Neues Grundsatzprogramm Grüne 4.0 wollen Frieden mit der Wirtschaft schließen

Protestpartei, das war einmal. Die Grünen wollen sich in einer langwierigen Debatte ein neues Grundsatzprogramm geben. Heute startet sie.

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Grüne 4.0 wollen Frieden mit der Wirtschaft schließen Quelle: dpa

Berlin Die Grünen wollen es sich nicht einfach machen. Zwei Jahre lang nehmen sie sich Zeit, an einem neuen Grundsatzprogramm zu arbeiten. „2018 ist für uns das Jahr der Fragen, 2019 dann das Jahr der ersten Vorschläge“, heißt es in dem Impulspapier, das die Parteispitze zum Start der Debatte an diesem Freitag und Samstag in Berlin vorgelegt hat.

Antworten soll es zum 40. Geburtstag der Partei im Frühjahr 2020 geben. Das Ziel formuliert Parteichefin Annalena Baerbock im Handelsblatt-Interview so: „Probleme und Herausforderungen radikal zu thematisieren und an der Wurzel zu packen wie zu unserer Gründungszeit.“

Seit Ende Januar führt die 37-Jährige, die im selben Jahr geboren wurde wie die Partei gegründet, mit Robert Habeck die Bundespartei, einem Duo, das sich nichts weniger vorgenommen hat als grüne Positionen und damit auch die Partei in der Gesellschaft mehrheitsfähig zu machen. Nach den gescheiterten Sondierungen mit Union und FDP, fühlen sich die Grünen von einer Aufbruchstimmung getragen, die jetzt die Grundsatzdebatte beflügeln soll.

Das letzte Programm ist 16 Jahre alt. Damals regierten die Grünen auf Bundesebene als kleinerer Partner zusammen mit der SPD, der Kanzler hieß Gerhard Schröder, der Vizekanzler Joschka Fischer. Heute sind die Grünen kleinste Fraktion im Bundestag und bereits das vierte Mal in der Opposition gelandet. Wie kann man sich da Gehör verschaffen? Was bewirken?

Fakt ist: die Parteispitze sucht, unabhängig vom Grundsatzprogramm, nach neuen Wegen, um sich zu behaupten. Sie wollen nicht nur herumkrakelen und mit der Großen Koalition abrechnen, sondern eigene Themen setzen. Von der Taktiererei anderer Parteien wollen sie nichts wissen. „Wir wollen es anders machen“, schreibt die Parteispitze.

Es soll Spaß machen, sich mit den Grünen auseinanderzusetzen, das ist der Anspruch. Habeck, zuvor Umweltminister in Schleswig-Holstein und auch über Parteigrenzen hinweg beliebt und anerkannt, will mit der elf Jahre jüngeren Baerbock die Partei interessant machen. Da kommt die Arbeit am Grundsatzprogramm, für das sich die Grünen auch Input aus der Gesellschaft holen wollen, gerade recht. Es sollen Lösungen für die „drängendsten Probleme unserer Zeit“ entwickelt werden, heißt es zum Auftakt.

Vorerst wird diskutiert und provoziert. „Wir stehen erst am Anfang, und am Anfang stehen Fragen“, so die Parteispitze. „Wir wollen uns fordern und uns fordern lassen.“ Vor allem wollen die Parteichefs eine neue Phase einleiten. „Wir Grünen waren Protestpartei und veränderten die Politik aus der Opposition heraus. Wir waren rot-grüne Projektpartei und veränderten die Republik aus der Regierung heraus.“ Seit 2005 regiere man in den Ländern in unterschiedlichen Bündnissen, während man Bund in der Opposition sei. Jetzt sei Zeit für neue Entschlusskraft, für die vierte Phase der Grünen.

Dabei scheint es, als wollten die Grünen mehr denn je ihren Frieden auch mit der Wirtschaft machen. Anders als in der bald 40-jährigen Parteigeschichte sieht die Partei die Wirtschaft mittlerweile nicht nur als Gegner, sondern auch als Partner, etwa beim Klimaschutz. „Die Wirtschaft ist ja längst kein homogener Block mehr“, sagte Baerbock dem Handelsblatt. Es gebe viele Unternehmen, „die wissen, welche krassen wirtschaftlichen Folgen die ungebremste Klimakrise auch bei uns hätte, und im Klimaschutz Chancen sehen. Mit diesen Unternehmen müssen wir viel stärker Allianzen schmieden.“

Zuletzt war es bei den Bundesgrünen vor allem Ex-Parteichef Cem Özdemir, der sich um den Dialog mit der Wirtschaft bemüht hatte, durchaus zum Missfallen vieler Linker in der Partei. Die Aufgabe wird darum für die neue Parteispitze, die ebenso wie Özdemir dem realpolitischen Lager zugerechnet wird, nicht leicht werden. Nicht intern und auch nicht extern, denn Habeck und Baerbock machen kein Hehl daraus, dass sie die Freiheit des Marktes nicht unbedingt als Priorität sehen. Die inzwischen vorherrschende Art des Kapitalismus sei in vielen Bereichen eine primitive und zügellose, ähnlich der frühen Phase der Industrialisierung, heißt es in ihrem Papier.

Bei Schlagworten wie einer ökologischen Steuerreform, möglichen Klima- und Sozialzöllen, neuen soziale Leitplanken, wie sie in dem Diskussionspapier auftauchen, wird der alte Vorwurf, dass es sich bei den Grünen um eine Partei der Besserwisser und Bevormunder handelt, schnell wieder hochkommen. Die Parteispitze wird es schwer haben, überzeugende Antworten zu finden.

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