Nord Stream 2 Baerbocks Luftnummer gegenüber Moskau

Annalena Baerbock hat kürzlich ziemlich ausgeteilt. Die Grüne-Parteivorsitzende griff dabei niemand Unbekanntes an. Quelle: REUTERS

Mit ihrem überraschenden Angriff auf Nord Stream 2 kann die Grünen-Co-Chefin die Inbetriebnahme der Pipeline kaum stoppen und die deutsche Gas-Abhängigkeit von Moskau nicht mindern. Der politische Preis des Manövers hoch.

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Es ist schon überraschend, dass Annalena Baerbock jetzt, plötzlich, gleich mal zu Beginn der Koalitionsverhandlungen, mit aller Macht gegen die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 mobilisiert. Die Pipeline dürfe keine Betriebsgenehmigung erhalten, sagte sie zuerst der Funke-Mediengruppe, im „Tagesthemen“-Interview legte sie Mittwochabend noch einmal nach.

Analytisch hat Baerbock ja Recht: Die Gas-Pipeline ist ein geopolitisches Projekt, für die Versorgungssicherheit Deutschlands und Europas nicht entscheidend. Moskau geht’s vor allem darum, die Ukraine auch im Norden umgehen zu können, genauso wie im Süden mit der Pipeline TurkStream. Und Baerbock hat auch Recht, wenn sie Russland ein „Pokerspiel“ mit den Gaspreisen vorwirft. Und dennoch ist die Analyse im Hinblick auf Nord Stream 2 so überraschend wie wohlfeil, denn de facto kann Baerbock hier nichts gewinnen, alle politischen Entscheidungen sind gefallen. Es ist fast ein Ding der Unmöglichkeit, die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 noch zu stoppen. Im Kern ist das Projekt Symbol einer verlorenen Schlacht. Gleichzeitig wäre der politische Preis, diese Schlacht wieder aufzunehmen, extrem hoch.

Ein Hebel: Das Wirtschaftsministerium

Warum ist das so? Für die Zertifizierung der Nord Stream 2 AG als unabhängiger Transportnetzbetreiber ist die Bundesnetzagentur zuständig. Für die Genehmigung hat die Bonner Behörde, die dem Bundeswirtschaftsministerium nachgeordnet ist, bis zum 8. Januar 2022 Zeit. Grundlage der Zertifizierung ist das Energiewirtschaftsgesetz, das die ins deutsche Recht umgesetzte EU-Gasrichtlinie enthält. Die sieht eine Trennung von Netzbetreiber und Gaslieferant vor. Voraussetzung für die Zertifizierung ist auch, dass das Bundeswirtschaftsministerium der Bundesnetzagentur mitteilt, dass der Betrieb dieser Pipeline die Versorgungslage in Deutschland und Europa nicht gefährdet.

Wollte Baerbock also ihren Worten wirklich politisch Taten folgen lassen, müsste sie nun in den Koalitionsgesprächen dafür sorgen, dass die neue Koalition sich auf eine Gegenwehr gegen Nord Stream 2 festlegt. Sie müsste dafür sorgen, dass die neue Bundesregierung der Netzagentur über das Bundeswirtschaftsministerium sofort nach Amtsantritt mitteilt, dass sie die Versorgungssicherheit in Gefahr sieht. Dann wäre erst mal Schluss mit der Zertifizierung. Koalitionspolitisch ist das jedoch illusorisch, Fantasie, ganz unabhängig davon, welche Partei das Wirtschaftsministerium besetzen wird. Die SPD unterstützt Nord Stream 2, Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat das weitere Vorgehen als behördlichen, nicht politischen Prozess bezeichnet, und Manuela Schwesig, die gerade wiedergewählte Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns, in eine Verfechterin der Pipeline. In den „Tagesthemen“ verdeutlichte Baerbock, dass sie das Thema in die Koalitionsverhandlungen tragen will. Dass die SPD hier mitzieht, ist kaum vorstellbar. Eher vorstellbar ist, dass Baerbock hier mächtig Ärger hervorruft.

Selbst die Sanktionen gegen Nord Stream 2 wären überschaubar

Dabei ist nicht einmal sicher, dass selbst eine Ablehnung der Zertifizierung durch die Netzagentur viel an der Inbetriebnahme der Pipeline ändern würde.

Theoretisch sind die Sanktionen, die Nord Stream 2 fürchten müsste, selbst wenn es ohne Zertifizierung den Betrieb aufnähme, überschaubar. Das Unternehmen würde eine Ordnungswidrigkeit begehen und müsste mit einer Geldbuße im sehr verkraftbaren Bereich rechnen. Allerdings hat Nord Stream 2 zu erkennen gegeben, dass das Unternehmen nicht vorhat, ohne Genehmigung Gas fließen zu lassen.

Aber selbst wenn die Nord Stream 2 AG nicht zertifiziert würde, wäre es relativ einfach, den Betrieb einem bereits in Deutschland zertifizierten Betreiber zu übertragen. Damit würde Gazprom Baerbocks Forderung zwar entsprechen, die gesagt hat:  „Solange das ein und derselbe Konzern ist, darf die Betriebserlaubnis nicht erteilt werden.“ Aber gewonnen hätte die Grünen-Chefin am Ende wenig, denn am Gashahn würde weiter Moskau sitzen,  Nord Stream 2 wäre in Betrieb und das Gas würde nicht über die Ukraine fließen. Klar, aus Sicht der Russen wäre das vermutlich nicht Lösung 1a, sondern eher 2a. Aber die Verwerfungen wären größtmöglich.

Moskau, da gibt es kein Vertun, hat trotz des hoch kochenden Unmuts in Deutschland und Europa mit Blick auf Nord Stream 2 alle Trümpfe in der Hand. Wenn sich Annalena Baerbock hier verbeißt, riskiert sie viel, ohne viel gewinnen zu können. Im Gegenteil: Sie zwingt die Koalitionäre in spe in Scheingefechte und raubt so Energie für die Aufgaben, die ja tatsächlich angegangen werden müssen: Die Gas-Abhängigkeit Deutschlands und Europas von Russland mittelfristig zu reduzieren, durch mehr erneuerbare Energien, und den Moskauer Machtspielen Einhalt zu gebieten.

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