NetzDG 2.0 Union plant Gesetz gegen Lösch-Willkür auf Facebook

Soziale Netzwerke wie Facebook löschen auch Beiträge und sperren Profile, die nach deutschem Recht zulässig sind. Kritiker machen dafür die geltende Rechtslage verantwortlich. Die Union will das nun ändern.

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NetzDG: Behörde registriert kaum noch Beschwerden über Facebook Quelle: dpa

Berlin Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter müssen sich in Deutschland auf eine schärfere Regulierung einstellen. Nach dem Gesetz gegen Hass und Hetze im Internet (Netzwerkdurchsetzungsgesetz - kurz: NetzDG) erwägt die Unions-Bundestagsfraktion, den Plattformbetreibern weitere Vorgaben aufzubürden. Hintergrund sind Fälle, in denen etwa Facebook zu Unrecht Nutzer gesperrt hat.

„Wir müssen daher darüber nachdenken, wie Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt auf großen marktmächtigen Internetplattformen gesichert werden können“, sagte die rechtspolitische Sprecherin der Unions-Bundestagsfraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU), in einer am Freitag verbreiteten Mitteilung. „Dazu kann ein Rechtsanspruch der Nutzer gehören, ein solches soziales Netzwerk für den Meinungsaustausch nutzen zu können.“ Ein Netzwerkbetreiber dürfe dann „nicht willkürlich rechtmäßige Inhalte löschen“. Geschehe dies dennoch, könnte der Nutzer eine Wiederherstellung seines Beitrages verlangen.

Im Fall der Journalistin und Publizistin Birgit Kelle musste erst ein Rechtsanwalt eingeschaltet werden, damit Facebook ihre Seite wieder entsperrt. Kelle war vor wenigen Wochen von Facebook für sieben Tage mit der Begründung gesperrt worden, dass ihr Kommentar zu einer neuen, mit Hidschab verschleierten Barbiepuppe des Spielwarenherstellers Mattel, nicht den Gemeinschaftsstandards des Unternehmens entspreche.

Der Fall hatte scharfe Reaktionen im Netz ausgelöst. FDP-Generalsekretärin Nicola Beer nannte die Sperre von Kelle einen Witz. Und die CDU-Bundesvize Julia Klöckner fragte Facebook spöttelnd: „Werden umgekehrt auch die gesperrt, die sich über Barbies spärliche Bekleidung beschweren?“ Die Kritiker machten für das Vorgehen des Plattformbetreibers das NetzDG von Justizminister Heiko Maas (SPD) mitverantwortlich.

SPD und Union hatten das Gesetz in der Großen Koalition auf den Weg gebracht, um Online-Netzwerke zu einem härteren Vorgehen gegen Hetze im Internet zu verpflichten. Das als Facebook-Gesetz bekannt gewordene Regelwerk war Anfang Oktober mit einer Übergangsfrist in Kraft getreten und soll dazu führen, dass Online-Netzwerke wie Facebook, Twitter und YouTube klar strafbare Inhalte schneller löschen. Vom 1. Januar an soll eine Frist von 24 Stunden oder in komplizierten Fällen von einer Woche greifen. Bei systematischen Verstößen gegen die Vorgaben sind Bußgelder von bis zu 50 Millionen Euro vorgesehen.

Das Gesetz ist umstritten. Es hatte Widerstand von vielen Seiten gegeben. Kritiker warnen, dass die Fristen die Internetkonzerne dazu verleiten könnten, in unklaren Fällen eher zu löschen, um nicht Gefahr zu laufen, mit Geldstrafen belegt zu werden. Das Justizministerium konterte stets, es gehe nur um bereits strafbare Inhalte, Geldstrafen solle es nur bei systematischen Verstößen geben.

Auch die CDU-Politikerin Winkelmeier-Becker betonte mit Blick auf das NetzDG, dass immer nur ein bestimmter strafbarer Inhalt, also zum Beispiel ein Posting oder ein Bild, zu löschen sei. „Dagegen verlangt das Netzwerkdurchsetzungsgesetz weder die Löschung von Inhalten, die nach deutschem Recht zulässig sind, noch die Sperrung eines ganzen Nutzeraccounts“, sagte sie. Wenn dies geschehe, dann beruhe dies auf einer „eigenen Entscheidung des Plattformbetreibers, die möglicherweise von geschäftlichen Erwägungen oder vom US-amerikanischen Recht geprägt ist“.

Dieses „weite Ermessen“ von Unternehmen sei „ein Problem, wo eine Plattform bestimmte Kommunikationswege im Netz weitgehend monopolisiert“, so Winkelmeier-Becker. „Denn Nutzer fühlen sich dann der Willkür der Unternehmen ausgeliefert und es besteht dadurch tatsächlich die Gefahr, dass unerwünschte Meinungen unterdrückt werden.“


„Weniger Regulierung für Internetplattformen ist der falsche Weg“

Ähnlich hatte sich auch schon der Vize-Chef der Unions-Bundestagsfraktion, Stephan Harbarth, geäußert. „Der Fall von Frau Kelle belegt erneut, dass eine Rechtsordnung es nicht akzeptieren kann, wenn Facebook und andere Betreiber sozialer Netzwerke nach Gutsherrenart entscheiden, welche Äußerungen in einer freien Gesellschaft akzeptabel sind und welche nicht“, sagte der CDU-Politiker. Soziale Netzwerke bedürften daher der Regulierung, um Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechte auch im Internet zur Geltung zu bringen. „Andernfalls erhalten wenige große Konzerne ein Meinungsoligopol“, warnte der CDU-Abgeordnete.

Für die Union sei daher klar: „In der Welt des Internets müssen dieselben Rechtsgrundsätze gelten wie in der realen Welt. Was in der realen Welt erlaubt ist, muss auch im Netz erlaubt sein. Diese Grundsätze gelten auch für Facebook uneingeschränkt.“

Dagegen regt sich bei anderen Parteien Widerstand gegen das NetzDG. So fordert etwa die AfD die Aufhebung des Gesetzes. Die Fraktion brachte dazu kürzlich einen Antrag in den Bundestag ein, der an den Hauptausschuss überwiesen wurde. Die AfD-Abgeordnete Joana Eleonora Cotar kritisierte das Netzwerkdurchsetzungsgesetz als „unsägliches Zensurgesetz“, das zur „Abschaffung der Meinungsfreiheit in sozialen Netzwerken“ führe. Das sei eine „Schande für Deutschland“.

Politiker von SPD und Union wiesen die Zensur-Vorwürfe als völlig unzutreffend zurück und hielten der AfD vor, sie wolle nur dafür sorgen, dass Hetze und Hass im Netz weiter möglich seien und straflos blieben. Im Parlament kritisierten indes auch die anderen Fraktionen das Gesetz, allerdings mit anderer Stoßrichtung als die AfD. Die Linke etwa beklagte unter anderem die Gefahr, dass die Rechtsdurchsetzung privatisiert werde, und verlangte eine teilweise Aufhebung des Gesetzes. Das kommt für die Union nicht in Frage. „Weniger Regulierung für Internetplattformen, wie sie AfD, FDP und Linkspartei wollen, ist der falsche Weg“, sagte die CDU-Abgeordnete Winkelmeier-Becker. „Denn die Opfer von Straftaten im Netz dürfen nicht allein gelassen werden.“

Ab dem 1. Januar müssen die Plattformbetreiber nun leicht erreichbare und wirksame Beschwerdemöglichkeiten zur Verfügung stellen, damit Nutzer strafbare Inhalte melden können. Eingehende Beschwerden müssen unverzüglich zur Kenntnis genommen und auf ihre Berechtigung hin geprüft werden. Sofern ein geposteter Inhalt rechtswidrig ist, muss er von dem Plattformbetreiber gelöscht werden – in offensichtlichen Fällen innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde. Kommen die Provider ihren Pflichten zur Einrichtung von Beschwerdeverfahren nicht nach, müssen sie mit empfindlichen Bußgeldern rechnen.

Das Bundesamt für Justiz, das für die Rechtsdurchsetzung zuständig ist, stellt zum Jahresbeginn ein Online-Formular bereit, mit dem Internet-Nutzer Verstöße gegen das neue Gesetz gegen Hass im Netz melden können. So könnten Nutzer die Behörde unkompliziert darüber informieren, wenn soziale Netzwerke rechtswidrige Inhalte nicht im vorgeschriebenen Zeitraum löschen, teilte das Bundesamt (BfJ) kürzlich mit.

Bei Verstößen gegen die Löschfristen können Nutzer auf der Internetseite des BfJ künftig ein Online-Formular ausfüllen. Das BfJ prüft dann, ob es gegen das Unternehmen ein Bußgeldverfahren wegen Mängeln im Beschwerdemanagement einleitet. Das BfJ betonte aber, dass es selbst keine Einträge löschen könne.


„Die Opfer waren praktisch rechtlos gestellt“

Winkelmeier-Becker sagte, die neuen Regeln seien wichtig, da Internetplattformen in der Vergangenheit oftmals auf Beschwerden nicht reagiert hätten, obwohl die Inhalte nach dem deutschen Strafgesetzbuch eindeutig verboten waren. Als Beispiele nannte sie Bedrohungen, Beleidigungsdelikte, unbefugtes Verbreiten von privaten oder kompromittierenden Fotos oder Holocaustleugnung. „Die Opfer solcher Taten waren praktisch rechtlos gestellt, denn für sie war häufig schon nicht erkennbar, wie und von wem sie eine Entfernung des Inhalts verlangen können“, so die CDU-Politikerin. Es sei aber „nicht akzeptabel, wenn zum Beispiel eine Morddrohung oder ein Gewaltaufruf lange im Netz stehen“.

Winkelmeier-Becker betonte zugleich, dass mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz weder neue Verbote eingeführt, noch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschnitten würden. „Es geht vielmehr darum, dass das Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland auch im Internet durchgesetzt und dadurch die Interessen der Opfer von Straftaten geschützt werden.“

Das Gesetz sei zudem so gefasst worden, dass es für die Plattformbetreiber keinen Anlass gebe, in Zweifelsfällen vorsorglich auch rechtmäßige Inhalte zu löschen, um Bußgelder zu vermeiden. „Ein Bußgeld wird nur dann verhängt, wenn ein Plattformbetreiber systematisch gegen die gesetzlichen Pflichten verstößt, etwa wenn er keine Beschwerdemöglichkeiten zur Verfügung stellt oder Beschwerden generell nicht sachgerecht bearbeitet“, sagte Winkelmeier-Becker. Einzelfälle, in denen die Beurteilung immer schwierig, strittig oder auch einmal falsch sein könne, reichten für ein Bußgeld nicht.

Zudem bestehe die Möglichkeit, dass die sozialen Netzwerke die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle überantworten können, wie sie aus dem Jugendmedienschutz bekannt und bewährt sind.

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