Neue Parteiführung Grüne vor der Zeitenwende

Die Grünen haben sich jahrelang Flügelkämpfe geliefert. Viele Landeschefs wollen die Aufteilung zwischen „Fundis“ und „Realos“ hinter sich lassen. Wird sich das in der neuen Doppelspitze zeigen?

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Derzeit führen Katrin Göring-Eckardt vom realpolitischen und Anton Hofreiter vom linken Parteiflügel die Fraktion. Quelle: dpa

Potsdam Die Grünen stehen bei ihrem Bundesparteitag im Januar vor einer Weichenstellung. Das bisherige Prinzip, dass je ein Vertreter der „Fundis“ und der „Realos“ an der Parteispitze steht, soll nach dem Willen zahlreicher Landeschefs aufgehoben werden, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergab. Das neue Spitzenduo könnte damit Annalena Baerbock (37) und Robert Habeck (48) heißen - zu Lasten der bisherigen Co-Chefin Simone Peter (52) vom linken Parteiflügel. Beide neuen Kandidaten werden dem „Realo-Flügel“ zugerechnet. Der bisherige Co-Chef Cem Özdemir (51) hatte dagegen angekündigt, nicht mehr antreten zu wollen - und wird für andere Posten gehandelt.

„Annalena Baerbock und Robert Habeck haben unsere Partei bei den Sondierungsgesprächen sehr gut vertreten. Wir sind überzeugt, dass sie ein starkes und vielversprechendes Führungsteam wären“, erklärten etwa die Hamburger Parteichefin Anna Gallina und ihr Vize Martin Bill. „Es sollen die Besten antreten können, sie treten für die Gesamtpartei an und nicht für einen Flügel“, meinte auch das Spitzenduo in Bayern, Sigi Hagl und Eike Hallitzky. Bei weiten Teilen der Basis herrsche für das starre Flügelsystem kein Verständnis.

Doch über wen hat die Partei im Januar zu entscheiden? Annalena Baerbock stammt aus Hannover und war viele Jahre Landeschefin der Grünen in Brandenburg. Als Bundestagsabgeordnete kümmert sie sich um die Europa- und Klimapolitik. Robert Habeck aus Lübeck hat nicht nur als Umweltminister und Vize-Regierungschef in Schleswig-Holstein sowie als Mitglied des Jamaika-Sondierungsteams in Berlin für Aufmerksamkeit gesorgt, sondern auch als Schriftsteller mehrerer Romane. Und schließlich tritt Simone Peter aus dem Saarland, seit 2013 bereits Bundesvorsitzende, erneut an. Sie hatte mit Kritik am Kölner Polizeieinsatz in der Silvesternacht 2016/17 - nach den sexuellen Übergriffen im Jahr zuvor - auch innerparteiliche Kritik ausgelöst.

Klar auf die Seite Baerbocks stellt sich etwa ihr Heimatverband Brandenburg. „Wir freuen uns total, dass Annalena Baerbock für den Parteivorsitz kandidiert“, erklärte das Führungsduo aus Petra Budke und Clemens Rostock. „Sie steht mit beiden Beinen im Leben, hat große Glaubwürdigkeit und den Mut und die Kraft, die es braucht, die grüne Partei in die Zukunft zu führen.“

Der Landesvorsitzende der niedersächsischen Grünen, Stefan Körner, betonte, mit Doppelspitze sei bei den Grünen gemeint, dass es einen Mann und eine Frau in Führungspositionen gebe. „Andere Kriterien für eine Doppelspitze gibt es nicht“, sagte er. „Entscheidend ist die Persönlichkeit, nicht zu welchem Parteiflügel sie gehört“, meinte auch der Grünen-Co-Chef in Sachsen-Anhalt, Christian Franke. In seinem Land spiele die Unterscheidung zwischen dem realpolitischen und dem linken Lager ohnehin keine Rolle.

„Da meiner Wahrnehmung nach die „Flügelfreien“ die größte Strömung innerhalb der Grünen sind, fand ich die strikte Flügel-Arithmetik nie besonders ansprechend“, sagte die rheinland-pfälzische Grünen-Chefin Jutta Paulus. Sie unterstütze die Kandidatur von Baerbock. „Eine unserer Klügsten stellt sich zur Wahl. Meine Unterstützung hast Du - go for it!“, twitterte die Landeschefin kürzlich. Und ergänzte: „Yeah! Ende der Flügeleien in Sicht?“

Hessens Landeschefin Angela Dorn sagte: „Wir sind in Hessen ein Landesverband, der diese Flügel überwunden hat“. Nach ihren Worten begreifen sich große Teile der Partei nicht als einem Flügel zugehörig. „Das ist eine Schublade, in die der eine oder andere nicht gesteckt werden will“, erklärte sie. Und die Thüringer Co-Chefin Stephanie Erben meinte: „Als Delegierte möchte ich lieber Menschen wählen, weil sie mich überzeugen, und nicht, weil sie einem politischen Lager angehören.“ Das Austarieren nach Flügeln müsse nicht mehr sein.

In Baden-Württemberg wollten sich die beiden Landesvorsitzenden Sandra Detzer (Realpolitikerin) und Oliver Hildenbrand (linker Parteiflügel) nach Angaben eines Sprechers nicht öffentlich zur laufenden Debatte äußern. Allerdings: Die Grünen in Baden-Württemberg mit ihrem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann sind mehrheitlich klar realpolitisch ausgerichtet. Neben einigen anderen wollten auch die beiden Grünen-Chefs in Nordrhein-Westfalen sich raushalten. „Wir halten alle Personen für den Parteivorsitz für geeignet, die bislang eine Kandidatur angekündigt haben“, hieß es diplomatisch.

Für die Wahl von Habeck stehen die Grünen allerdings noch vor einer Hürde: Amt und Mandat sind nicht miteinander vereinbar. Habeck will sich nur für den Vorsitz bewerben, wenn er für eine einjährige Übergangszeit Minister bleiben kann. Dafür müsste aber die Satzung geändert werden. Mehrere Anträge dafür sind bereits angekündigt. „Aus Hamburg gibt es auch einen Antrag einiger Basismitglieder, die Trennung von Amt und Mandat grundsätzlich abzuschaffen, den auch wir unterstützen“, erklärte das Hamburger Führungsduo.

Und was macht Cem Özdemir? Der 51-Jährige sei einer der beliebtesten Politiker in Deutschland und habe maßgeblich zum positiven Profil der Partei in den letzten Monaten beigetragen, meinte der Landeschef der niedersächsischen Grünen, Körner. Und Grünen-Ministerpräsident Kretschmann, der mit den fein austarierten Quotenregelungen bei den Grünen hadert, macht kein Geheimnis daraus, dass er den Realo Özdemir gerne an der Spitze der Bundestagsfraktion sähe. Derzeit führen Katrin Göring-Eckardt vom realpolitischen und Anton Hofreiter vom linken Parteiflügel die Fraktion.

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