Netzpolitik Warum Deutschland einen Digitalminister braucht

Deutschland steckt bei der Digitalisierung im Mittelmaß fest. Das belegen gleich mehrere neue Studien. Ein Digitalminister könnte helfen – wenn ein paar Bedingungen erfüllt sind.

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Alexander Dobrindt (CSU), Thomas de Maizière (CDU) und Sigmar Gabriel (SPD) stellen die Digitale Agenda der Bundesregierung vor. Quelle: dpa

Wenn Politiker über das Zauberwort Digitalisierung reden, beschwören sie gerne Superlative herauf. Deutschland brauche „das stärkste High-Speed-Netz der Welt“, verkündete Verkehrsminister Alexander Dobrindt kürzlich im Bundestag. Sigmar Gabriel will sich mit seinem Wirtschaftsministerium und der „Digitalen Strategie 2025“ an die „Spitze der Bewegung“ setzen. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel bemühte vergangene Woche auf einem Bildungsgipfel den Vergleich, ein Internetanschluss sei heute so normal wie der Zugang zu sauberem Wasser.  

Große Verheißungen, die mit der Realität in Deutschland allerdings nur bedingt zutun haben. Das belegen gleich zwei neue Studien. Die erste ist eine Auftragsarbeit für Vodafone - erstellt von der IW Consult, einer Tochter des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln.

Deutschland schneidet hier beim Thema Digitalisierung nur mittelmäßig ab. Größter Schwachpunkt: der Breitbandausbau. Vor allem auf dem Land fehlen demnach schnelle Leitungen. Bei der Anbindung mit zukunftsfähigen Glasfaserkabeln liegen sogar Staaten wie Slowenien oder Ungarn vor der Bundesrepublik. Die zweite Studie kommt vom Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW). Ihr Resümee: Mehr als die Hälfte von 100 befragten Unternehmen ist schlecht auf die Digitalisierung vorbereitet.

Die Studie: Der Weg in die Gigabitgesellschaft

Die zwei neuen Studien kommen von einem Kommunikationsunternehmen und einem Digitalverband – allerdings ziehen die Europäische Kommission und der Nationale Normenkontrollrat ähnliche Schlüsse. Im Digitalranking der Europäischen Kommission verbesserte sich Deutschland dieses Jahr zwar um einen Platz und liegt nun auf Rang neun von 28 Mitgliedsstaaten. Doch im Bereich Breitbandausbau hinkt die Republik anderen EU-Ländern weit hinterher.

Wenn es ums digitale Regieren geht, sieht die Lage noch schlechter aus: „E-Government in Deutschland gibt es de facto nicht“, bilanzierte der Vorsitzende des Nationalen Normenkontrollrates, Johannes Ludewig im April vor dem Ausschuss Digitale Agenda im Bundestag.

Mit den dürftigen Ergebnissen von heute fliegt der deutschen Politik nun um die Ohren, was sie vor drei Jahren verpatzt hat. Denn bei den Koalitionsverhandlungen im Jahr 2013 opferten CDU/CSU und SPD die Idee eines Digitalministers – und verteilten die Zuständigkeiten lieber wie gewohnt nach Proporz. Seitdem beackern das Thema gleich drei Minister: Alexander Dobrindt (CSU) soll das Breitband-Netz ausbauen, Sigmar Gabriel (SPD) die deutsche Wirtschaft für den digitalen Wandel begeistern und Thomas de Maizière (CDU) das Netz gegen Terroristen und Hacker abschirmen. Drei Politiker, drei Ministerien, drei Parteien: Kein Wunder, dass dieses Konstrukt nur schwerfällig läuft.

Am deutlichsten wurde das beim Thema Störerhaftung. Über zwei Jahre zofften sich Union und SPD über den Zugang zu öffentlichen Netzen. Das entsprechende Telemediengesetz wurde mehrfach geändert. Erst als der Europäische Gerichtshof drohte, die Störerhaftung zu kippen und Angela Merkel ein Machtwort sprach, einigten sich Alexander Dobrindt und Sigmar Gabriel im Mai auf einen passenden Gesetzesentwurf.

Beim Thema Breitbandausbau schwelt schon der nächste Brand. Während Verkehrsminister Dobrindt das 2,7 Milliarden schwere Förderprogramm der Regierung als wegweisenden Schritt in die Gigabitgesellschaft feiert, fordert Wirtschaftsminister Gabriel in seiner „Digitalen Strategie 2025“ ein Investitionsprogramm von zehn Milliarden Euro für den Breitbandausbau auf dem Land. Indirekt kritisiert Gabriel damit nicht nur das Förderprogramm der eigenen Regierung, sondern wildert auch in Kompetenzbereichen, die eigentlich Verkehrs- und Breitbandminister Dobrindt vorbehalten sind.

Netzpolitiker fordern Digitalminister

Um den ewigen Zwist in der nächsten Legislaturperiode zu verhindern, fordern Netzpolitiker aller Fraktionen, was die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ schon vor drei Jahren empfohlen hatte: einen alleinigen Ansprechpartner in der Regierung, der digitale Themen auch am Kabinettstisch durchsetzen kann.

Lars Klingbeil, netzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, geht mit seinen Überlegungen am weitesten: „Es muss ein Ministerium geben, das die Koordination beim Thema Digitalisierung übernimmt“, fordert er. Klingbeil betont zwar pflichtbewusst, dass es nicht darum gehe, anderen Ministerien Themen wegzunehmen. „Aber es gibt gute Gründe für einen Digitalminister, der die Digitale Agenda der kommenden Jahre verantwortet und koordiniert.“

Wie würde so ein Ministerium konkret aussehen? „Die Aufgabe könnte ein neues Ministerium übernehmen – oder das Thema wird bei einem schon bestehenden Ministerium wie dem Wirtschaftsministerium angegliedert“, sagt Klingbeil. Genau jenem Wirtschaftsministerium also, das eine eigene Digitalstrategie entwirft und in den Bereichen anderer Ministerien wühlt.

Was das Wirtschaftsministerium in punkto digitales Zeitalter beschäftigt

Auch um solchen Gedankenspielen möglicherweise vorzubeugen, plädiert Thomas Jarzombek, netzpolitischer Sprecher der CDU/CSU, für eine andere Lösung. Jarzombek teilt Klingbeils Analyse, doch statt eines Digitalministers spricht er sich explizit für einen Staatsminister für Digitales aus – so wie es ihn heute schon für Kultur und Medien gibt. Der hätte zwar nicht die Macht eines Beamtenapparates hinter sich, dafür liefen die Bemühungen aller Ministerien zumindest in einer Person zusammen.   

Es kommt auf die Einstellung an 

Ob es einen Digitalminister, einen Staatsekretär für Digitales oder eine andere Lösung gibt, ist nach Ansicht vieler IT-Experten ohnehin zweitrangig. "Wichtig ist, dass die Digitalisierung eine politische Priorität geworden ist", sagt BVDW-Präsident Matthias Wahl. Ihm geht es darum, die digitalen Kompetenzen in einer Hand zu bündeln.

Diese Städte sind digitale Vorreiter
Menschen mit Laptops und Smartphones Quelle: dpa
Der Schlossplatz in Stuttgart Quelle: dpa
Luftaufnahme Dresden Quelle: dpa
Wuppertaler Schwebebahn Quelle: AP
Touristen vor dem Brandenburger Tor Quelle: dpa
Luftaufnahme Leipzig Quelle: dpa
Düsseldorf Quelle: dpa

Während die Internet Economy Foundation um Ralph Dommermuth, Oliver Samwer und Rene Obermann explizit einen Digitalminister fordert, hat sich der Branchenverband Bitkom mittlerweile sogar mit der Aufteilung auf die verschiedenen Ressorts arrangiert. „Wettbewerb belebt das Geschäft“, sagt Joachim Bühler, der bei dem Verband für Wirtschaft und Politik zuständig ist.

Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Grünen, dagegen ärgert sich bis heute, dass es keinen zentralen Ansprechpartner gibt. Die Mitglieder der Enquete-Kommission hätten sich vor drei Jahren fraktionsübergreifend darauf verständigt, dass es zumindest eine Person am Kabinettstisch braucht, die digitalpolitische Belange koordiniert. „Leider hat die Bundesregierung das in den Wind geschlagen – und jeder kocht nun sein eigenes netzpolitisches Süppchen.“

Was dabei herauskommt, beschreibt Wolfgang Heer vom Bundesverband Glasfaseranschluss, wenn er die Fortschritte der Regierung beim Breitbandausbau kommentiert: „Insgesamt hat sich da schon etwas getan“, sagt er. „Das ist aber nicht wegen einer besonderen Breitband-Politik passiert – sondern trotzdem.“

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