Neues Klageinstrument Handelsverband warnt vor „erheblichen Risiken“ durch die Musterfeststellungsklage

Union und SPD wollten bei Ausgestaltung der Musterfeststellungsklage auch die Vorbehalte der Wirtschaft berücksichtigen. Laut Handelsverbands ist das nur unzureichend geschehen.

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Damit Verbraucher für Fälle mit vielen Betroffenen wie etwa bei der VW-Abgas-Affäre neue Klagemöglichkeiten bekommen, soll die Musterfeststellungsklage eingeführt werden. Quelle: dpa

Berlin In der Wirtschaft stößt auch der nachgebesserte Gesetzentwurf zur Musterfeststellungsklage auf Vorbehalte. Der Handelsverband Deutschland (HDE) hält insbesondere die Kriterien für nicht weitgehend genug, die Verbände erfüllen müssen, um ein Musterklageverfahren in Fällen mit vielen betroffenen Verbrauchern wie beim Diesel-Skandal führen zu dürfen. Vorbehalte äußerten auch FDP und Grüne.

Die jetzt von der Bundesregierung gewählte Lösung, die Klagebefugnis im Wesentlichen an die vom Bundesamt für Justiz geführte Liste von „qualifizierten Einrichtungen“ zu knüpfen, die heute schon auf Unterlassung klagen dürfen, überzeuge nicht. „Unsere Erfahrungen mit dieser Liste bei den Abmahnungen nach dem Lauterkeitsrecht zeigen, dass Missbrauch so nicht wirkungsvoll ausgeschlossen werden kann“, sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth dem Handelsblatt. Daher habe der HDE auch eine Reform der Liste und der Eintragungsvoraussetzungen gefordert.

Die Bundesregierung habe darauf zwar mit zusätzlichen strengen Voraussetzungen reagiert. So gelte jetzt eine Mindestmitgliederzahl für die Einrichtungen. Außerdem müssten sie bereits vier Jahre in die Liste der Klageberechtigten eingetragen sein und dürften sich höchstens zu fünf Prozent aus Zuwendungen von Unternehmen finanzieren.

Das werde aber, betonte Genth, in der Praxis „keinesfalls ausreichen“, um unseriöse Verbände von der Klagebefugnis auszuschließen. „Wir befürchten daher weiterhin erhebliche Risiken gerade für kleine und mittelständische Unternehmen.“ Am effizientesten wäre es aus Sicht des HDE-Hauptgeschäftsführers, „wenn die Klagebefugnis bei einer staatlichen Stelle liegt, die dann die Klagebefugnis auch einzelnen Verbänden exklusiv und zeitlich befristet delegieren könnte“.

Damit Verbraucher für Fälle mit vielen Betroffenen wie etwa bei der VW-Abgas-Affäre neue Klagemöglichkeiten bekommen will das Kabinett am Mittwoch die Musterfeststellungsklage auf den Weg bringen. Verbraucher sollen dadurch Anspruch auf Schadenersatz bekommen können, ohne dass sie selbst einen Prozess gegen ein Unternehmen anstrengen müssen. Die Auseinandersetzung vor Gericht sollen Verbraucherschutzverbände übernehmen.

Konkret sollen Musterfeststellungsklagen dann möglich sein, wenn mindestens zehn Verbraucher ihre Betroffenheit glaubhaft machen und sich binnen zwei Monaten insgesamt 50 Betroffene in einem Klageregister anmelden. Klagebefugt sollen nur bestimmte Verbände sein: Unter anderem müssen sie mindestens 350 Mitglieder haben.

Verbraucherschützer fordern, den Umgang mit der Musterklage in der Praxis für Betroffene möglichst simpel zu gestalten. „Bei einer Musterfeststellungsklage müssen sich Verbraucher unkompliziert in das Klageregister eintragen können“, sagte der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, Klaus Müller, der Nachrichtenagentur dpa.

Es sei zu begrüßen, dass das Eintragen in das Register auch ohne Anwalt möglich sein soll. „Die inhaltlichen Anforderungen daran dürfen dann aber nicht dazu führen, dass Verbraucher letztlich doch wieder anwaltliche Hilfe brauchen“, mahnte er. „Wenn sich Verbraucher an einer Klage beteiligen möchten, müssen sie sich auch selbstständig – und ohne abgeschlossenes Jurastudium – anmelden können.“

Es sei entscheidend, dass das Gesetz, auch über den VW-Skandal hinaus, im Alltag von Verbrauchern ankomme. Massenschäden gebe es in den verschiedensten Branchen. „Versicherungen und Kapitalanlagen können genauso betroffen sein wie Energieversorgung oder Mietpreiserhöhungen. Deshalb darf nicht auf die Erfahrung und Fachkompetenz entsprechender Verbraucherverbände verzichtet werden.“

FDP und Grüne zweifeln indes an der Praxistauglichkeit der neuen Klagemöglichkeit. Der Gesetzesentwurf des Justizministeriums lasse „zentrale Fragen unbeantwortet“, sagte FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae dem Handelsblatt. Die Musterfeststellungsklagen entlasteten die Justiz „nicht bei ihren langwierigen Verfahren“, kritisierte die Grünen-Verbrauchschutzexpertin Renate Künast.

Auch die EU-Kommission will im Zuge des VW-Abgasskandals die Rechte von Verbrauchern stärken. „Wir müssen in einer globalisierten Welt, in der Konzerne einen großen Vorsprung vor Verbrauchern haben, für Chancengleichheit sorgen“, sagte kürzlich EU-Justizkommissarin Vera Jourova bei der Vorstellung ihrer Pläne für Sammelklagen.

Den Vorstoß sieht der Handelsverband-Hauptgeschäftsführer Genth mit Sorge. Es sei wichtig, dass die europäische Regelung am Ende nicht über die deutschen Vorgaben der Musterfeststellungsklage hinausgehe und dann wieder „neue Nachjustierungen“ nötig würden. „Das muss die Bundesregierung in Brüssel sicherstellen“, so Genth. „Zurzeit nämlich gehen die europäischen Pläne deutlich über das nationale Vorhaben hinaus.“

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