Neue Serie Soziale Marktwirtschaft in der Kritik: Wohlstand nicht für alle

Ludwig Erhard beschwor die Freiheit, seine politischen Nachfolger setzten auf den Wohlfühlstaat. An ihrem 60. Geburtstag steht die soziale Marktwirtschaft in der Kritik. Wie frei oder sozial ist unsere Wirtschaftsordnung noch? Teil 1 der Serie.

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Ludwig Erhard, der frühere Quelle: AP

Angela Merkel zum Beispiel müsste sich auf ihre Zehenspitzen stellen, um irgendwie an Ludwig Erhard heranzureichen. Seine Büste thront heute in der Eingangshalle des Bundeswirtschaftsministeriums, ein schlichter Bronzeguss auf einem ziemlich hohen Sockel. So hoch übrigens, dass die meisten Besucher zu ihm aufblicken müssen, ob sie wollen oder nicht: die Großkopferten und die Kleingeistigen, Berufs-Lobbyisten und Zweck-Pessimisten, mächtige Industrielle, machtgeifernde Minister – und eben auch die Bundeskanzlerin.

An Ludwig Erhard, dem Vater unserer sozialen Marktwirtschaft, kommt niemand vorbei, den es ins Wirtschaftsministerium zieht. Genau 60 Jahre liegt seine größte Tat nun zurück. Im Juni 1948 führten die Alliierten die D-Mark ein, und zeitgleich gab Ludwig Erhard beinahe alle Preise frei. Damit legte er den Grundstein für die soziale Marktwirtschaft, von der er glaubte, dass sie den Menschen Wohlstand bringen und die Demokratie sichern werde.

Doch am 60. Geburtstag ihrer Wirtschaftsordnung ist den Deutschen nicht zum Feiern zumute. Es gibt kein großes Bürgerfest, keine Feier im Bundestag, kein Dinner der Wirtschaftselite und schon gar keine knallenden Champagnerkorken. Das offizielle Fest bleibt bescheiden. Wirtschaftsminister Michael Glos, Erhard-Nachfolger von Amts wegen, hat für Donnerstag zu einer kleinen Feierstunde in seine Ministeriums-Aula eingeladen. Die Bundeskanzlerin wird die Festrede halten. Kaum mehr als eine Stunde haben die Mitarbeiter in Angela Merkels Terminplan dafür freigehalten. Mehr ist nicht drin. Dann wartet eine Regierungslimousine für die Fahrt zum nächsten Termin.

Das Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft verfällt rasant. In den Fünfzigerjahren zog Erhards Versprechen „Wohlstand für alle“ noch als Wahlkampfversprechen, im neuen Jahrtausend ist mit Wirtschaftspolitik kein Blumentopf mehr zu gewinnen – geschweige denn eine Wahl. Ihr Heil suchen die Volksparteien am linken Rand, wer sich als Wahlkämpfer seine Chancen nicht vermasseln will, verspricht staatlich garantierte Sicherheiten statt freiheitlicher Chancen. Inzwischen sympathisieren mehr Wähler mit der Linkspartei und ihrem paradoxen Slogan „Freiheit durch Sozialismus“ als mit der liberalen FDP.

Nach einer bisher unveröffentlichten Umfrage des Institutes Allensbach im Auftrag der Bertelsmann Stiftung haben 38 Prozent der Deutschen von der sozialen Marktwirtschaft „keine gute Meinung“. Nur noch 31 Prozent bekunden eine „gute Meinung“.

Die Daten stammen aus dem Mai. Noch im Januar hatten sich 39 Prozent der Befragten optimistisch über die soziale Marktwirtschaft geäußert (Pessimisten: 27 Prozent). Besonders krass ist der Meinungsverfall in Westdeutschland. Zum ersten Mal haben mehr Menschen (35 Prozent) eine schlechte als eine gute Meinung (34 Prozent) von ihrer Wirtschaftsordnung. Das Problem ist: Die Bürger misstrauen einem Konzept, das es eigentlich schon lange nicht mehr gibt und das auch die Politik schon lange nicht mehr lebt.

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