NetzDG Staatsrechtler hält Anti-Hass-Gesetz für verfassungsgemäß

Dämpfer für die Kritiker des umstrittenen Facebook-Gesetzes: Für Staatsrechtler Wieland ist es „mit dem Grundgesetz vereinbar“.

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NetzDG: Behörde registriert kaum noch Beschwerden über Facebook Quelle: dpa

Berlin In diesem Jahr steht eine Evaluierung des heftig kritisierten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) gegen Hasskriminalität in sozialen Medien wie Facebook oder Twitter an. Der frühere Justizminister Heiko Maas (SPD) war wegen des Gesetzes von vielen Seiten schwer gescholten worden. Kritiker sehen durch das NetzDG die Meinungsfreiheit bedroht.

Auf die neue Justizminister Katarina Barley (SPD) kommt nun die Aufgabe zu, das Gesetz auf seine Wirksamkeit hin zu überprüfen und gegebenenfalls Konsequenzen zu ziehen. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu, man werde die Berichte, zu denen die Plattformbetreiber verpflichtet sind, sorgfältig auswerten „und zum Anlass nehmen, um das Netzwerkdurchsetzungsgesetz insbesondere im Hinblick auf die freiwillige Selbstregulierung weiterzuentwickeln“.

In eine Aufhebung des Gesetzes dürfte die Überprüfung aber wohl kaum münden. Zwar verwarf die Digital-Staatsministerin Dorothee Bär (CSU) die Vorschriften Anfang des Jahres noch als verfassungswidrig, doch der Staatsrechtler Joachim Wieland hält die Vorbehalte für unbegründet.

„Es ist mit dem Grundgesetz vereinbar, dass von Portalbetreibern gesetzlich verlangt wird, offensichtlich strafbare Inhalte binnen 24 Stunden zu löschen“, sagte der Professor an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer dem Handelsblatt. „In der Anfangsphase der Gesetzesanwendung wird es vermutlich Fehleinschätzungen geben, aber dass die Hürde der Offensichtlichkeit hoch ist, werden die Portalbetreiber auch bald aufgrund ihrer Erfahrungen feststellen.“

Dagegen wäre der Schaden für den Rechtsstaat und das Vertrauen in den Rechtsstaat in der Bevölkerung nach Einschätzung Wielands „wesentlich höher“, wenn offensichtlich strafbare Inhalte unbeanstandet im Netz zugänglich blieben.

Selbstverständlich sei eine „sachgerechte“ Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden auch für die Verfolgung von Straftaten im Netz erforderlich, fügte der Jurist hinzu. Das allein reiche aber nicht aus, weswegen auch das NetzDG nötig sei.

Angst vor übermäßigem Löschen und Sperren

Mit dem Gesetz, das zum Jahresbeginn in Kraft trat, soll die Flut der Hasskommentare auf Plattformen wie Facebook, Twitter oder Youtube eingedämmt werden. So mussten große Online-Netzwerke wie Facebook und Twitter einen Ansprechpartner für Behörden in Deutschland sowie ein Beschwerdemanagement einrichten. Sie sind nun auch verpflichtet, Einträge mit „offensichtlich rechtswidrigen Inhalten“ binnen 24 Stunden zu löschen. In komplexeren Fällen ist eine Frist von sieben oder mehr Tagen vorgesehen.

Kritiker wenden ein, dass damit auch bei den vielen nicht eindeutigen Fällen die Entscheidung einem privaten Unternehmen überlassen werde, das bei der Androhung von Bußgeldern in Millionenhöhe im Zweifel auch nicht eindeutige Einträge vom Netz nimmt. Bemängelt wird demnach ein übermäßiges Löschen oder Sperren von Inhalten („Overblocking“) ohne ausreichend Möglichkeiten zur Gegenwehr zu haben.

Die Bürgerrechtsorganisation Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) fordert deshalb, das Gesetz aufzuheben – zumindest teilweise. „Das NetzDG sollte mit Ausnahme des Paragrafen fünf außer Kraft Gesetz werden“, sagte der GFF-Vorsitzende Ulf Buermeyer dem Handelsblatt.

Er bezog sich dabei auf einen Passus im Gesetz, wonach die Plattformbetreiber für den Umgang mit den deutschen Behörden und Gerichten einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten benennen müssen. „Die verbesserten Pflichten der Netzwerke zur Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden sollten unbedingt in Kraft bleiben und Verstöße hiergegen konsequent geahndet werden“, so Buermeyer.

Rechtswidrige Beiträge sollten derweil durch die Strafverfolgungsbehörden konsequent geahndet werden. „Sollte dies sich mittelfristig – etwa nach zwei Jahren – als nicht als ausreichend erweisen, müsste neu nachgedacht werden“, fügte Buermeyer hinzu, der auch Richter am Landgericht Berlin ist.

Die zuletzt aufkeimende Kritik am Gesetz liegt indes aus Sicht Buermeyers „teils neben der Sache“, weil die Netzwerke das Gesetz „offenkundig mangelhaft, nämlich teils zu weit, teils zu wenig“, umsetzten. „Sperrungen von Accounts sieht das NetzDG beispielsweise gar nicht vor, trotzdem kamen fragwürdige Sperrungen vor, beispielsweise beim Account der Titanic“, sagte der Jurist. Die Löschfristen hält Buermeyer dennoch für „wenig hilfreich, weil sie zu dem auch von mir prognostizieren überschießenden Sperren von Beiträgen führen“. „Das NetzDG gibt also Anlass zu einer überschießenden Umsetzung.“

Auch der Staatsrechtler Wieland kann sich Korrekturen am Gesetz vorstellen. „Natürlich kann die Erfahrung in den kommenden Monaten lehren, dass bestimmte Modifikationen des Gesetzes sinnvoll sein könnten“, sagte der Jurist. „Der Gesetzgeber hat hier Neuland betreten und muss auch erst Erfahrungen sammeln.“
Davon könnten auch andere Ländern profitieren. Immerhin hat Frankreich jetzt entschieden, seine nationale Gesetzgebung für den Kampf gegen Hasskommentare in sozialen Medien zu verschärfen.

Die sozialen Medien seien keine Freiräume, warnte Regierungschef Édouard Philippe am Montag bei der Vorstellung eines Plans gegen Rassismus und Antisemitismus in Paris. „Alles, was in Frankreich publiziert und verbreitet wird, muss die Gesetze der Republik einhalten.“ Es scheine derzeit einfacher zu sein, ein Video eines Fußballspiels zurückzuziehen als antisemitische Äußerungen.

Die Mitte-Regierung werde in Brüssel zudem auf eine europäische Gesetzgebung dringen, so Philippe. Es gehe darum, dass Betreiber innerhalb kurzer Zeit Hasskommentare zurückziehen müssten.

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