Neueintritte GroKo-Gegner kapern die SPD

Seit zwei Wochen verzeichnet die SPD einen regen Zulauf an neuen Mitgliedern. An dem ausgemachten Ziel der Neugenossen besteht wenig Zweifel: Sie wollen die Neuauflage der Großen Koalition verhindern.

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Mit dem Sonderparteitag am 21. Januar wurden die Weichen für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen gestellt. Das sorgt längst nicht bei allen SPD-Anhängern für Begeisterung. Quelle: dpa

Berlin Neue Mitglieder sind der sehnlichste Wunsch eines jeden Parteichefs. Doch bei der SPD schrillen angesichts der Neuzugänge die Alarmglocken. Denn es besteht kein Zweifel daran, dass die meisten Neugenossen nur in die Partei eingetreten sind, um bei der Mitgliederbefragung gegen eine Große Koalition zu votieren. Der Parteispitze passt das gar nicht. Die Leute um SPD-Chef Martin Schulz tun alles, um eine Fortsetzung der Großen Koalition möglich zu machen. Eine Umfrage des Handelsblattes unter den SPD-Landesverbänden belegt, dass vom Sonderparteitag der SPD am 21. Januar bis Anfang Februar deutlich mehr Menschen einen Aufnahmeantrag gestellt haben als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum.

Mit dem Sonderparteitag am 21. Januar wurden die Weichen für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen gestellt. 56 Prozent der 600 Delegierten gaben der Parteispitze dafür ihren Segen. Nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen, die spätestens Anfang kommender Woche beendet werden sollen, sind dann alle SPD-Mitglieder aufgerufen, über den Koalitionsvertrag abzustimmen. Die Gegner einer Neuauflage der Großen Koalition in der SPD werben gezielt Neumitglieder, die dann bei der Mitgliederbefragung gegen die Große Koalition stimmen sollen. Die Kampagne stößt auf fruchtbaren Boden.

Beispiel NRW: Der größte Landesverband der Partei hat seit dem 1. Januar 3.800 Online-Anträge auf SPD-Mitgliedschaft registriert, davon allein 3.600 Anträge seit dem 21. Januar. Hinzu kommen Anträge in Papierform, die derzeit noch nicht alle erfasst und verarbeitet sind. In der NRW-SPD heißt es, der Januar 2018 könnte „einen neuen Monatsrekord bei den Neumitgliedern für die vergangenen Jahrzehnte bedeuten“.

Beim SPD-Landesverband Sachsen hieß es am Freitag, man habe seit dem 21. Januar rund 550 Neueintritte verzeichnet. Stündlich kämen neue hinzu. „Eine derartige Eintrittswelle ist für auch für die SPD Sachsen außergewöhnlich. Auch wenn im vergangenen Jahr zahlreiche Mitglieder nach der Nominierung von Martin Schulz und der Bundestagswahl eingetreten sind, übersteigen die aktuellen Eintritte diese bei weitem“, sagte Generalsekretärin Daniela Kolbe dem Handelsblatt. Die SPD in Sachsen nähere sich bei der Mitgliederzahl einem Allzeithoch.

Die SPD in Niedersachsen hat seit dem 21. Januar 1090 neue Mitglieder verzeichnet. „Das sind jetzt keine Anträge mehr, sondern tatsächliche Neumitglieder“, sagte ein Sprecher der niedersächsischen SPD.

In Sachsen-Anhalt haben seit dem 21. Januar 230 Menschen einen Mitgliedsantrag abgeben – deutlich mehr als üblich. „In dieser Zeitspanne ist das sonst höchstens eine Handvoll“, heißt es beim SPD-Landesverband.

In Schleswig-Holstein heißt es, man werde bei den Mitgliedsanträgen die Januar-Zahlen des Vorjahres „deutlich übertreffen“.

Rekordzuwächse auch in Bayern: „Seit dem 21. Januar 2018 haben wir 2.300 Eintritte verzeichnet“, teilt der Landesverband mit. Zum Vergleich: Im Januar 2017 waren es nach Angaben des Landesverbandes 423 Eintritte.

Erstaunliche Zahlen kommen auch vom kleinen Landesverband Bremen: Die SPD an der Weser begrüßte seit dem 21. Januar mehr als 150 Neumitglieder. Im ganzen Jahr 2016 waren es nur 128.

Einige Landesverbände haben im Moment noch keine konkreten Zahlen ausgewertet oder wollen mit deren Bekanntgabe noch bis zum 6. Februar warten, das gilt beispielsweise für die Landesverbände Berlin und Rheinland-Pfalz. Der 6. Februar ist ein wichtiger Stichtag: Nur wer bis zu diesem Tag Mitglied geworden ist, darf an der Mitgliederbefragung teilnehmen.

Im Willy-Brandt-Haus, der Parteizentrale in Berlin, wächst angesichts der Entwicklung die Verunsicherung. Spitzengenossen deuten den Mitgliederzuwachs als „Kühnert-Effekt“. Juso-Chef Kevin Kühnert ist der „Mr. NoGroKo“ der SPD. Er zieht öffentlichkeitswirksam durchs Land und warnt vor einer Neuauflage des Bündnisses aus CDU, CSU und SPD. Die Jusos propagieren offensiv das Modell, noch schnell in die SPD einzutreten, um dann bei der Mitgliederbefragung gegen die Große Koalition stimmen zu können.

Gleichzeitig ist man überrascht vom Erfolg der Kampagne. Man dürfe sich keine Illusionen machen: Es sei höchst unwahrscheinlich, dass auch viele Neumitglieder eingetreten seien, um nicht gegen sondern für eine Große Koalition zu stimmen.

Rein rechnerisch könnten schon ein paar tausend zusätzliche GroKo-Gegner unter den 440 000 SPD-Mitgliedern spürbare Auswirkungen auf das Ergebnis der Mitgliederbefragung haben. Schon das Ergebnis des Sonderparteitags mit einem Zustimmungswert von 56 Prozent für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen war deutlich hinter den Erwartungen der Parteispitze zurück geblieben. Auch bei der Mitgliederbefragung könnte es knapp werden.

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