Neue EU-Richtlinie Reisebüros in der Haftungsfalle

Die EU definiert den Begriff der Pauschalreise neu und könnte damit Reisebüros in die Bredouille bringen. Die Branche fürchtet, künftig für Mängel haften zu müssen. Nun soll die Bundesregierung helfen. Doch die winkt ab.

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Die Arbeit für Reisebüros, die Einzelleistungen für ihre Kundschaft zusammenstellen und verkaufen wollen, dürfte durch die neuen Regelungen aufwändiger werden. Quelle: dpa

Berlin Der Deutsche Reise-Verband (DRV) schlägt Alarm: Die Pauschalreiserichtlinie der EU, die im vergangenen Jahr geändert wurde und nun in deutsches Recht umgesetzt werden muss, könnte vielen Reisebüros die Existenz kosten. Grund: Die neue Richtlinie erweitert den Pauschalreisebegriff und sieht besondere Regeln für so genannte verbundene Reiseleistungen vor.

Beim Verkauf von Einzelleistungen, etwa Flug oder Hotel von unterschiedlichen Anbietern, bestehe nun die Gefahr, dass Reisebüros dann rechtlich wie ein Reiseveranstalter behandelt würden, warnt DRV-Vizepräsident Ralf Hieke im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Das heißt also, sie wären für den reibungslosen Ablauf der Reise verantwortlich und würden gegebenenfalls haften.“ Eine solche Veranstalterhaftung lässt sich zwar umgehen, wäre aber „sehr aufwändig und bürokratisch“, sagt DRV-Vize Andreas Heimann.

Weitere Belastungen entstünden dadurch, dass sich Reisebüros mit zusätzlichen Versicherungen gegen mögliche Haftungsrisiken absichern müssten. „Für viele Reisebüros wäre all dies kaum zu schultern und somit sogar existenzbedrohend. Denn sie müssten sich fragen, ob ihr Geschäftsmodell in der bisherigen Form noch wirtschaftlich ist“, ist Heimann überzeugt. Er erwarte daher von der Bundesregierung, dass sie sich für eine „verträglichere Lösung“ einsetzt.

Allerdings lassen die EU-Vorgaben den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung in nationales Recht praktisch keinen Spielraum. „Die so genannten verbundenen Reiseleistungen sind rechtlich ein kniffliger Punkt“, räumt  der Staatssekretär im Justiz- und Verbraucherministerium, Gerd Billen, zwar ein. Änderungen am Referentenentwurf schließt er aber aus. „Ich bin aber zuversichtlich, dass sich die Reisebüros in Deutschland gut auf die Anforderungen der Richtlinie und das neue Recht einstellen werden“, sagte Billen dem Handelsblatt.

Bis Anfang kommenden Jahres will das Ministerium den Gesetzgebungsprozess abschließen; bis Mitte Juli 2018 soll die Richtlinie dann umgesetzt sein.


Grüne halten neue Haftungsregeln für „nicht verhältnismäßig“

Die Koalitionsfraktionen halten Korrekturen am Entwurf aus dem Justizministerium im Gesetzgebungsverfahren noch für möglich. Die vorgeschlagenen Änderungen befinden sich derzeit in der Länder- und Verbändeanhörung. Danach wird der Referentenentwurf vom Kabinett beschlossen und dem Parlament zugeleitet.

„Wir werden bei der Umsetzung der EU-Pauschalreiserichtlinie in deutsches Recht die verbleibenden nationalen Spielräume nutzen“, sagte die tourismuspolitische Sprecherin der Unions-Bundestagsfraktion, Daniela Ludwig (CDU), dem Handelsblatt. Insbesondere zu Haftungsfragen und den Fragen im Zusammenhang mit den sogenannten verbundenen Reiseleistungen werde es mit den betroffenen Verbänden einen „intensiven Dialog“ geben. „Am Ende der Diskussion muss es einen sinnvollen Kompromiss zwischen den berechtigten Interessen der Reisebranche und dem Verbraucherschutz geben“, sagte Ludwig. Der jetzige Entwurf enthalte bereits „positive Elemente“, wie beispielsweise der Einbeziehung von Online Buchungen, was in der bisherigen Richtlinie so nicht der Fall gewesen sei.

Das sieht auch die Tourismus-Expertin der SPD-Bundestagsfraktion, Gabriele Hiller-Ohm, so. Die neue EU-Pauschalreiserichtlinie erhöhe nicht nur den Verbraucherschutz für Reisende, die ihre Reise online buchen, „sondern schafft auch faire Wettbewerbsbedingungen im Reisemarkt zwischen Online-Anbietern und Reisebüros“, sagte Hiller-Ohm dem Handelsblatt.

Andererseits zeigte die SPD-Politikerin auch Verständnis für die Vorbehalte der Branche. Hiller-Ohm sicherte  zu, im anstehenden parlamentarischen Verfahren die Frage der notwendigen Insolvenzabsicherung bei Pauschalreisen und verbundenen Reiseleistungen in den Blick zu nehmen. „Die Reisebüros benötigen Rechtssicherheit bei der Abgrenzung der Ausübung ihres Tagesgeschäftes als Vermittler oder Veranstalter“, betonte die SPD-Politikerin. Ziel der SPD-Bundestagsfraktion sei es, „bei der Ausgestaltung der Pflichten der Richtlinie den unterschiedlichen Risikosphären und Einflussmöglichkeiten von Reiseveranstaltern und Reisevermittlern Rechnung zu tragen“.

Die Grünen halten es indes für unausweichlich, bei den Haftungsregelungen bei verbundenen Reiseleistungen zu deutlichen Änderungen zu kommen. „Die Folgen sind von Seiten der Bundesregierung nicht konsequent zu Ende gedacht. Es besteht die Gefahr, dass viele kleine und mittelständische Reisebüros ihr Geschäft aufgrund von Haftungsrisiken und Dokumentationspflichten nicht mehr rentabel betreiben können“, sagte der Obmann für die Grünen im Tourismusausschuss, Markus Tressel, dem Handelsblatt.

Verbraucherschutz sei zwar wichtig, „!aber in diesem Fall könnte zu viel Schutz dazu führen, dass Reisebüros zunehmend vom Markt verschwinden“, warnte der Grünen-Politiker. „Eine solche Haftung ist nicht verhältnismäßig und die Regierung täte gut daran, die geplanten Regelungen nochmal zu überdenken, um weitere Konzentrationsprozesse auf dem Reisemarkt auf Kosten kleiner und mittelständischer Betriebe zu vermeiden.“ 


Reisebüros erwirtschafteten 2015 Umsatz von 24 Milliarden Euro

Ob substanzielle Änderungen möglich sind, ist allerdings fraglich, zumal auch die anderen EU-Mitgliedsländer ihre Reise-Vorschriften, die noch aus dem Jahr 1990 stammen, entsprechend anpassen müssen. Damals steckte das kommerzielle Internet noch in den Kinderschuhen. Heute ist es gang und gäbe, seinen Urlaub im Internet zu buchen.

Staatssekretär Billen sieht denn auch in den veränderten Marktbedingungen eher ein Problem für die klassischen Reisebüros. „Ich glaube nicht, dass durch die Umsetzung der EU-Pauschalreiserichtlinie für Reisebüros ein erhöhtes wirtschaftliches Risiko entsteht“, sagte er. „Reisebüros leiden eher unter den Veränderungen am Markt, wenn beispielsweise Verbraucher Reisbuchungen verstärkt im Internet vornehmen.“

Allerdings räumt das Ministerium in seinem Referentenentwurf auch ein, das derzeit „schwer abzuschätzen“ sei, in welchem Ausmaß die neue Regelung über die Vermittlung „verbundener Reiseleistungen“ Anwendung finden werde. Das Ministerium schätzt, dass 30 Prozent aller Urlaubsreisen auf diese Weise zustande kommen werden, also etwa 43,9 Millionen. „Dabei ist aber davon auszugehen, dass diese Kombination von Reiseleistungen für die Inhaber von Reisebüros und die Betreiber von Online-Reiseportalen, deren Kerngeschäft in der Vermittlung von Reiseleistungen besteht, eine deutlich größere Rolle spielen wird als für Leistungserbringer, die neben ihrer eigenen Reiseleistung auch Reiseleistungen anderer Anbieter vermitteln.“

Der Deutsche Reise-Verband ist überzeugt, dass Regelungen die Reisebüros  schwer treffen würden. Dabei hat sich der Reisebüromarkt zuletzt positiv entwickelt. Auf die einzelnen Sparten verteilt, entfielen im vergangenen Jahr laut Verbandsangaben auf das Touristikgeschäft 16,2 Milliarden Euro und auf den Bereich Geschäftsreise rund 7,5 Milliarden Euro. Der Gesamtumsatz aller Reisebüros lag mit 23,7 Milliarden Euro rund drei Prozent über dem hohen Vorjahresniveau. Die Anzahl der stationären Reisebüros ist 2015 auf insgesamt 9.880 (2014: 9.829) angestiegen.


Reisebüros bangen um „besonderes  Alleinstellungsmerkmal“

Nun allerdings, so die Befürchtung der Branche, könnten Verbraucher durch die neuen Regeln abgeschreckt werden. Zumal, wie es heißt, das „besondere  Alleinstellungsmerkmal“ der Reisebüros, individuell auf Kundenwünsche einzugehen und die Reiseleistungen zu verkaufen, durch die EU-Vorgaben torpediert werde.

Was das konkret an Nachteilen mit sich bringt, erläutert Reiseverbands-Vizepräsident Hieke auf der Webseite des Verbands: „Will ein Reisemittler sämtlichen Auflagen entgehen, muss er den Kunden nach Buchung der ersten Reiseleistung nach Hause schicken und ihn bitten, mindestens 24 Stunden verstreichen zu lassen, um dann erst nach dieser Frist wiederzukommen“, so Hieke. Erst dann könne er eine zweite Reiseleistung für ihn buchen, ohne den Auflagen verbundener Reiseleistungen, etwa die Insolvenzabsicherung der Gelder, die er vom Kunden annimmt, Rechnung tragen zu müssen.

„Die Arbeit für Reisebüros, die Einzelleistungen für Ihre Kundschaft selbsttätig zusammenstellen und verkaufen wollen, wird also sicherlich mühseliger“, resümiert Hieke. Sie müssten nicht nur den Kunden darüber unterrichten, dass dieser keine Pauschalreise erwirbt, sondern den Kaufvorgang zu jeder Einzelleistung einzeln abschließen, um sicherzugehen, dass sie nicht in die Veranstalterhaftung geraten. „Und der Kunde müsste dann in vielen Fällen mehrmals seine EC-Karte zücken. Das ist doch schwer vermittelbar.“

Verbrauchschützer betonen vor allem die Vorteile des neuen Reiserechts. „Es ist überfällig, dass verbundene Reiseleistungen unter die Pausschalreiserichtlinie fallen. Das entspricht auch dem Buchungsverhalten der Verbraucher“, sagte Kerstin Hoppe, Expertin für Reiserecht beim Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV). „Wenn Verbraucher bei einem Anbieter zum Beispiel einen Flug und ein Hotel buchen, sind sie jetzt abgesichert.“ Wenn sich der Flug verspäte, seien auch die Hotelkosten nicht mehr fällig. „Das ist verbraucherfreundlich“, so Hoppe.

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