Neue Innovationsagentur „Die Bundesregierung muss über ihren Schatten springen“

Was bringt die Zukunft? In Deutschland sollte man sich auf wirkliche Innovationen konzentrieren und nicht auf bereits fahrende Züge aufspringen, sagen die Gesprächspartner in diesem Interview. Quelle: imago images

Kann die US-Forschungsagentur Darpa Vorbild für eine deutsche Behörde sein? Darpa-Direktor Brian Pierce und Thomas Sattelberger, innovationspolitischer Sprecher der FDP, wünschen sich den richtigen Spirit in Deutschland.

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WirtschaftsWoche: Herr Pierce, die US-Forschungsagentur Darpa wurde 1958 als Reaktion auf den Sputnik-Schock gegründet. Kommt es Ihnen da nicht reichlich spät vor, dass Deutschland jetzt, im Jahr 2019, eine eigene Innovationsagentur nach Darpa-Vorbild aufbauen will?
Brian Pierce: Die Darpa von heute ist das Ergebnis einer 60-jährigen Entwicklung. Aus dem Stand heraus – und ohne diese lange Geschichte – eine Agentur zu schaffen, die der heutigen Darpa gleicht, geht daher natürlich nicht. Aber die Idee hinter Darpa war, eine Mission zu erfüllen, neue Felder auszumachen, auf die man sich in der Forschung konzentrieren wollte. Das lässt sich schon replizieren. Die Frage ist: Was ist das übergeordnete Ziel? Im Fall der Darpa ging es um die nationale Sicherheit.

Und zunächst um den militärischen Nutzen der Entwicklungen, aus dem sich eine kommerzielle Verwendung ergeben kann, aber nicht muss. In Deutschland will die Bundesregierung militärische von zivilen Innovationen strikt trennen. Kann das gelingen?
Ja, kann es. Das US-Energieministerium hat beispielsweise vor etwa neun Jahren die Energieforschungsagentur Arpa-E gegründet. Allerdings gibt es schon einen wichtigen Unterschied: Im Fall von Darpa gibt es staatliche Organisationen mit eigenem Budget, die bereit sind, Darpa-Entwicklungen anzuwenden. Das heißt, es gibt sozusagen einen agenturinternen Markt. Bei Arpa-E stellt sich dagegen jedes Mal wieder aufs Neue die Frage, ob sich Unternehmen finden, die die neuen Technologien abnehmen wollen.

Herr Sattelberger, vor dieser Herausforderung stünde auch eine deutsche Sprunginnovationsagentur. Brauchen wir nicht auch in Deutschland die Sicherheit, dass der Staat die neuen Technologien auch als erster anwendet, damit die Agentur sich erfolgreich entwickeln kann?
Thomas Sattelberger: Diese Sicherheit brauchen wir nicht. Aber wir brauchen ein erkennbares staatliches Interesse an allemal überfälliger sozialer und technologischer Innovation und deren Nutzung in der öffentlichen Verwaltung. Zum Beispiel in Fragen des E-Governments. In der Schweiz klappt das. Auch in Großbritannien mit der Innovationsstiftung Nesta. Big-Data-gestützte Stadtplanung, smarte Wasserversorgung, urbane Nahrungsmittelproduktion. Und was die zivile und militärische Nutzung angeht: In der Spitzentechnologie sind beide Nutzungsmöglichkeiten oft zwangsläufig gegeben. Völlig getrennt werden eine militärische und eine zivile Innovationsagentur auch hierzulande nicht arbeiten können. Da gibt es Synergieeffekte. Also braucht man transparente und öffentlich akzeptierte Spielregeln für Wissenstransfer.

Herr Pierce, wie wichtig ist der Staat als erster Kunde wirklich?
Brian Pierce: Die Mission der Darpa war und ist, zu verhindern, dass andere die USA mit technologischen Entwicklungen überraschen – und die Überraschungen selbst zu entwickeln. Aus dieser Erfahrung heraus kann ich nur sagen, dass sich aus unserer Grundlagenforschung eigentlich automatisch auch Chancen für kommerzielle Nutzer ergeben, unsere Ergebnisse anzuwenden. Sozusagen auf natürliche Weise, ohne dass wir explizit nach zivilen Anwendungen suchen würden.

Herr Sattelberger, Herr Pierce hat den Sputnik-Schock erwähnt: Die Darpa ist aus der Befürchtung heraus gegründet worden, hinter die Sowjetunion zurückzufallen. Was ist der deutsche Sputnik-Schock?
Thomas Sattelberger: Drängend für uns ist vor allem, dass wir zwischen den beiden Sprunginnovatoren USA und China quasi wie das Salatblatt im Sandwich feststecken. Auch übrigens zwischen Innovationsländern wie der Schweiz und Belgien. Deutschlands Sputnik-Schock ist der drohende Absturz unserer Innovationskraft. Deshalb brauchen wir, neben anderem, unbedingt und dringend eine solche Agentur. Die Herausforderung liegt darin, nicht zu wiederholen, was andere schon können: Selbstfahrende Autos sind schon auf ihrem Weg in den Markt. Wir müssen uns anderen, in der Zukunft liegenden Herausforderungen widmen: Weltraum-Bergbau, Besiegen von Krebs, intermodale Mobilitätshubs in Metropolregionen.

Aus den Fehlern bei mp3 lernen

Herr Pierce, finden Sie das deutsche Vorhaben konkret genug? Im Grunde soll die neue Innovationsagentur ja kein genaues Ziel wie Raketen- und Raketenabwehrtechnik verfolgen, wie das anfangs bei der Darpa war, sondern ganz allgemein neue Geschäftsmodelle finden.
Brian Pierce: Bei Darpa sehen wir: Wenn ein Vorhaben nur geschlossen wird, um Technologie voranzubringen, neigt man dazu, sich zu wenig zu fokussieren. Natürlich will man sich auch nicht zu enge Grenzen setzen, klar. Aber die Schwierigkeit ist ja: Wenn man eine neue Agentur aufsetzt, muss man rechtfertigen, warum es sie gibt. Schon bestehende staatliche Organisationen könnten sagen: Gebt uns das Geld, wir machen das. Es braucht also einen Grund, warum man eine Agentur aufbaut, sie beschützt und gedeihen lässt.

Was meinen Sie damit?
Brian Pierce: In den USA war dieser Grund 1958 ganz klar zu erkennen. Damals ging es, wie schon gesagt, um den Weltraum. Das hieß auch: Darpa würde der Luftwaffe gewisse Ressourcen abnehmen müssen, und natürlich entspann sich ein klassischer bürokratischer Kampf. Den durchzustehen gelang nur, weil auch der Präsident klar dafür einstand. Später fand Darpa eine neue Mission, es ging um Nachweise von Atomtests. Und so haben wir uns bis heute Schritt für Schritt weiterentwickelt.

Herr Sattelberger, die Bundesregierung bringt gern das Beispiel mp3 als Begründung, warum Deutschland eine Agentur für Sprunginnovationen brauche. Aus der Darpa stammen die Grundlagen für GPS, Apples Spracherkennungssoftware und natürlich das Internet. Denken wir Deutsche mal wieder zu klein?
Thomas Sattelberger: Bei mp3 ging es ja darum, dass eine bereits marktreife deutsche Sprunginnovation nicht ausreichend in Deutschland kommerzialisiert wurde, sondern durch südkoreanische und US-Firmen. Die Agentur für Sprunginnovationen muss viel früher ansetzen. Sie soll sich nicht um wirtschaftliche Skalierung scheren, sondern darum, dass überhaupt Wegweisendes erfunden wird. Die Bundesregierung verwechselt immer mal wieder Innovation mit Transfer in die Wirtschaft. Da setzt sie unklare, ja, falsche Signale.

Herr Pierce, in der Darpa haben nicht Beamte, sondern Bastler das Sagen – und das bis hinauf in die Chefetage. Wie gelingt es Ihnen, Ingenieurinnen, Computerfachleute und ehemalige Googlemanager zu gewinnen?
Brian Pierce: Leute kommen für vier bis fünf Jahre zu uns, und dieser Zeitraum ist von Anfang an begrenzt. Viele stehen an einem Punkt in ihrer Karriere, an dem sie gewisse Dinge erreichen wollen – und sind frustriert, weil es ihnen dort wo sie arbeiten, nicht gelingt. Das kann an Universitäten oder in Unternehmen sein. Da bietet Darpa die Möglichkeit, eine Idee als Projekt zu konkretisieren – und einfach loszulegen. Das heißt auch, dass jedes Jahr ein Fünftel bis ein Viertel unserer Projektmanager wechselt.

Eine ziemlich große Zahl…
Brian Pierce: Das ist viel, aber es hilft auch, wenn man wie wir ständig Neues verfolgt. Ganz einfach deshalb, weil das System sich ganz natürlich neu positioniert, wenn sich eine neue Forschungsrichtung ergibt – und man nicht bestehende Strukturen mühsam in eine neue Richtung zwingen muss. Außerdem zieht man so die Leute an, die wirklich bereit sind, ein Risiko einzugehen. Das befeuert die Chancen, revolutionäre statt nur evolutionäre Entwicklungen voranzubringen.

Herr Sattelberger, wie soll eine deutsche Agentur sich diesem Wettbewerb um die schlausten Köpfe stellen?
Thomas Sattelberger: Sie muss allem voran faszinierende Aufgaben mit viel Freiraum bieten. Sinnstiftende Herausforderungen und Projekte. In der Forschung, an den Universitäten, bei Max Planck und den anderen Instituten haben wir viele Zehntausende Wissenschaftler, in der Wirtschaft viele kühne Projektmanager. Die würden gern ausbrechen aus ihren oft formalen Organisationsstrukturen. Die bieten zwar Sicherheit. Aber sie nehmen auch häufig die Luft zum Atmen.

Und wie soll sich eine staatliche Agentur die leisten können?
Thomas Sattelberger: Da greifen natürlich keine Tarifstrukturen des öffentlichen Dienstes. Aber es geht nicht primär ums Geld. Sondern um den Spirit, die Herausforderungen, denen man sich stellen kann. Wenn man sich da an Vorbildern wie Darpa orientiert und keine Bürokratie baut, kann das gelingen. Auch ein inspirierender CEO muss her! Und eine kluge Standortwahl entscheidet ebenso über Talentmagnetismus. Jetzt muss die Bundesregierung über ihren Schatten springen und das Projekt endlich mit Kraft anschieben.

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