Neue Studie zur digitalen Verwaltung Im Ernst? Berlin soll die servicefreundlichste Stadt Deutschlands sein?

Deutsche Verwaltungen haben noch einiges nachzuholen, wenn es um das Thema Digitalisierung geht. Laut einer Studie ist Berlin die servicefreundlichste Stadt. Doch auch dort funktioniert es nicht reibungslos. Quelle: imago images

Ausgerechnet Berlin bietet mehr Verwaltungsdienstleistungen digital an als andere Städte und ergattert in einer Studie den Titel als servicefreundlichste Stadt. Was auch daran liegt, dass bundesweit noch viel zu tun ist.

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Ein Beispiel aus Berlin: Wer vor einigen Monaten beim Bezirksamt im Stadtteil Pankow einen Termin für eine Einbürgerung vereinbaren wollte, konnte das ohne Mühe im Internet erledigen. Die bequeme Dienstleistung war allerdings nur theoretischer Natur: Denn egal wann man nachsah, es wurden keine freien Termine angezeigt.

Erst ein Besuch bei den Mitarbeitern vor Ort brachte Klarheit: (Sehr wenige) neue Termine gab das System immer nur montags punkt 8 Uhr und dienstags punkt 15 Uhr frei. Darauf hätte man sich einstellen können. Auf der Internetseite stand dieser Hinweis damals allerdings nicht – willkommen in der digitalen Servicewüste Deutschland.

Glücklicherweise muss man nicht ständig ins Bürgerbüro. Seine neue Adresse anmelden oder einen Pass beantragen, das macht man in der Regel nicht allzu oft. Wenn, dann ist es allerdings häufig noch immer unnötig aufwendig.

Zwar kann man mittlerweile in den meisten Städten zumindest online einen Termin vereinbaren. Ansonsten beschränkt sich das Angebot aber noch viel zu oft darauf, die benötigten Dokumente als PDF herunterzuladen und auszufüllen. Ausdrucken, unterschreiben und zum Amt bringen muss man sie trotzdem. Das soll Verwaltung im 21. Jahrhundert sein?

Wie es um die digitale Verwaltung steht, hat nun die Kölner Beratungsgesellschaft IW Consult im Auftrag des Eigentümerverbands Haus & Grund untersucht. Das – durchaus überraschende – Ergebnis: Ausgerechnet Berlin ist deutschlandweit die servicefreundlichste Stadt, stellt also mehr Informationen und Verwaltungsdienstleistungen digital zur Verfügung als andere Kommunen.

„Das mag verwundern“, gibt auch Hanno Kempermann zu, einer der Studienautoren. Berlins gutes Abschneiden liege aber daran, dass die Stadt „zumindest die besten digitalen Rahmenbedingungen und das breiteste digitale Leistungsspektrum anbietet“. Wie die Berliner Behörden dies in der Praxis einschränken, wie eben im Bezirksamt Pankow bei den Staatsangehörigkeitsangelegenheiten, konnte die Analyse der Internetauftritte naturgemäß nicht überprüfen.


Auch Kai Warnecke, Präsident von Haus & Grund, kann sich einen Seitenhieb nicht verkneifen: Mit einem lachenden Auge sehe er, dass die Digitalisierung der Informations- und Verwaltungsdienstleistungen in Berlin insgesamt derzeit am besten gelungen sei. „Aber mit einem weinenden Auge sehe ich auch die schlechten Ergebnisse, die Berlin im Bereich Wohnen – vor allem im Analogen – erzielt“, sagt er mit Blick auf Mietendeckel und rückläufige Baugenehmigungen.

Für ihre Studie haben die Autoren die Webseiten der 100 Städte mit den meisten Einwohnern in Deutschland untersucht. Dabei zeigte sich, dass es große Unterschiede gibt – sowohl regional als auch, was die Einwohnerzahl angeht. So finden sich auf den vordersten zehn Rängen neben den Millionenstädten Berlin, München (vierter Platz) und Köln (Rang zehn) auch Schwerin (zweiter Platz), Worms (Rang fünf) und Essen (neunter Platz).

Allerdings haben die Wissenschaftler eine Tendenz ausgemacht: Städte mit mehr Einwohnern weisen auch ein höheres digitales Informations- und Verwaltungsdienstleistungsangebot auf. Auf den letzten zehn Plätzen finden sich mit Ausnahme von Chemnitz (knapp 247.000 Einwohner) ausschließlich Kommunen, in denen höchstens 150.000 Menschen leben. Auf den letzten Rängen landen bei der Analyse Marl in Nordrhein-Westfalen, Villingen-Schwenningen in Baden-Württemberg und, ganz am Schluss, Gera in Thüringen.

Wie hat es nun ausgerechnet Berlin auf seinen Spitzenplatz geschafft? Die besonders servicefreundlichen Städte, schreiben die IW-Forscher, hätten „digitale Angebote über viele Ämter, Fachbereiche und Dezernate hinweg entwickelt“. Sie haben für die Untersuchung die kommunalen Dienstleistungen in mehrere Themenfelder aufgeteilt: Bürger- und Unternehmerservice, Bauen, Wohnen, Mobilität und Verkehr, Familie und Freizeit, sowie Responsivität, das heißt, ob Angebote auch von mobilen Geräten aus bequem zu erreichen sind oder ob es eine Anwendung gibt, über die man auf Anträge zugreifen kann.

Beim Wohnen erreichten beispielsweise die Städte eine vordere Platzierung, in denen Meldebescheinigungen, Wohngeld und Wohnberechtigungsscheine digital beantragt werden können, man sich online anmelden oder den Mietspiegel berechnen kann. Um gut beim Unternehmerservice anzuschneiden, mussten Kommunen online Dienstleistungen rund um Gewerbesteuer, Gewerbeanmeldung und -flächen, Wirtschaftsförderung und Gewerberegisterauskunft anbieten.

Studienautor Kempermann will die Untersuchung allerdings nicht so verstanden wissen, dass die Digitalisierung der Verwaltung in Deutschland ausreichend vorangekommen wäre. Nur 14 Prozent der Kommunen verfügten über eine Digitalisierungsstrategie, 45 Prozent der Städte entwickelten derzeit eine. Auch Haus-&-Grund-Präsident Warnecke sagt, bei Digitalisierung werde in Deutschland viel über den Breitbandausbau geredet. Dabei brauche es eine Diskussion über die Qualität und den inhaltlichen Umfang der Daten, die durch die Leitungen geschickt werden: „Und hier passiert im Bereich vieler Behörden zu wenig.“

Selbst Berlin erreicht nur knapp 72 von 100 Punkten

Die Nutzung von E-Government-Angeboten gehe sogar zurück, ergänzt Kempermann, obwohl das Gegenteil erklärtes Ziel der Bundesregierung ist. „Das liegt auch an den zum Teil schwachen Internetauftritten deutscher Städte.“ Selbst Berlin als Sieger der Untersuchung erreicht bei einem theoretisch maximal erreichbaren Wert von 100 nur einen Gesamtindexwert von 71,6.

Gründe für die Unzufriedenheit vieler Menschen und Unternehmensvertreter mit den digitalen Dienstleistungen in ihrer Kommune sehen die IW-Wissenschaftler beispielsweise in subjektiv wahrgenommenen Nutzungsbarrieren: Manche Angebote müsse man lange suchen, Seiten seien unzureichend verlinkt, es brauche spezielle Hardware, um sie zu nutzen, und auch der Komfort bei der Benutzung variiere stark. „Viele Städte kämpfen mit einem undurchschaubaren Wirrwarr an einzelnen Internetauftritten, nicht synchronisierten Services und unübersichtlichen Leistungsangeboten“, sagt Kempermann.

Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass es für einzelne Leistungen bereits Softwarelösungen des Bundeslands gibt – kommunale Internetseiten aber kaum oder nicht deutlich genug auf die Angebote verweisen. Beispielsweise steht in Nordrhein-Westfalen ein Wohngeldrechner zur Verfügung, Menschen können auch digital Wohngeld beantragen. Um in der Untersuchung des IW Consult in diesem Aspekt positiv berücksichtigt zu werden, mussten Kommunen explizit auf diese Möglichkeit hinweisen – aber nicht einmal ein Drittel tat dies.

Die Studienautoren empfehlen daher, Angebote zu zentralisieren und Strukturen zu vereinheitlichen, beispielsweise die Bürgerkonten, die viele Kommunen bereits digital eingerichtet haben. Außerdem brauche es Unternehmenskonten für die Belange von Firmen und der Datenaustausch müsse erleichtert werden. Die Bundesländer Bayern und Bremen arbeiten derzeit an einem digitalen Unternehmenskonto. Es wird auf Grundlage des Elster-Steuerportals aufgebaut, an das Firmen in der Regel bereits angebunden sind.

Das stärkste Defizit sieht IW Consult allerdings darin, dass man für viele Verwaltungsaufgaben online Termine vereinbaren kann – in den allermeisten Fällen aber von Zuhause aus weder Formulare unterschreiben, noch Fotos einreichen und die anfallenden Gebühren bezahlen.

Oder auch nur Dokumente einreichen, wie beispielsweise im Bezirksamt Pankow. Dort sitzt man dann mit einem Stapel Urkunden und einem Stapel Kopien, die man dem Mitarbeiter persönlich zur Prüfung vorlegen musste. Aber immerhin, irgendwann ist irgendwie ein Termin zustande gekommen, trotz aller Schwierigkeiten. Und das sogar online.

Mehr zum Thema: Der demografische Wandel verschärft den Wettbewerb der Kommunen um Menschen und Unternehmen. Welche Stadt verfügt über das größte Potenzial, welche punktet mit der stärksten Wirtschaftsdynamik – und welche bereitet sich am besten auf die Digitalisierung vor? Der große Städtetest der WirtschaftsWoche liefert die Antworten.

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