Neue Vorsitzende Das wirtschaftspolitische Profil der künftigen Grünen-Spitze

Ricarda Lang konnte wegen einer Corona-Infektion nicht auf der Bühne im Berliner Velodrom sprechen. Die Delegierten waren online zugeschaltet. Quelle: REUTERS

Die Grünen haben eine neue Führung gewählt. Mit Ricarda Lang rückt die neue Spitze der Regierungspartei wieder stärker nach links. Klimaschutz, Sozialpolitik und Feminismus sind ihre Themen.

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Freiheit, Gleichheit, Sicherheit – diese großen Versprechen führt Ricarda Lang öfter im Mund. Während Gleichaltrige solche Begriffe gerade noch an der Uni hin und her gewälzt haben, rückt die 28 Jahre alte Schwäbin bereits mit einem linken und stark sozialpolitisch geprägten Profil in die vorderste Reihe der Politik auf. Beim Online-Parteitag der Grünen wurde sie am Samstag mit rund 76 Prozent Zustimmung zur neuen Parteivorsitzenden gewählt. Das Ergebnis muss noch per Briefwahl bestätigt werden, was bis Mitte Februar geschehen soll.

Gerade die Idee der Freiheit bringt Lang öfter in Bezug auf den Klimaschutz in Stellung; in Zusammenhängen, bei denen Konservative eher von Einschränkungen sprechen würden. Sie verfechtet die Freiheit der Jungen und künftiger Generationen – diese sei nur durch mehr Klimaschutz im Hier und Heute zu erhalten. Gleichheit führt sie als bekennende Feministin im Munde, wenn es darum geht, wie die Chancen in der Gesellschaft verteilt sind.

Und Sicherheit schließlich bezieht sie vor allem auf soziale Sicherheit: Lang will die Sozialsysteme stärken und an moderne wie unterschiedliche Familienverhältnisse anpassen. Zusammen mit dem Außenpolitiker und Realo Omid Nouripour aus Hessen formt Lang das neue Vorsitzenden-Duo der grünen Partei. Nouripour kam auf 621 Stimmen und ist damit neuer Co-Parteichef.

Die Wahl der beiden galt als sicher, waren die Bundestagsabgeordneten doch nahezu die einzigen, die für die Nachfolge von Annalena Baerbock und Robert Habeck kandidierten. Die beiden bisherigen Vorsitzenden stehen in der neuen Ampel nun in Regierungsverantwortung – sie als Außenministerin, er als Wirtschafts- und Klimaminister –, und das bedeutet bei der traditionell auf Ämtertrennung ausgerichteten Sonnenblumenpartei, dass nun andere ran müssen.

Lang, die nunmehr jüngste Parteivorsitzende in der über 40-jährigen Parteigeschichte der Grünen, und der 46-jährige Nouripour werden viel vermitteln müssen, wenn die Grünen in der Regierung Kompromisse schließen, die bei der Basis vielleicht nicht so gut ankommen. Gerade bei der Wirtschaftspolitik und dem Klimaschutz wird das notwendig sein. Umgekehrt werden die beiden Neuen dafür Sorge tragen, dass die Regierenden nicht die Rückbindung zur stark gestiegenen Zahl an Mitgliedern verlieren: zu rund 125.000 Grünen, die als diskussionsfreudig und teils regierungsskeptisch gelten.

Doch wie ticken die beiden wirtschaftspolitisch, welche eigenen ökonomischen und sozialen Ideen sind von ihnen zu erwarten?

Der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour stellt sich zur Wahl für die neue Grünen-Spitze. Quelle: imago images

Nouripour, der im Iran geboren wurde und mit 13 Jahren nach Frankfurt kam, studierte nach dem Abitur mehrere Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Studiengänge schloss er nicht ab, seit er 2002 Mitglied im Bundesvorstand seiner Partei geworden war. Nouripour dürfte Lang den Vortritt bei Wirtschaftsthemen lassen, hier tummelte er sich bislang gar nicht.

Die Themen des in Frankfurt direkt Gewählten waren im Bundestag bisher die Außen- und Sicherheitspolitik, Europa oder auch Zuwanderung und Rechtsextremismus. In seiner Bewerbungsrede sagte Nouripour den Regierungsmitgliedern in der Koalition mit SPD und FDP die Unterstützung der Partei zu. Gemeinsam mit Lang werde er Lehren aus dem Wahlkampf ziehen und neue Strukturen in der Parteizentrale schaffen, damit die Grünen bei der Bundestagswahl 2025 „wieder in der K-Frage mitspielen“ könnten.



Ricarda Lang: Gegen Kohle, für Kindergrundsicherung

Lang, die im schwäbischen Nürtingen als Tochter einer alleinerziehenden Sozialarbeiterin aufwuchs, hat ihr Jurastudium ebenfalls abgebrochen – zugunsten der Politik. Sie kommt aus dem bei den Grünen eher konservativen Landesverband Baden-Württemberg, war allerdings Sprecherin der Grünen Jugend, der Jugendorganisation der Partei, die deutlich links steht.

Die künftige Parteichefin setzt sich für Lohngleichheit ein, eine bessere Bezahlung von Berufen, die vor allem Frauen ausüben und ist Mitglied der Gewerkschaft Verdi. Sie gilt als Verfechterin der Kindergrundsicherung, die Kindern und Jugendlichen eine Absicherung jenseits des Hartz-IV-Systems gewährleisten und deren Bedürfnissen eher entsprechen soll. Sie ist zudem vehemente Gegnerin der Kohleverstromung.

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Seit 2021 ist Ricarda Lang im Bundestag und gehört dort dem Familienausschuss und stellvertretend dem Ausschuss für Arbeit und Soziales an. Seit 2019 war sie zudem bereits stellvertretende Vorsitzende und frauenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen. Dabei war sie Teil des Vorstands, der sich für 2020 selbst einen Corona-Bonus gewährte. Die 1500 Euro haben alle sechs Beteiligten zurückgezahlt, allerdings ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen dazu eingegangener Anzeigen.

Lang hat Selbstbewusstsein bewiesen, seit Beginn ihrer Politikkarriere wird sie auch persönlich stark angegriffen. Die Grüne entspricht offenbar nicht dem Schönheitsideal einiger Trolle im Internet, die sich über die Politikerin auslassen, wie es wohl kein Mann erdulden müsste. Lang geht damit offensiv um, auch juristisch, will das Thema aber nicht mehr selbst ansprechen. Sie sagte dazu einmal: „Ich bin in die Politik gegangen, um Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern, alles zu geben, um die Klimakrise aufzuhalten, und nicht, um beleidigt zu werden und dann darüber zu sprechen.“ Männer in den Parlamenten müssten auch nicht so über sich reden, ihr Körper werde einfach hingenommen. „Das sollte für Frauen genauso gelten.“

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