Neuer Generationenvertrag gefordert Top-Ökonom stellt Rentensystem infrage

Weil die deutsche Gesellschaft altert, müssen Arbeitnehmer immer mehr in die Rentenkasse einzahlen und bekommen immer weniger heraus. Bevor die Lage eskaliert, muss die Politik handeln, meint ein prominenter Ökonom.

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Rentner. Quelle: dpa

Der Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), Klaus Zimmermann, hat zur Stabilisierung der Rentenfinanzen einen neuen Generationenvertrag gefordert. „In der kommenden Legislaturperiode muss der gesamte Generationenvertrag an mehreren Stellschrauben neu justiert werden“, sagte Zimmermann Handelsblatt Online. „Es darf nicht sein, dass die ungelösten Probleme des demografischen Umbruchs einseitig auf die Schultern der jüngeren Leistungsträger abgeladen werden.“ Angesichts des jetzt „rapide“ einsetzenden demographischen Wandels sei es „höchste Zeit geworden, rasch umzusteuern“.

Zimmermann äußerte sich vor dem Hintergrund einer Studie der Ruhr-Universität Bochum im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, die am Montag veröffentlicht wurde. Die Experten rechnen darin vor, was geschehen kann, wenn die geburtenstarken Jahrgänge 1955 bis 1970 in Rente gehen. Dann werde das Niveau der Renten in Deutschland sinken und der Beitragssatz steigen müssen. Die bisherigen Rentenreformen reichten selbst bei höherer Arbeitsproduktivität durch technischen Fortschritt nicht aus, um das Rentensystem zu stabilisieren.

Größte Herausforderung für die Rentenkasse ist demnach der demografische Wandel: Der Anteil der über 65-Jährigen an der Bevölkerung werde sich von heute 30 Prozent bis 2060 auf 63 Prozent verdoppeln. Der Beitragssatz müsste folglich von heute knapp 19 Prozent auf 27,2 Prozent steigen, um 2060 ein Rentenniveau von 41,2 Prozent zu erreichen (derzeit rund 50 Prozent).

Kern der künftigen Rentenpolitik muss daher aus Sich von IZA-Chef Zimmermann sein, für Ältere Anreize zu schaffen, länger zu arbeiten. Zugleich müssten die Übergänge in den Ruhestand flexibler gestaltet werden. „Starre Altersgrenzen passen nicht mehr in die veränderte gesellschaftliche Wirklichkeit der kommenden Jahrzehnte“, sagte der IZA-Chef. Genauso werde ein Anstieg des durchschnittlichen Renteneintrittsalters dazu gehören. „Nur durch ein solches Umsteuern erreichen wir auch eine nachhaltige Finanzierbarkeit des Systems der Alterssicherung und tragen zugleich den Notwendigkeiten eines veränderten Arbeitsmarktes Rechnung“, ist sich Zimmermann sicher. Tarifparteien wie Politik seien hier gleichermaßen gefordert.

Der IZA-Chef sieht bereits ersten Handlungsbedarf in den kommenden Monaten. „Als erstes Signal sollte der Deutsche Bundestag noch in dieser Legislaturperiode die willkürlichen Hinzuverdienstgrenzen für Frührentner aufheben“, sagte Zimmermann. „Es ist fatal, dass dieser notwendige Schritt an internen Streitpunkten in der Koalition zu scheitern droht.“


FDP: Warnungen erzeugen nur Verunsicherung

Die Autoren der Studie vertreten hingegen die Ansicht, dass mit den Selbstständigen und Beamten in der gesetzlichen Rentenversicherung die Entwicklung aufgefangen werden könnte. 2060 würde den Berechnungen zufolge dann ein Beitragssatz von 24,7 Prozent für ein 50,8-prozentiges Rentenniveau reichen. Andere Maßnahmen wie eine längere Lebensarbeitszeit, mehr Frauen und ältere Menschen im Erwerbsleben sowie bessere Bildung hätten dagegen vergleichsweise geringe Effekte. Darum sei ein ganzes Bündel empfehlenswert.

„Wenn die gesetzliche Rentenversicherung trotz der älter werdenden und schrumpfenden Bevölkerung finanzierbar und leistungsfähig bleiben soll, wird das sicherlich nicht ohne steigende Beiträge gehen“, sagte der Projektleiter der Stiftung, Eric Thode. „Wir haben es aber in der Hand, woher die Beiträge kommen.“

Ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums warnte, eine Ausweitung der Versicherungspflicht führe „zu horrenden Mehrfachbelastungen einzelner Gruppen, die nur extrem schwierig zu stemmen wären“. Zudem schaffe eine Einbeziehung von Beamten und Selbstständigen neue Ansprüche. „Am langen Ende kostet es richtig viel Geld.“

Aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion entspricht ein Rentensystem für alle hingegen der modernen Arbeitsgesellschaft. Zunächst müssten aber Selbstständige in den Blick genommen werden, die überhaupt keine Pflichtversicherung für das Alter haben, erklärte die sozialpolitische Sprecherin, Anette Kramme. Manche Selbstständige sind über berufsständische Versorgungswerke abgesichert.

Der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Heinrich Kolb, nannte es mit Blick auf die Bertelsmann-Studie sehr gewagt, Voraussagen zur Entwicklung der Rentenversicherung in 50 Jahren treffen zu wollen. Die Unwägbarkeiten im überschaubaren Zeitraum seien schon groß genug. „Die Bertelsmann-Studie schafft vor allem eins: Verunsicherung“, sagte Kolb. „Und ich fürchte, das soll sie auch, um einer Bürgerversicherung den Boden zu bereiten.“

Die Einbeziehung weiterer Gruppen in die gesetzliche Rentenversicherung steigere aber nicht nur die Einnahmen, sondern auf lange Sicht auch die Ausgaben, warnte Kolb. „Nach einem kurzen Strohfeuer höherer Liquidität würden die Probleme nur noch verschärft.“ Statt über ein weiteres Hinausschieben des Renteneintrittsalters zu spekulieren, setze sich die FDP daher nach wie vor für die Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in die Rente ein. „Jeder Arbeitnehmer soll selbst entscheiden dürfen, wann er – mit Voll- oder Teilrente – in den Ruhestand wechselt.“

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