ausbau der Windenergie Mitte Dezember vergangenen Jahres in Berlin.

In der Tat: Die Ziele der Politiker sind hoch gesteckt. Die EU-Strategie sieht eine Verfünffachung der in Europa installierten Offshore-Windkapazität von heute 12 Gigawatt auf 60 Gigawatt bis 2030 vor. Für das Jahr 2050, wenn nach dem Green-Deal der EU ganz Europa klimaneutral sein soll, sind sogar 300 Gigawatt Offshore-Windenergie veranschlagt, das würde dann eine weitere Verfünffachung der Produktionsmenge bedeuten. Wie diese Mengen erreicht werden sollen, steht allerdings noch in den Sternen.

Gewaltige Ausbaupläne
Angesichts der enormen Förderung der erneuerbaren Energie stehen viele Unternehmen bereit, um entlang der europäischen Küsten Windparks auf dem Meer zu errichten. Doch die ehrgeizigen Pläne kranken daran, dass der in Offshore-Windparks produzierte Strom nicht abtransportiert werden kann. Das Problem: fehlende Leitungen – und das seit Jahren. Altmaier hat den Trassenausbau zwar zur „Chefsache“ erklärt und zahlreiche Versuche unternommen, um den Stromtransport vom windreichen Norden in die industriellen Verbrauchszentren im Süden der Bundesrepublik voranzubringen. Doch anhaltende Bürgerproteste, Hunderte Klagen vor den Gerichten und langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren mit mehrstufigen Anhörungen und Bürgerbeteiligungen lähmen den Netzausbau. Zudem liegt ein erheblicher Teil der Verfahrenswege in der Hand der beteiligten Länder und ist dem Zugriff des Bundes weitgehend entzogen. Allerdings soll ein im Vorjahr beschlossenes Beschleunigungsgesetz die Dinge jetzt voranbringen.

von Angela Hennersdorf, Michael Kroker, Christian Schlesiger

Bescheidene Bilanz der Netzagentur
Die konkreten Zahlen der zuständigen Bundesnetzagentur in Bonn zeigen jedoch, wie langsam das Tempo tatsächlich ist. Bis Ende 2020 hat die Bonner Behörde den Trassenkorridor für gerade einmal knapp 2.000 Kilometer Stromleitungen festgelegt. Jochen Homann, Präsident der Netzagentur, sieht darin trotzdem einen Erfolg, da er „auch unter den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie die Verfahren zügig fortsetzen“ konnte, wie er kürzlich bei der Vorlage der aktuellen Zahlen aus 2020 sagte. „Auf den unterschiedlichen Stufen des Verfahrens beteiligen wir Bürgerinnen und Bürger mehrfach“, versicherte der Netzagenturchef. Daran habe man auch während der Pandemie konsequent festgehalten. „Wir versuchen stets, für alle eine verträgliche Lösung zu finden“, unterstrich Homann. „Wir wissen aber auch, dass wir nicht alle Wünsche erfüllen können.“

Der Widerstand der Bürgerinnen und Bürger zeigt sich in den Zahlen: Von den aktuell fast 7.700 Kilometer Ausbauvorhaben befanden sich zum Ende des dritten Quartals 2020 1.700 Kilometer im Raumordnungs- oder Bundesfachplanungsverfahren. Rund 3.000 Kilometer waren vor dem oder im Planfeststellungsverfahren und rund 1.500 Kilometer wurden fertiggestellt.

Fortschritte bei den großen Trassen
Allerdings gibt es auch Lichtblicke. Insbesondere bei den großen Leitungsprojekten Ultranet, SuedLink und SuedOstLink sind nach Darstellung der Netzagentur zahlreiche Fortschritte bei den Genehmigungsverfahren erreicht worden. Rund die Hälfte der Abschnitte bei den Gleichstromtrassen sei über die Bundesfachplanung entschieden, die zweite Hälfte soll im laufenden Jahr erfolgen. Nicht zuletzt werde der Gesetzgeber in Kürze neue Vorhaben in das Bundesbedarfsplangesetz aufnehmen, heißt es in Bonn. Diese hätten sich aufgrund der bestätigten Netzentwicklungspläne als notwendig erwiesen.



Die Windparks stehen, die Leitungen nicht
Dennoch klagen die Netzbetreiber über die „sinnbildliche Schere, die zwischen dem Ausbau der erneuerbaren Energien und dem Netzausbau klafft“, wie ein Manager bei TransnetBW sagt. „Die Windparks stehen, die Leitungen nicht“. Der schleppende Ausbau verursacht hohe Kosten, da das Netz trotz der Lücken und der Volatilität der Ökoenergien stabil gehalten werden muss. Maßnahmen wie Leistungsanpassungen von Kraftwerken und das Vorhalten von Reservekraftwerken, die über die Netzentgelte auf die Verbraucher umgeschlagen werden, verschlangen allein 2019 mehr als 1,4 Milliarden Euro.

Windenergie für grünen Wasserstoff
Die nördlichen Bundesländer versuchen allerdings, aus der Not eine Tugend zu machen. Wenn der auf See reichlich produzierte Strom nicht in den Süden der Republik gelangt, soll er standortnah und entsprechend preiswert an den Küsten für die Herstellung von grünem Wasserstoff verwendet werden. Im Dezember vergangenen Jahres haben sich deshalb die Wirtschaftsförderorganisationen der norddeutschen Länder zur grünen Wasserstoffinitiative HY-5 zusammengeschlossen. Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein wollen bis 2025 mindestens 500 Megawatt Elektrolyseleistung zur Erzeugung von grünem Wasserstoff installieren.

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Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) sieht darin eine „einzigartige Zukunftschance für die gesamte Region“ und verweist auf eine OECD-Studie. Danach liegen die Voraussetzungen besonders günstig, weil Norddeutschland nicht nur natürliche Standortvorteile für den Aufbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft besitze, sondern auch ein großes Abnahmepotenzial sowie ein Dutzend Seehäfen mit Logistik- und Importterminals.

Mehr zum Thema: E.On-Chef Johannes Teyssen und SAP-Chef Christian Klein über Corona als digitalen Transformator, hohe Strompreise – und ein gemeinsames Projekt.

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