Netzausbau Warum uns ein Strom-Stau droht

Die Energiewende erfordert neue Stromleitungen, doch der Ausbau verzögert sich weiter, wie aus einem Bericht der Bundesnetzagentur hervorgeht. Die vier wichtigsten Antworten zum schleppenden Netzausbau und den Folgen.

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Zwei Prototypen für Erdkabel mit drei Adern liegen unter einer Hochspannungsleitung. Quelle: dpa

Welche Leitungen sind betroffen?

Die sogenannte SuedLink-Trasse von Norddeutschland nach Bayern und weiter nach Baden-Württemberg wird einem Bericht der Bundesnetzagentur zufolge erst 2025 fertig, drei Jahre später als geplant. Vor allem Bayern hatte sich vehement gegen einen Überlandausbau zur Wehr gesetzt. Das Betreiberunternehmen Tennet hat bereits angekündigt, die Planungen für SuedLink nun anzupassen.

SuedLink ist erforderlich, weil es sonst durch den massiven Ausbau erneuerbarer Energien in Thüringen und Sachsen-Anhalt zu Engpässen im Stromtransport nach Bayern käme. Der genaue Verlauf der Trasse ist dem Bericht zufolge derzeit noch nicht absehbar.

Das Projekt besteht aus zwei separaten Trassen: Aus Brunsbüttel und Wilster in Schleswig-Holstein soll Windstrom ins baden-württembergische Großgartach und nach Grafenrheinfeld in Bayern transportiert werden. Ein neu gefasster Planungsantrag wird im zweiten Halbjahr 2016 erwartet. 

Auch der sogenannte Korridor A, eine Leitung von Emden ins nordrhein-westfälische Osterath, wird demnach nicht 2022, sondern erst 2025 fertig. Die geplante Leitung von Osterath ins baden-württembergische Philippsburg braucht zwei Jahre mehr, bis 2021. Die Trasse SuedOstLink, die von Sachsen-Anhalt nach Niederbayern führt, wird dem Bericht zufolge erst 2025 fertig. Frühestens.

Wozu die neuen Leitungen?

In den kommenden Jahren ist der Neubau von 1700 Kilometern an Drehstromleitungen und 2100 Kilometern an Hochspannungs-Gleichstromleitungen erforderlich. So steht es im Netzentwicklungsplan (NEP). Außerdem sieht der Plan eine Netzverstärkung und Optimierung von 4400 km des vorhandenen Netzes in Deutschland vor. Die Kosten dafür werden mit 21 Milliarden Euro veranschlagt.

Der NEP stellt den Ausbaubedarf des deutschen Stromnetzes für die nächsten zehn Jahre dar. Er wird von den vier Übergangsnetzbetreibern Tennet TSO, 50Hertz Transmission, Amprion und TransnetBW aufgestellt. Diese vier Unternehmen teilen sich die Stromnetze in Deutschland regional auf. Mit dem NEP soll der sichere Betrieb und die Stromversorgung gewährleistet werden, bei gleichzeitig weiterem Ausbau erneuerbarer Energien und des europäischen Binnenmarktes.

Die Infrastruktur ist nicht zukunftssicher

Ursprünglich sollten die Nord-Süd-Leitungen fertig sein, wenn die letzten deutschen Kernkraftwerke 2022 vom Netz gehen. Viele der Atommeiler stehen im Süden der Republik. Um die Versorgung dort weiterhin zu gewährleisten, muss Strom durch das ganze Land dorthin geleitet werden.

Seit Jahrzehnten ist das Stromnetz darauf ausgerichtet, den Strom weniger großer Kohle-, Kern- und Gaskraftwerke zu verteilen. Von dort aus wird die Elektrizität auf bis zu 380.000 Volt hochtransformiert und in Höchstspannungsleitungen zu den Verbrauchszentren geleitet. In Umspannwerken wird der Strom wieder zurück auf eine niedrigere Spannung herabtransformiert und regional bis an die Steckdose verteilt. Besonders energiehungrige Industrieunternehmen werden teilweise auch direkt über Hochspannungsleitungen versorgt.

Dezentrale Stromproduktion

Solar- und Windkraftanlagen sind dezentral verteilt, dafür ist das Stromnetz nicht ausgelegt. Die hauptsächlich als Verteilnetz von Großkraftwerken aus konzipierte Infrastruktur muss zukünftig auch als Einspeisenetz taugen.

Große Windparks etwa werden oft in eher abgelegenen oder ländlichen Regionen errichtet, zum Beispiel an Küsten. Dort besteht aber kein hoher Strombedarf. Die dort vorhandenen Netze sind deshalb unterdimensioniert. Um die steigende Windstromeinspeisung aufzunehmen und in die Verbrauchszentren etwa im Ruhrgebiet oder Süddeutschland zu verteilen, braucht es leistungsfähigere Stromautobahnen.

Strom fließt über Ländergrenzen hinweg

Auch der mit der Liberalisierung des Strommarkts zunehmende europäische Stromhandel zieht Ausbaubedarf nach sich. Vorteil eines über Ländergrenzen hinweg verknüpften Stromnetzes: Über- und Unterkapazitäten können besser ausgeglichen werden, die Einspeisung des Stroms von Solar- und Windkraftanlagen lässt sich verstetigen.

Mit moderner Höchstspannungstechnik und Gleichstromkabeln lassen sich auch große Distanzen mit nur geringen Verlusten überbrücken. Selbst auf Entfernungen von 5000 Kilometern sind damit die Kosten geringer als die Speicherung des Stroms in Speicherkraftwerken, Transportverluste mit eingerechnet.

Wie kommt es zu der Verzögerung?

Es ist die geplante Verlegung der Leitungen unter der Erde, die für eine Verzögerung von mehreren Jahren sorgen soll. Betroffen sind vor allem die Verbindungen von Nord nach Süd. Dabei sind die unterirdischen Kabel umstritten.

„Von den 2009 geplanten 1876 Kilometern neuer Leitungen haben wir Ende 2015 gerade 558 geschafft - das ist enttäuschend“, zog der Präsident der Bundesnetzagentur, Jochen Homann Bilanz zum vergangenen Jahr. Inzwischen aber verteidigt er den von Bund und Ländern geforderten Vorrang für Erdkabel: „Erdkabel können uns helfen, Akzeptanz für den Netzausbau zu schaffen. Das Erdkabelgesetz verzögert den Netzausbau daher nicht, es macht ihn erst möglich.“

Erdkabel statt Strommasten

Der unterirdische Ausbau soll die Annahme der Megaprojekte bei den Menschen erhöhen. Allerdings sind dadurch nun „umfangreiche Neuplanungen“ nötig.  Zwar wird die Landschaft so nicht mit Hochspannungsleitungen „verunstaltet“, wie einige CSU-Politiker beklagten. Ansonsten haben die Erdkabel aber nur wenige Vorteile. Bis zu zehnmal teurer sollen sie sein, außerdem sind sie störanfälliger und schlecht zu warten.

Hochspannungsmasten sind gut zugänglich, sodass Pannen in der Regel innerhalb von Stunden behoben werden können. Reparaturen von Erdkabeln können jeweils mehrere Wochen dauern. Alle betroffenen Leitungen sollen die Elektrizität mit Gleichstrom-Technik übertragen, die ist besonders widerstandsarm.

Drei Monate für sechs Kilometer

Die Gesamtlänge der Leitungen, die sich aus dem Bundesbedarfsplangesetz ergeben, liegt aktuell bei etwa 6100 Kilometer. Davon werden etwa 3050 Kilometer als Netzverstärkung eingestuft. Die Gesamtlänge der Leitungen wird stark vom Verlauf der Nord-Süd-Korridore abhängen, und der ist noch nicht geklärt. Insgesamt sind bislang nur rund 350 Kilometer genehmigt und lediglich 65 Kilometer realisiert. Im ersten Quartal dieses Jahres wurden erst sechs Kilometer gebaut.

Ist die Energiewende gefährdet?

Es droht jedenfalls ein regelrechter Stromstau. Weil Regionen mit hohem Stromproduktion und und solche mit hohem Strombedarf häufig weit auseinander liegen, wird in mancherorts weit mehr Strom produziert als abtransportiert werden kann. Immer häufiger müssen die Betreiberfirmen deshalb eingreifen. Windparks werden in Zeiten hoher Netzauslastung vorübergehend gedrosselt oder ganz abgeschaltet.

Jeder Eingriff kostet Geld

Manchmal muss die Produktion auch kurzfristig gesteigert werden, um die Stabilität des Netzes zu gewährleisten. Diese Eingriffe gehen zu Lasten der Rentabilität. Je stärker die Kraftwerke reguliert werden müssen, desto teurer ist der Betrieb. Die Bundesnetzagentur warnt bereits vor Kosten von bis zu vier Milliarden Euro jährlich.

Regulatorischer Gegenwind

Auch die Neufassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes gefährdet das Vorankommen der Energiewende. Momentan werden Windkraftanlagen noch über einen festgelegten Abnahmepreis für Strom gefördert. Diese Subvention wird in den nächsten Jahren auf ein Ausschreibungsverfahren umgestellt: Wer die geringste öffentliche Unterstützung verlangt, erhält dann den Zuschlag.

Das erhöht das finanzielle Risiko für Investoren und verschlechtert die Planungssicherheit - das könnte zu einer weiteren Verlangsamung des Ausbaus regenerativer Energien führen. Der Erfolg der Energiewende hängt also nicht nur am Netzausbau, sondern auch am regulatorischen Umfeld für die neuen Energiequellen.

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