Neuer AfD-Machtkampf „Ihr öffentliches Wirken schadet der Partei“

Heftiger Machtkampf in der AfD: Der rechtskonservative Flügel um die Landeschefs Gauland und Höcke wirft dem NRW-Landesvorsitzenden Pretzell „Mauscheleien“ vor. Nun keilt der Lebensgefährte von Bundeschefin Petry zurück.

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Wegen möglicher Rechtsbrüche in seinem Landesverband unter Beschuss: Marcus Pretzell, der Lebensgefährte von Frauke Petry, der Parteivorsitzenden der AfD. Quelle: dpa

Berlin In der AfD ist der Machtkampf zwischen Anhängern von Parteichefin Frauke Petry und ihren Gegnern wieder offen ausgebrochen. Nachdem die Landesvorsitzenden von Brandenburg und Thüringen, Alexander Gauland und Björn Höcke, am Mittwoch „Mauscheleien in Hinterzimmern“ kritisierten, die dem Co-Landesvorsitzenden von Nordrhein-Westfalen und Lebensgefährten Petrys, Marcus Pretzell, zugeschrieben werden, holt dieser jetzt zum Gegenschlag aus.

„Es reicht, liebe Kollegen, Ihrer beider öffentliches Wirken schadet der Partei“, schreibt Pretzell auf seiner Facebook-Seite. Sein Landesverband werde alles tun, damit die Partei zur Landtagswahl im Mai „ungestört“ antreten könne, „hoffentlich ohne Querschüsse von Landesvorsitzenden, die im Bundestag in der AfD-Fraktion eine starke Flügelfraktion etablieren wollen“. Was es hier zu regeln gebe, regele man selbst. „Auch Spalter vom anderen Flügel, werden hier keinen Boden gewinnen.“

Anlass für den neuerlichen Streit in der AfD ist ein Bericht des Magazins „Stern“, Danach soll Pretzell und seine Anhänger bei der Aufstellung der nordrhein-westfälischen Kandidaten für die Bundestagswahl mit Absprachen ihnen genehme Parteimitglieder durchgesetzt haben. Gauland, der auch Vizechef der Bundespartei ist, und Höcke forderten eine Überprüfung. Im Bundesvorstand gilt Petry als isoliert, Pretzell gehört dem Parteigremium nicht an. Petry soll indes von allen Spitzenfunktionären den größten Rückhalt an der Basis haben.

Der „Stern“ berief sich in seinem Bericht auf eine Chatgruppe im Kurznachrichtendienst WhatsApp. Demnach wurden Wahlparteitage in NRW über WhatsApp gesteuert. Die Delegierten seien dabei „lenkbares Stimmvieh“ gewesen und hätten geheime Anweisungen der Gruppe bekommen, die sich aus Landesvorständen und anderen Funktionären zusammengesetzt habe. Es seien nur Kandidaten protegiert worden, die Pretzell gewogen seien.

Pretzell wies die Darstellung zurück. „Entgegen des durch den „Stern“ erweckten Eindrucks, war ich weder Mitglied der Gruppe noch handelt es sich um eine von mir gesteuerte Gruppe“, machte er bei Facebook unmissverständlich deutlich. Verwundert habe mich ihn aber die Stellungnahme der brandenburgischen und thüringischen Landesvorsitzenden. „Beide verfügen über meine Telefonnummer und haben sich bislang nicht bei mir gemeldet, um Aufklärung zu erfahren“, kritisierte er. „Stattdessen kommunizieren sie Statements bar jeder Kenntnis über die hiesigen Vorgänge, in denen sie den Landesverband NRW in den Schmutz ziehen.“


„Zeugnis der Instrumentalisierung der AfD für eigene Karriereziele“

Gauland und Höcke hatten in einer am späten Mittwochnachmittag verbreiteten gemeinsam verfassten Erklärung ihr „Befremden“ über die Vorgänge in der Pretzell-Partei geäußert. „Sie zeichnen das Bild eines tief gespaltenen Landesverbandes und eines Machtkampfes, der, wenn es stimmt, was behauptet wird, von einer Seite wohl auch unter Inkaufnahme unlauterer Mittel ausgefochten wird.“ Dabei habe die AfD genau das nicht sein wollen, unterstrichen die beiden, „eine Partei der Strippenzieher und der Mauscheleien in Hinterzimmern oder über soziale Netzwerke“. Die AfD sei vielmehr angetreten mit dem Anspruch, es besser zu machen als die Altparteien.

Nun müsse man aber feststellen, dass eine bestimmte Gruppe in der Partei die Werte der „Erfurter Resolution“, demokratischer, patriotischer und mutiger zu sein als die etablierten Parteien, offenbar auch heute noch nicht teile. Hinter der Resolution verbirgt sich ein im Frühjahr 2015 veröffentlichtes Strategiepapier von Höcke und dem Chef der AfD in Sachsen-Anhalt, André Poggenburg, in dem die AfD als patriotische „Widerstandsbewegung“ gegen die Aushöhlung der deutschen Identität durch „Gesellschaftsexperimente“ positioniert wird. Mit der „Erfurter Resolution“ leiteten Höcke und Poggenburg einen Rechtsruck ihrer Partei ein, in dessen Folge es im Sommer 2015 zur Spaltung der AfD durch den Austritt neoliberaler und gemäßigter Kräfte um den ehemaligen AfD-Vorsitzenden Bernd Lucke kam.

Mit Blick auf NRW kritisieren nun Gauland und Höcke, dass sich innerhalb des dortigen Landesverbands „diese Gruppe in herablassender und einer der innerparteilichen Debatte unwürdigen Art und Weise über andere AfD-Mitglieder“ äußere. „Sie arbeitet lieber mit Tricksereien, statt mit Argumenten zu überzeugen.“ Die Chatprotokolle seien „ein erschütterndes und zugleich ernüchterndes Zeugnis der Instrumentalisierung der AfD für eigene Karriereziele“. Dabei sollte es aus Sicht von Gauland und Höcke „gerade einem AfD-Mitglied eine Herzensangelegenheit sein, dass die AfD niemals Selbstzweck ist, sondern eine dienende Funktion dem Land gegenüber erfüllt“.

Pretzell hielt indes Gauland und Höcke indirekt ihre geringe Bedeutung in der Gesamtpartei vor. Er erinnerte sie daran, dass der nordrhein-westfälische AfD-Landesverband rund zweieinhalb Mal so groß sei wie beiden „Kleinverbände“ Brandenburg und Thüringen zusammen. Und er fragte Gauland, ob er es nicht gewesen sei, „der bei verschiedenen Entgleisungen einiger Parteikollegen immer alle beschworen hat, einig zusammenzustehen?“ Dem Thüringer Landesverband warf er zudem vor, vor wenigen Wochen offenbar einen „satzungswidrigen“ Landesvorstand gewählt zu haben, in dem Mitarbeiter Höckes Platz gefunden hätten.


Vernichtung von Wahlzetteln

NRW-Parteisprecherin Renate Zillessen sagte der Nachrichtenagentur dpa, der NRW-Landesverband habe seit Samstag Kenntnis über die Äußerungen in der „Whatsapp“-Gruppe. Stil und Umgangston seien äußerst fragwürdig. Es handele sich aber nach erster Bewertung überwiegend um nachträgliche Kommentare zu den bereits vollzogenen Wahlvorgängen. „Wie wir damit in der politischen Bewertung umgehen, da sind wir noch in der Diskussion.“

Für Gauland und Höcke steht außer Frage, dass der Vorgang nicht ohne Konsequenzen bleiben kann. „Angesichts der vorliegenden Dokumente vom Listenparteitag scheint fraglich, ob bei der Kandidatenwahl alles mit rechten Dingen zugegangen ist“, hieß es in der gemeinsamen Erklärung. „Darum sollte die Listenwahl von einem Schiedsgericht überprüft werden.“

Von möglichen Rechtsbrüchen bei der Aufstellung der Wahlliste für die Landtagswahl berichtet auch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Ein Mitglied der Zählkommission sagte dem Blatt am Mittwoch, es habe fünf Stimmzettel vernichtet, die in einer Urne vergessen worden waren. Dabei habe es sich um die dritte Stichwahl zwischen Frank Neppe und Michael Schild um Listenplatz drei gehandelt. Nach Informationen der FAZ liegt dem Landesvorstand eine eidesstattliche Versicherung vor, in der die Vernichtung der Wahlzettel bestätigt wird.

Ein mehr als 100 Seiten langer Gesprächsverlauf zwischen AfD-Mitgliedern in einer Whatsapp-Gruppe während des Parteitages, aus dem die FAZ zitiert, lässt zudem Zweifel an der Einhaltung des Wahlgeheimnisses aufkommen. Ein Mitglied teilte demnach mit, Neppe habe „unser OWL-Viertel 18 zu 56 verloren“. Mit „OWL“ ist offenbar Ostwestfalen-Lippe gemeint, das Wort „Viertel“ scheint sich auf eine von vier Wahlurnen zu beziehen, die in dem Saalbereich standen, wo Mitglieder aus Ostwestfalen-Lippe saßen. Ein Mitglied der Zählkommission bestätigte der FAZ, dass die vier Wahlurnen einzeln ausgezählt wurden und wegen der freiwilligen Sitzordnung im Saal Rückschlüsse möglich waren, welche Gliederungen wie abgestimmt hatten.

Nordrhein-Westfalens Co-Landesvorsitzender Martin Renner rief den AfD-Bundesvorstand auf, sich mit der Angelegenheit zu befassen. „Der Bundesvorstand hat sich mit diesen Sachverhalten auseinanderzusetzen“, sagte Renner der Zeitung. Der Landesgeschäftsführer der nordrhein-westfälischen AfD, Andreas Keith, der ebenfalls Mitglied der Whatsapp-Gruppe war, bestritt die Vorwürfe. Es sei nicht möglich gewesen, auf das Abstimmungsverhalten einzelner Gruppen zu schließen.

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