Neues Buch von Bestsellerautor Sarrazin über das Scheitern von Politik

Thilo Sarrazin spaltet mit seinen Sachbüchern das Land. Nun hat er ein viertes geschrieben – und es unterscheidet sich kaum von den anderen drei. Der Autor greift die bekannten Analysen auf und spart nicht mit Eigenlob.

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Der umstrittene Sachbuchautor hat sein viertes Buch veröffentlicht. Doch wirklich Neues findet man darin nicht. Quelle: dapd

Berlin Er hat es wieder getan. Der frühere Finanzbeamte, SPD-Politiker und Bundesbanker Thilo Sarrazin setzte sich erneut mindestens ein Jahr an den Schreibtisch und verfasste ein weiteres Buch. Wer das Erregungs- und Skandalpotenzial des ersten Werkes „Deutschland schafft sich ab“ erhofft oder befürchtet, wird enttäuscht. Sarrazin (71) greift mit seinem vierten Sachbuch auf 559 Seiten zumeist die bekannten Themen der ersten Bücher wieder auf.

„Wunschdenken. Europa, Währung, Bildung, Einwanderung – warum Politik so häufig scheitert“, so der Titel. Es geht um Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik, Integrationsprobleme, schlechte Schulen und die Probleme des Euro. Wirkliche Neuigkeiten findet man kaum, die ablehnende Einstellung Sarrazins gegenüber der Zuwanderung ist bekannt. Interessanter sind dagegen eine ganze Reihe von Schilderungen aus dem Inneren von Politik und Verwaltung, die über das ganze Buch inklusive des Anhangs verteilt sind.

Auf vielen hundert Seiten geht es aber zunächst um die Selbsttäuschung der politischen Klasse. Die allermeisten Politiker ließen sich von Hoffnungen und Erwartungen statt von Fakten und Sachkenntnis leiten, meint Sarrazin. 

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) habe zwar das Wohl der Welt im Blick, „kaum aber noch die Interessen Europas und schon gar nicht das Interesse der Deutschen an der Zukunft der eigenen Nation“, schreibt er. Deutschland müsse zu einer geregelten Einwanderungspolitik finden, die sich nach Leistungs- und Integrationsbereitschaft richte und den Zuzug aus islamischen Ländern stark begrenze.

Utopisten seien auch die Bildungspolitiker. Unterschiede in der Intelligenz von Kindern würden ignoriert und die Anforderungen für alle gesenkt, um so angebliche Chancengleichheit zu schaffen, schreibt Sarrazin. Oder Umweltpolitiker, die den (für Sarrazin notwendigen) Kampf gegen den Klimawandel durch Förderung des deutschen Sonnenstroms betreiben, obwohl Deutschland im weltweiten Vergleich nur einen geringen Bruchteil zum CO2-Ausstoß beiträgt.

Neueres und konkreteres bietet Sarrazin in den Kapiteln über politische Fehler. Viele Jahre arbeitete er als Beamter im Bundesfinanzministerium, Manager bei der Treuhand Immobiliengesellschaft TLG und der Bahn sowie Staatssekretär und Senator in Rheinland-Pfalz und Berlin. Es geht um Bonner Finanzpolitik, Verschwendung bei den früheren Staatsbetrieben Post und Bahn, Affären um den Nürburgring und die Berliner Bankgesellschaft und Schlampereien um den Flughafenbau in Berlin.


Selbstkritik sucht man vergebens

„Die Tendenz zur Fremd- und Selbsttäuschung“ sei „ein leider oft unterschätztes Wesensmerkmal der Politik“, resümiert Sarrazin. Wesentliche Merkmale der Politiker seien Unwissenheit, Überschätzung, kurzfristiges Denken, Egoismus für eigene Ziele und Selbstbetrug. 

Zum früheren Regierenden Bürgermeister von Berlin heißt es mit Blick auf den Bau des Hauptstadtflughafens: „Klaus Wowereit verstand nichts von der Konzeption, Durchführung und Steuerung komplexer Bauprojekte, verzichtete auf ausreichende fachliche Beratung zur rechten Zeit und bei den entscheidenden Fragen.“ Mit seiner wenig geeigneten Erfahrung als Jurist, Bildungsstadtrat und Abgeordneter hätte Wowereit so viel Verantwortung nicht tragen dürfen.

Ähnlich kritisiert Sarrazin Wowereits Vorgänger Eberhard Diepgen (CDU) wegen der Bankenaffäre und den früheren SPD-Finanzminister in Rheinland-Pfalz, Ingolf Deubel, der das Projekt Nürburgring übernahm.

Positive Beispiele politischen Handelns liefert der Ex-Politiker zur Finanzpolitik der 80er-Jahre unter den damaligen SPD- und CDU-Ministern, zur Schuldenbremse für die Bundesbahn, der Währungsunion und der Berliner Wohnungsbauförderung. Sein Fazit: So weit Sarrazin selbst maßgeblich beteiligt war, lief alles glänzend.

Sarrazin war zu seiner aktiven politischen Zeit berüchtigt als Zahlenkontrolleur, der pingelig nachfragte und auf Effizienz achtete – bei Großprojekten nicht die schlechtesten Voraussetzungen. Seine Erfolge als Sanierer des verschwenderischen Berliner Haushalts bestritten auch seine Gegner nicht. Probleme tauchten eher auf kommunikativen Ebenen auf.

Seit 2010 brachte es sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ trotz Entrüstungsstürmen und monatelanger Debatten über Islamkritik und Vererbung von Intelligenz auf 1,5 Millionen verkaufte Exemplare. Auch die folgenden beiden Sachbücher schafften den Sprung auf Platz eins der Verkaufslisten. Die SPD scheiterte mit Parteiausschlussverfahren, Rassismus ließ sich Sarrazin nicht nachweisen. Übertriebene Selbstkritik und fehlendes Selbstlob wird ihm aber auch nach dem neuen Buch niemand vorwerfen.

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