Neue Energiewende Gewerkschaftschef Vassiliadis fordert Schutz für heimische Kohle

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"Braunkohle ist unverzichtbar"

Doch damit hat Vassiliadis kein Problem. Für ihn ist sowieso die heimische Braun- und Steinkohle noch viele Jahre als Brückentechnologie unverzichtbar für eine sichere und bezahlbare Stromversorgung, wenn in 2022 hierzulande das letzte Atomkraftwerk vom Stromnetz geht. Länger als ein paar Jahre aber wird sich auch die Kohleverstromung in Deutschland, die den Stromkonzernen noch gute Gewinne einbringt, wirtschaftlich nicht mehr tragen. Das weiß auch Vassiliadis. Gebraucht werde sie aber dann trotzdem noch, um die Grundversorgung an Strom sicherzustellen, ist sich der Gewerkschafter sicher.

Deshalb fordert der Gewerkschaftsboss: Um die Kohleverstromung auch in fünfzehn Jahren noch finanzieren zu können, sollten die Erträge der Energieversorger aus der Kohleverstromung in einen Fonds oder eine Stiftung ausgelagert werden. Dort sollen sie an den Finanzmärkten angelegt und angespart werden.

Vassiliadis will keine weiteren Klimaauflagen für die Kohlekonzerne

Das in den nächsten fünfzehn Jahren auf diese Weise angesparte Vermögen, könne dann, wenn sich die Kohleverstromung nicht mehr rechne, zur Finanzierung der Betriebe sowie für den Rückbau der Kraftwerksanalgen und für die Rekultivierung der Tagebau genutzt werden. Das klappe natürlich nur, wenn die Politik das Stromgeschäft mit Kohle nicht durch weitere Auflagen ruiniere, so Vassiliadis.

So soll das deutsche Klimaziel erreicht werden
Energieeffizienz25 bis 30 Millionen Tonnen an Kohlendioxid (CO2) sollen durch mehr Energieeffizienz eingespart werden. Für diesen größten Einzelposten im Aktionsprogramm legte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) den „Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz“ (NAPE) vor. Ein Kernpunkt ist mehr Effizienz durch Gebäudesanierung, um den Verbrauch für Heizung und Warmwasser zu senken. Hier sollen mit Hilfe steuerlicher Anreize pro Jahr drei bis vier Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Quelle: dpa
StromerzeugungDie Regierung nimmt auch den Energiesektor in die Pflicht. Zwischen 2016 und 2020 sollen die Unternehmen zusätzlich 22 Millionen Tonnen CO2 einsparen – wie, bleibt ihnen selbst überlassen. Im Aktionsprogramm wird zudem das Ziel bekräftigt, den Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch bis 2025 auf mindestens 40 Prozent und bis 2050 auf 80 Prozent zu steigern. Die Kraft-Wärme-Kopplung soll ausgebaut werden. Quelle: dpa
Verkehr IDer Verkehrssektor soll ein Minus von sieben bis zehn Millionen Tonnen CO2-Ausstoß beitragen. Den größten Anteil soll nach Angaben aus Regierungskreisen die Ausweitung der künftig nach Energieverbrauch gestaffelten Lkw-Maut auf Fahrzeuge ab 7,5 Tonnen und ab 2018 auf alle Bundesstraßen bringen. Außerdem soll die Hybridtechnik bei Nutzfahrzeugen gefördert und der Schienengüterverkehr durch Beseitigung von Netzengpässen gestärkt werden. Regionalisierungsmittel für öffentliche Verkehrsmittel sollen erhöht und an Fahrgastzahlen sowie Emissionssenkung gekoppelt werden. Autofahrer sollen Gutscheine für Sprit-Spar-Trainings erhalten. Quelle: dpa
Verkehr IIAußerdem hält die Regierung an dem Ziel fest, den Marktanteil von Elektrofahrzeugen bis 2020 auf deutlich über eine Million Fahrzeuge zu erhöhen. Um das zu erreichen, ist im gewerblichen Bereich beispielsweise für Fuhrparks und Paketdienste die steuerliche Abschreibung vorgesehen. Bislang werden jährlich nur einige tausend E-Autos zugelassen. Quelle: dpa
Industrie, Gewerbe, AbfallwirtschaftAbfallvermeidung soll knapp zwei Millionen Tonnen CO2-Minderung bringen. Geplant ist ein neues Wertstoffgesetz statt der geltenden Verpackungsverordnung. In Kühlanlagen sollen besonders klimaschädliche Gase durch Verordnungen verdrängt werden. Das Äquivalent von mindestens minus zwei Millionen Tonnen CO2 soll die Minderung des Methanausstoßes von Deponien bringen, vor allem durch bessere Belüftung. Quelle: dpa
LandwirtschaftHier sollen 3,6 Millionen Tonnen eingespart werden. Strengere Regeln für den Einsatz von Düngemitteln sollen die Emissionen von Stickoxiden mindern – auch durch gasdichte Lagerung und bessere Ausbringungstechniken. Der Flächenanteil von Öko-Landbau soll erhöht, Grünland-Umbruch soll eingeschränkt und Moore sollen renaturiert werden. Quelle: dpa
Weitere MaßnahmenDaneben setzt das Umweltministerium auf neue Programme zur Förderung energiesparenden Verhaltens von Bürgern und Unternehmen und auf die Vorbildfunktion des öffentlichen Sektors. Auch Programme aus dem Bereich Forschung und Entwicklung sollen zur CO2-Minderung beitragen. Quelle: dpa

Wahrlich ein kühner Plan: Er kommt einer Verstaatlichung der Konzerne gleich, die noch fossile Stromerzeugung in ihrem Portfolio betreiben. Für Energieriesen wie RWE sind die Kohlekraftwerke dringend benötigte Ertragsbringer. Diese Erträge sollen RWE wie auch Braunkohleproduzent Vattenfall in einen Fonds oder eine Stiftung abgeben? Dann bliebe etwa dem Ruhkonzern noch weniger Geld für Investitionen in erneuerbare Energien.

Noch habe er den Stromkonzernen seinen Vorschlag nicht unterbreitet, gibt Vassiliadis zu. Aber mit den zuständigen Energieministern habe er bereits über seinen Vorschlag gesprochen. Die seien „interessiert“ gewesen. Mit allen Beteiligten solle nun in Ruhe ein Modell entwickelt werden.

Die letzten Kernkraftwerke
AKW Grafenrheinfeld in Bayern Quelle: Creative Commons
Kernkraftwerk Gundremmingen Quelle: dpa/dpaweb
Kernkraftwerk Philippsburg Quelle: dpa
Kernkraftwerk Brokdorf Quelle: dpa
Kernkraftwerk Grohnde Quelle: dpa
Kernkraftwerk Neckarwestheim Quelle: dpa
Kernkraftwerk Isar II Quelle: dpa

Einseitige Ausstiege aber seien mit ihm nicht zu machen, kündigte Vassiliadis schon mal an. Strikt wendet er sich gegen den Ausstiegsplan aus der Stromerzeugung mit Kohle wie ihn vor einigen Wochen die Berliner Denkfabrik Agora vorgestellt hatte. Danach soll spätestens bis 2040 Schluss mit der fossilen Stromerzeugung aus Kohle und Braunkohle. Agora schlägt außerdem einen Strukturfonds in Höhe von 250 Millionen Euro vor. Viel zu wenig, findet Vassiliadis.

Vassiliadis hatte vergangenes Jahr entscheidend an der Abwehr der von Minister Gabriel geplanten Klimaabgabe mitgewirkt. Danach sollten die Braunkohlekraftwerke eine Strafgebühr zahlen, die besonders viel Kohlendioxid in die Atmosphäre pusten und damit die CO2-Emissionen in Deutschland erheblich erhöhen. Letztlich ließ sich Gabriel vom massiven Protest seitens der Konzerne und dem Gewerkschaftschef weichklopfen. Nun erhalten RWE, Vattenfall und die Mibrag insgesamt einen dreistelligen Millionenbetrag dafür, dass sie einige ihrer fossilen Meiler zunächst als Reserve bereithalten und später ganz abschalten.

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