Ein Dorn im Auge ist die Energiepolitik der Bundesregierung dem Chef der Gewerkschaft Bergbau Chemie und Energie Michael Vassiliadis schon lange. Die Politik von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, immerhin SPD-Parteigenosse, verglich der Gewerkschaftschef kürzlich mit der Planwirtschaft in der Ex-DDR. Alle Energiekonzerne litten sehr unter den politischen Eingriffen in den Markt, und der Energiekonzern RWE sei deshalb in echter Not. Die Regierung mache Vorgaben, die Folgen müssten andere ausbaden.
Jetzt fordert Vassiliadis einen radikalen Schwenk bei der Energiewende. Und empfiehlt genau das, was er selbst kritisiert: eine staatlich gelenkte Neupositionierung bei der Energiewende, mit der die Politik erneut massiv in den Markt eingreift.
Vassiliadis fordert Fahrplan für Leitungs- und Speicherbau
Investitionen in Speicher für Ökostrom und in den Netzausbau müsse die politische Leitlinie für das kommende Jahrzehnt sein, sagte Vassiliadis am Freitagabend vor Journalisten. Wind- und Sonnenstrom müsse gespeichert und dorthin transportiert werden können, wo er gebraucht wird – vor allem in den Süden Deutschlands, also dorthin, wo der Ökostrom aus den Windkraftanlagen im Norden dringend gebraucht wird, um eine sichere Stromversorgung zu gewährleisten. wenn in sieben Jahren das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet wird.
Die Bundesregierung müsse einen „Fahrplan für einen beschleunigten Leitungs- und Speicherbau aufstellen“, so Vassiliadis. Um die Industrie bei der Entwicklung solcher Speicher zu unterstützen, solle die Bundesregierung Speicherstrom von staatlichen Auflagen wie Netzentgelt und der Umlage für das Erneuerbare-Energien-Gesetz befreien. Schon der Wegfall dieser Kosten würde ein neues Geschäftsfeld eröffnen und Investitionen in neue Speichertechnologien anstoßen.
Neue Speichertechnologien sind zweifelsohne dringend notwendig. Richtig ist auch: Der Ausbau von Ökostrom hält mit dem Ausbau der Stromnetze nicht stand.
"Braunkohle ist unverzichtbar"
Doch damit hat Vassiliadis kein Problem. Für ihn ist sowieso die heimische Braun- und Steinkohle noch viele Jahre als Brückentechnologie unverzichtbar für eine sichere und bezahlbare Stromversorgung, wenn in 2022 hierzulande das letzte Atomkraftwerk vom Stromnetz geht. Länger als ein paar Jahre aber wird sich auch die Kohleverstromung in Deutschland, die den Stromkonzernen noch gute Gewinne einbringt, wirtschaftlich nicht mehr tragen. Das weiß auch Vassiliadis. Gebraucht werde sie aber dann trotzdem noch, um die Grundversorgung an Strom sicherzustellen, ist sich der Gewerkschafter sicher.
Deshalb fordert der Gewerkschaftsboss: Um die Kohleverstromung auch in fünfzehn Jahren noch finanzieren zu können, sollten die Erträge der Energieversorger aus der Kohleverstromung in einen Fonds oder eine Stiftung ausgelagert werden. Dort sollen sie an den Finanzmärkten angelegt und angespart werden.
Vassiliadis will keine weiteren Klimaauflagen für die Kohlekonzerne
Das in den nächsten fünfzehn Jahren auf diese Weise angesparte Vermögen, könne dann, wenn sich die Kohleverstromung nicht mehr rechne, zur Finanzierung der Betriebe sowie für den Rückbau der Kraftwerksanalgen und für die Rekultivierung der Tagebau genutzt werden. Das klappe natürlich nur, wenn die Politik das Stromgeschäft mit Kohle nicht durch weitere Auflagen ruiniere, so Vassiliadis.
Wahrlich ein kühner Plan: Er kommt einer Verstaatlichung der Konzerne gleich, die noch fossile Stromerzeugung in ihrem Portfolio betreiben. Für Energieriesen wie RWE sind die Kohlekraftwerke dringend benötigte Ertragsbringer. Diese Erträge sollen RWE wie auch Braunkohleproduzent Vattenfall in einen Fonds oder eine Stiftung abgeben? Dann bliebe etwa dem Ruhkonzern noch weniger Geld für Investitionen in erneuerbare Energien.
Noch habe er den Stromkonzernen seinen Vorschlag nicht unterbreitet, gibt Vassiliadis zu. Aber mit den zuständigen Energieministern habe er bereits über seinen Vorschlag gesprochen. Die seien „interessiert“ gewesen. Mit allen Beteiligten solle nun in Ruhe ein Modell entwickelt werden.
Einseitige Ausstiege aber seien mit ihm nicht zu machen, kündigte Vassiliadis schon mal an. Strikt wendet er sich gegen den Ausstiegsplan aus der Stromerzeugung mit Kohle wie ihn vor einigen Wochen die Berliner Denkfabrik Agora vorgestellt hatte. Danach soll spätestens bis 2040 Schluss mit der fossilen Stromerzeugung aus Kohle und Braunkohle. Agora schlägt außerdem einen Strukturfonds in Höhe von 250 Millionen Euro vor. Viel zu wenig, findet Vassiliadis.
Vassiliadis hatte vergangenes Jahr entscheidend an der Abwehr der von Minister Gabriel geplanten Klimaabgabe mitgewirkt. Danach sollten die Braunkohlekraftwerke eine Strafgebühr zahlen, die besonders viel Kohlendioxid in die Atmosphäre pusten und damit die CO2-Emissionen in Deutschland erheblich erhöhen. Letztlich ließ sich Gabriel vom massiven Protest seitens der Konzerne und dem Gewerkschaftschef weichklopfen. Nun erhalten RWE, Vattenfall und die Mibrag insgesamt einen dreistelligen Millionenbetrag dafür, dass sie einige ihrer fossilen Meiler zunächst als Reserve bereithalten und später ganz abschalten.