Neue Deutsche Welle Vom Banker zum Denker

Der Finanz- und Fusionsexperte Michael Grote schaut dorthin, wo es in der Ökonomie noch weiße Flecken gibt – er nimmt die Börsen wissenschaftlich unter die Lupe.

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Michael Grote

Die im Hörsaal versammelten Studenten sind früh auf den Beinen. Am Wohnblock neben der Frankfurt School of Finance & Management rasseln gerade die ersten Rollläden hoch, trotzdem läuft der Lehrbetrieb schon auf Hochtouren. Die emsigen Hörer glänzen mit frisch gebügelten Hemden und artigen Frisuren. Nur einer sticht aus der Menge hervor – mit Vollbart und Dreadlocks bis über die Kniekehlen. Ein Soziologe, der sich ins falsche Seminar verirrt hat? Nein, die üppige Haar- und Bartpracht ist das Markenzeichen von Professor Dr. Michael H. Grote. Der Mann ist Finanz- und Fusionsexperte. Er hält die heutige Vorlesung über Unternehmenskäufe.

Nicht nur die für einen Wissenschaftler außergewöhnliche Frisur macht den 39-Jährigen so besonders. Grotes Forschung stößt in eine Lücke der modernen Ökonomie: Gängige Modelle behandeln die Finanzmärkte als Blackbox und unterstellen stets effiziente Anpassungsprozesse. Die Finanzkrise hat indes gezeigt, wie gefährlich es ist, das Eigenleben der Märkte zu vernachlässigen.

Grote leistet auf diesem Gebiet Pionierarbeit. Er untersucht etwa, was passiert, wenn sich börsennotierte Konzerne Übernahmeschlachten liefern. „Den Kauf der Dresdner Bank durch die Commerzbank erkennen auch Laien schon auf den ersten Blick als Verlustgeschäft“, sagt der Ökonom. Die Analyse spektakulärer Einzelfälle sei daher weniger interessant und anspruchsvoll. Grote sucht stattdessen nach Mustern, die alle Transaktionen gemeinsam haben.

Er und sein Team durchforsten mithilfe selbst geschriebener ökonometrischer Software große Datenbanken, in denen unzählige Deals gespeichert sind. Es zeigt sich, dass die Aktionäre oft Geld verlieren, wenn die fusionierten Unternehmen geografisch nah zusammenliegen. Die Manager vernichten mit solchen Deals offenbar Firmenwert, nur um ihren persönlichen Einfluss und ihr lokales Netzwerk zu stärken.

Drang nach Wissen

Bei seiner wissenschaftlichen Arbeit kommt Grote zugute, dass er die Bank- und Börsenwelt aus eigener Anschauung kennt.

Schon während seiner Schulzeit jobbte er für die Deutsche Bank als Börsenbote auf dem Frankfurter Parkett. Nach dem Abitur absolvierte er zunächst eine Ausbildung zum Bankkaufmann, ebenfalls bei der Deutschen Bank. Doch dann schreibt sich Grote zum Studium an der Goethe-Universität ein und stemmt gleich zwei Studiengänge – Volkswirtschaft und Politik.

Was treibt den jungen Mann aus dem Taunus zu diesem akademischen Eifer, wo ihm doch eine Karriere als Broker oder Banker passend auf den Leib geschneidert scheint?

„Der Drang nach Wissen“, sagt Grote. „An der Börse kann man im Idealfall reich werden, doch wie Kapitalmärkte funktionieren, versteht man nur dank Forschung.“ Später entstand der Wunsch, Wissen weiterzugeben. „Lehre macht mir Spaß, auch deshalb bin ich Hochschullehrer statt Banker geworden.“

Die Begeisterung hat sich ausgezahlt: Zahlreiche seiner Lehrveranstaltungen sind von den Universitäten und in studentischen Bewertungsplattformen als herausragend gekürt worden. Das „Handelsblatt“-Ranking der forschungsstärksten deutschsprachigen Wirtschaftswissenschaftler führte ihn 2009 unter den besten zehn Prozent. Als nach dem Lehman-Schock im Herbst 2008 viele Bankenbosse in Deckung gingen, gehörte Grote zu den ersten deutschen Top-Ökonomen, die sich zur Finanzkrise äußerten.

Seit gut einem halben Jahr ist Grote Vizepräsident der Frankfurt School of Finance & Management und leitet dort das Institut für Private Equity und Fusionsforschung. Die renommierte Privathochschule holte den Wissenschaftler Mitte 2008 vom Westend ins Ostend. Grote war damals Juniorprofessor an der Goethe-Universität und lehrte Fusionen und Übernahmen im Mittelstand.

Dass er in Frankfurt blieb, war kein Zufall. Es gab zwar auch andere attraktive Angebote von der Universität Witten/Herdecke oder der Zeppelin University. Doch ein Kapitalmarktexperte findet eben kaum einen besseren Forschungsstandort als die Mainmetropole mit dem deutschen Finanzzentrum direkt vor der Haustür. Grote: „Wenn ich mich hier mit Bankern treffen will, gehe ich einfach in die ‚Freßgass‘ gleich an der Börse.“

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