Neuer Bundesbankpräsident Ein pragmatischer Gegenspieler für Christine Lagarde

Joachim Nagel wird Nachfolger von Jens Weidmann als Bundesbankpräsident Quelle: REUTERS

Grünes Licht für Joachim Nagel: Der Volkswirt wird neuer Präsident der Deutschen Bundesbank und damit Nachfolger von Jens Weidmann. Wofür Nagel steht, was von ihm zu erwarten ist.

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Nun ist es offiziell: Der Volkswirt Joachim Nagel wird neuer Präsident der Deutschen Bundesbank. Das Bundeskabinett habe diese Personalie am Mittwoch einvernehmlich beschlossen, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Dienstag.

Joachim Nagel ist als Präsident die perfekte Wahl – für das Selbstbewusstsein der Institution Bundesbank. Zwar steht der 55-Jährige künftige Chef seit 2016 nicht mehr in Diensten der Institution in der Wilhelm-Epstein-Straße im Stadtteil Bockenheim. Zuvor hatte er allerdings fast 20 Jahre bei ihr Karriere gemacht. Als Präsident derart von seinem Arbeitgeber geprägt war zuletzt Helmut Schlesinger vor 30 Jahren. „Er ist einer von uns“, sagt ein Bundesbanker. 

Dabei ist Nagel im Haus nicht nur bekannt, sondern auch beliebt. Der Manager sei weiterhin bestens vernetzt, eine Einarbeitungszeit werde er nicht brauchen, heißt es. Und auch inhaltlich stehen die Zeichen auf Kontinuität. Nagel habe zwar ein SPD-Parteibuch, sagt einer, der ihn gut kennt. Deshalb sei er aber alles andere als ein Freund einer allzu lockeren Geldpolitik. Im kleinen Kreis habe Nagel zuletzt etwa mehrfach sehr klar die Meinung vertreten, dass die aktuelle Inflation kein vorübergehendes Phänomen sei. „Mit ihm bekommt EZB-Chefin Christine Lagarde wieder einen echten Gegenspieler“, sagt einer, der Nagel gut kennt.

Der künftige Bundesbankpräsident weiß, dass die Deutschen auf dieses Thema allergisch reagieren und wegen des rasanten Anstiegs der Teuerungsrate in den vergangenen Monaten höchst besorgt sind. Daher muss er nicht nur in seiner Kommunikation mit der Öffentlichkeit in Deutschland auf die Befindlichkeiten der Bürger achten. Um glaubwürdig zu sein, muss er ihre Interessen auch im EZB-Rat mit Nachdruck vertreten – selbst auf die Gefahr hin, dass er wie schon sein Vorgänger Jens Weidmann bei den Vertretern aus dem Süden der Eurozone aneckt.

In der Vergangenheit hat Nagel bereits klar Position bezogen: Als die EZB im März 2015 begann, Wertpapiere in großem Stil zu kaufen, warnte der damals für Märkte zuständige Bundesbankvorstand vor den Folgen, die dies für die Bilanz der EZB und damit für die Steuerzahler habe. Das Eurosystem, so Nagel, habe „kein Mandat, die Geldpolitik zur Umverteilung von finanziellen Risiken zwischen den Steuerzahlern der einzelnen Mitgliedsländer einzusetzen“. Er plädierte daher dafür, möglichst rasch aus den Anleihekäufen auszusteigen, auch um die Unabhängigkeit der Zentralbank nicht zu gefährden.

Kritisch stand Nagel in der Vergangenheit auch dem Niedrigzinsumfeld gegenüber. Dieses sei problematisch für die Banken, warnte er. Zudem reduzierten die Niedrigzinsen „den Druck auf die Regierungen, die Staatshaushalte zu konsolidieren und die Wirtschaft zu reformieren“, schrieb Nagel 2016.

Dabei dürfte es dem kommenden Bundesbankpräsidenten nicht um Opposition aus Prinzip gehen. Der an der Universität Karlsruhe in Volkswirtschaft promovierte Nagel gilt weniger als tiefschürfender Theoretiker und mehr als Mann der Praxis, der stets vom Ziel her denkt und auf dem Weg dorthin pragmatisch agiert. Dabei ist seine Kompetenz gerade bei Finanzmarktthemen in Bankenkreisen nahezu unbestritten.

EZB-Direktorin Isabel Schnabel, die selbst als Kandidatin für den Spitzenposten galt, wird mit Nagel auf einen Gesprächspartner stoßen, der ihr auf Augenhöhe begegnet. Sie ist bei der EZB für die Abteilung Märkte verantwortlich, die durch die Anleihenkäufe der Notenbanken in den vergangenen Jahren an Macht und Bedeutung gewonnen hat. Dass Nagel hier kompetent mitreden und wenn nötig Schnabel auch Paroli bieten kann, ist ein Vorteil, den externe Kandidaten, die ebenfalls für den Bundesbank-Spitzenjob gehandelt wurden, nicht haben.

Stationen bei KfW und BIZ

Sein Karriereweg bei der Zentralbank führte ihn von der Landeszentralbank in Hannover nach Frankfurt, wo er 2008 die Leitung des Zentralbereichs Märkte übernahm. Der Sprung in die erste Reihe gelang ihm dort 2010. Damals löste er im für Bundesbankvorstände fast schon jugendlichen Alter von 44 Jahren den wegen seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ in die Kritik geratenen SPD-Politiker Thilo Sarrazin ab. Schon damals waren viele davon überrascht, dass die Wahl auf einen internen Kandidaten fiel – wie es heißt auch Nagel selbst, der intern als angenehm uneitel gilt.

Während seiner Zeit bei der Bundesbank habe Nagel vertrauensvoll mit Weidmann und dem übrigen Vorstand zusammengearbeitet, heißt es in Notenbankkreisen. Auch die Mitarbeiter der Bundesbank haben Nagel als kollegialen Teamplayer in Erinnerung. Er sei stets nahbar gewesen, habe sich auf andere verlassen und sei anders als manch andere Vorstände bereit und in der Lage, Dinge zu delegieren.

2016 wechselte Nagel zur staatseigenen KfW-Bank, bei der er sich als Vorstand vor allem um das Auslandsgeschäft kümmerte. Dort fiel er unter anderem dadurch positiv auf, dass er sich lernbegierig gab und ohne weiteres einräumte, nicht mit allen Themen bis ins letzte Detail vertraut zu sein. Ein besonderer Schwerpunkt war für Nagel der Klimaschutz. Das Thema wird ihn auch künftig begleiten, schließlich hat Lagarde die Umweltförderung zu einem Ziel der EZB erklärt.  

Von der KfW wechselte Nagel dann 2020 weiter zur Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel, wo er als stellvertretender Leiter der Bankenabteilung auch für Fragen der Bankenaufsicht zuständig war. Der Einblick in die Praxis der Geschäftsbanken sei von großem Vorteil, wenn es darum geht, geldpolitische Entscheidungen zu treffen, heißt es in Expertenkreisen.

Mit einem Bundesbankpräsidenten Nagel werden sich die Machtverhältnisse im EZB-Rat nicht grundlegend ändern. Wie komplex diese sind, macht Stefan Kooths deutlich: „Gerade jenen, die für eine lockerere Geldpolitik eintreten, sollte es entgegenkommen, wenn ein Bundesbankchef geldpolitisch als so genannter Falke auftritt“, meint der Konjunkturchef und Vizepräsident des IfW in Kiel. Denn damit dämpfe er Erwartungen, dass die Inflation mittelfristig über das Ziel hinausschießt. „Und je länger die Erwartungen stabil bleiben, desto länger kann die EZB ihre derzeitige Politik durchhalten“, meint Kooths. An den Mehrheitsverhältnissen in dem Gremium ändere sich nichts.



Bei der Bundesbank ist für derartige Überlegungen derzeit wenig Platz. Insider äußern sich erleichtert darüber, dass die Bundesregierung bei ihrer Entscheidung für die Weidmann-Nachfolge Erfahrung und Kompetenz höher gewichtet habe als die Erfüllung von Geschlechterquoten. Alles andere wäre in einer konservativen Institution überhaupt nicht gut angekommen. Nun aber scheint die Welt in Ordnung zu sein.

Hinweis: Dieser Beitrag erschien zuerst am 20.12.2021. Wir haben ihn aktualisiert.

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