Neuauflage der Groko? SPD in der Zwickmühle

Nimmt der Bundespräsident seine alten Parteifreunde aus der SPD in die Pflicht? Die Sozialdemokraten sind aufgewühlt. Ist eine neue Groko Chance oder Untergang? Die Union umwirbt schon den alten Partner.

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Martin Schulz bei Frank-Walter Steinmeier Quelle: dpa

Berlin Die SPD ringt bei der Frage einer Neuauflage einer großen Koalition um einen einheitlichen Kurs. Der Vize-Chef der Bundestagsfraktion, Karl Lauterbach, hält Schwarz-Rot für möglich. „Wir werden, wenn überhaupt nichts anderes geht, auch noch mal über eine große Koalition nachdenken müssen“, sagte der Politiker vom linken Parteiflügel am Donnerstag im ZDF. Dann müsse aber mit der CDU vor allem über soziale Themen gesprochen werden. Am Donnerstagnachmittag wurde SPD-Chef Martin Schulz zu einem Gespräch bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erwartet. Die Union verkündet bereits, die Türen für die SPD stünden offen.

Steinmeier dürfte seinen Parteifreund Schulz an die staatspolitische Verantwortung der Sozialdemokraten erinnern. Die SPD hatte unmittelbar nach ihrem Absturz bei der Bundestagswahl auf 20,5 Prozent eine große Koalition ausgeschlossen und dies Anfang der Woche bekräftigt. Seitdem ist in der Partei aber eine heftige Debatte entbrannt, die auch dem Vorsitzenden Schulz gefährlich werden könnte.

In SPD-Kreisen wird davon ausgegangen, dass Steinmeier Schulz die Botschaft an die Genossen mit auf den Weg gibt, dass trotz des Scheiterns der Jamaika-Verhandlungen Neuwahlen nicht im Interesse des Landes seien. Nach dem Termin in Schloss Bellevue wird Schulz am späten Donnerstagnachmittag die engere Parteiführung bei einer Sitzung im Willy-Brandt-Haus über die Unterredung mit Steinmeier unterrichten.

Mit raschen Festlegungen werde dabei nach derzeitigem Stand nicht gerechnet, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus SPD-Kreisen. Die Sozialdemokraten müssten in Ruhe alle Optionen bewerten, die auf dem Tisch lägen. Vor allem müsse aus der Führung das Signal an die aufgewühlte Partei ausgesendet werden, dass es einen geordneten Prozess ohne Vorfestlegungen gebe. Am 7. Dezember beginnt in Berlin der dreitägige Bundesparteitag der Sozialdemokraten, wo auch die Führungsmannschaft neu gewählt wird.

Hamburgs Regierungschef, Parteivize und Schulz-Rivale Olaf Scholz ließ sich am Mittwochabend in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ nicht in die Karten gucken: „Man kann sich darauf verlassen, dass die SPD verantwortlich mit der Situation umgehen wird.“ Auf die Frage, ob er schon darüber nachgedacht habe, Parteivorsitzender zu werden, antwortete Scholz: „Ich glaube, es ist wichtiger darüber zu reden, was anliegt.“ Auch Neuwahlen sind für ihn unverändert eine Option: „Es wäre falsch zu sagen, dass das keine Möglichkeit ist.“

Die Union beginnt bereits, die SPD zu umgarnen. CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder sagte der „Südwest Presse“, er würde sich freuen, „wenn sich die bisherigen Partner in der Bundesregierung wieder zusammenfänden“. Gerade die großen Parteien, die die Geschichte der Bundesrepublik geprägt hätten, „haben nach diesem Wahlergebnis eine besondere Verantwortung, dem Land eine gute Regierung zu stellen“. Die Union stehe für jedes Gespräch zur Verfügung.


SPD sieht keinen Zeitdruck

In der SPD wird neben einer Groko auch die Möglichkeit diskutiert, eine ausschließlich mit CDU-Ministern besetzte und von Kanzlerin Angela Merkel angeführte Minderheitsregierung zu tolerieren. Scholz sagte dazu aber: „Ich bin sehr sehr skeptisch, was eine Minderheitsregierung betrifft.“ Europa brauche eine stabile Regierung in Deutschland. Das sieht auch CDU-Bundesvize Volker Bouffier so. Der hessische Ministerpräsident erteilte einer Minderheitsregierung im Bund eine klare Absage.

Grundsätzlich betonen die Sozialdemokraten, es gebe keinen Zeitdruck, weil es eine geschäftsführende Bundesregierung gebe und Deutschland handlungsfähig sei. Das ist nur die halbe Wahrheit: Bis zum SPD-Parteitag in zwei Wochen muss sich die Führung klar darüber werden, ob und wie sie in mögliche Sondierungsgespräche mit der Union geht – und ob Schulz dafür der richtige Spitzenmann ist. Vor allem in der Bundestagsfraktion gibt es teils harsche Kritik an Schulz, der sich zu schnell auf die Option Neuwahlen festgelegt habe.

Vor seinem Treffen mit Steinmeier hatte Schulz eine konstruktive Rolle seiner Partei bei der Suche nach einer stabilen Regierung zugesichert. „Die SPD ist sich vollständig ihrer Verantwortung in der momentan schwierigen Lage bewusst“, hatte er am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur gesagt. „Ich bin sicher, dass wir in den kommenden Tagen und Wochen eine gute Lösung für unser Land finden.“

Der Schatzmeister der Brandenburger SPD, Harald Sempf, fordert von der Bundes-SPD Sondierungsgespräche mit der CDU. „Ich bin schon der Meinung, dass man sich vor der Verantwortung nicht drücken darf“, sagte Sempf der Deutschen Presse-Agentur. „Es geht schlicht nicht anders.“

Anhänger von Union und SPD fordern nach dem Jamaika-Aus überwiegend eine Neuauflage der großen Koalition. Wie eine Umfrage von Kantar Emnid für die Funke Mediengruppe ergab, sind 38 Prozent der CDU/CSU-Anhänger für ein erneutes Bündnis mit der SPD, 28 Prozent für Neuwahlen, 16 Prozent für eine Minderheitsregierung mit den Grünen. Bei den SPD-Wählern wünschen sich 36 Prozent eine große Koalition, ebenso viele sprechen sich für Neuwahlen aus - 17 Prozent befürworten eine Minderheitsregierung aus Union und Grünen.

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