Nord Stream 2 Ukrainischer Gaskonzern kritisiert Altmaiers Entscheidung

Ein Mitarbeiter mit einer Sicherheitsjacke von Nord Stream 2 steht vor der Molchstation in der Gasanlandestation von Nord Stream 2. Die fast fertiggestellte Gaspipeline soll einmal 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr von Russland nach Deutschland befördern. Quelle: dpa

Im Streit um die Zertifizierung der Pipeline Nord Stream 2 greift der ukrainische Gaskonzern Naftogaz die Analyse des Wirtschaftsministeriums zur Versorgungssicherheit an.

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Es ist eine dürre Pressemitteilung, die das Bundeswirtschaftsministerium Peter Altmaiers (CDU) am Dienstagabend veröffentlicht hat – aber eine mit Wucht. Denn mit dieser Mitteilung haben die Beamten eine wichtige Hürde auf dem Weg zur Inbetriebnahme der umstrittenen Ostsee-Gas-Pipeline Nord Stream 2 aus dem Weg geräumt. „Das Bundeswirtschaftsministerium kommt in seiner Analyse zu dem Ergebnis, dass die Erteilung einer Zertifizierung die Sicherheit der Gasversorgung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union nicht gefährdet.“

Jetzt entscheidet Bonn, nicht Berlin

In dem Zertifizierungsverfahren geht es darum, dass die Nord Stream 2 AG Anträge gestellt hat, dass sie die Gas-Pipeline als so genannter Transportnetzbetreiber unterhalten darf. Den Antrag hat sie beim Wirtschaftsministerium in Berlin und bei der Bundesnetzagentur in Bonn gestellt. Das Wirtschaftsministerium musste nur prüfen, ob die Versorgungssicherheit durch diesen Betreiber gefährdet ist. De facto hat der Minister so eine Vetomöglichkeit für das gesamte Verfahren. Jetzt ist diese politische Ebene erst einmal raus, denn jetzt entscheidet nicht Berlin, sondern Bonn. Bis Anfang Januar muss die Bundesnetzagentur sich ein Urteil bilden, ob bei Nord Stream 2 der Betreiber der Pipeline so vom Gasvertrieb durch den russischen Staatskonzern Gazprom entflochten ist, dass das der EU-Gasrichtlinie und deren Umsetzung in deutsches Recht entspricht. Die EU-Kommission hat dann noch einmal zwei Monate Zeit, sich zu dem Entwurf zu verhalten.

Mit schönen Grüßen an Olaf Scholz

Das Altmaier-Ministerium hat nun verhältnismäßig schnell entschieden. An sich hätten die Beamten nach Eingang des Antrags drei Monate Zeit gehabt, also noch bis Anfang Dezember. Aber so lange wollte das Ministerium offenbar nicht warten – und erweist damit, ob gewollt oder nicht, vor allem Olaf Scholz, dem Kanzler in Spe, einen Gefallen, indem es vor allem den Konflikt zwischen den Möchtegern-Koalitionären SPD und Grüne entschärft. Die Sozialdemokraten sind Nord-Stream-2-Befürworter, die Grünen Gegner der Pipeline.

Erst vergangene Woche hatte Grünen-Chefin Annalena Baerbock Widerstand gegen das Zertifizierungsverfahren angekündigt. Hätte Altmaier die Entscheidung nun verzögert, hätte sie möglicherweise zeitlich sogar noch dem nächsten Wirtschaftsminister auf den Tisch gelegt werden können. Dieses Risiko ist jetzt abgeräumt, mit schönen Grüßen an Scholz. Konsequent ist das insofern, als dass Nord Stream 2 von der scheidenden Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Scholz durchgeboxt worden ist – und jetzt auch fast abschließend beschieden wird.

Ukrainischer Gaskonzern kritisiert Konsultationsverfahren

Dass diese Entscheidung Ärger hervorruft, war erwartbar. Denn vor allem die USA, osteuropäische EU-Staaten und die Ukraine klammern sich im Ringen um Nord Stream 2 an jede Möglichkeit, den Gasfluss durch die Ostsee noch zu verhindern – und damit auch den ultimativen Triumph des russischen Präsidenten Wladimir Putin im Gas-Schach. Am Mittwoch hat sich deshalb auch der Chef des ukrainischen Gaskonzerns Naftogaz Jurij Vitrenko kritisch zu Wort gemeldet. „Mit Bedenken“ habe er zur Kenntnis genommen, dass das Wirtschaftsministerium seine Analyse an die Netzagentur übermittelt habe. Zwar habe das Ministerium vorab einige EU-Staaten um Einschätzung geben – laut Pressemitteilung Estland, Italien, Lettland, Litauen, Österreich, Polen, die Slowakei, Tschechien und Ungarn. „Die Ukraine gehörte nicht dazu.“ Das widerspreche den gemeinsamen deutsch-amerikanischen Bekundungen vom Juli 2021 zur ukrainischen und europäischen Energiesicherheit. Im Sommer hatten Merkel und US-Präsident Joe Biden den transatlantischen Zwist über Nord Stream 2 mit einer Art Garantie für die Ukraine vorerst befriedet. Es ist durchaus eine politische Entscheidung der Beamten, die Ukraine nicht Europa im weiteren Sinn zuzurechnen. Kann man machen, muss man aber nicht.

Moskau setzt Europa immer unverhohlener unter Druck

Tatsächlich ist die Lage für die Ukraine derzeit schwierig, weil der Kreml und der russische Staatskonzern Gazprom die Energiekrise nach allen Regeln der Kunst nutzen, um das Zertifizierungsverfahren für Nord Stream 2 durchzudrücken – auf Kosten der Ukraine. Seit Monaten liefert Gazprom zwar brav und exakt alle zugesagten Mengen über das ukrainische Leitungssystem. Aber keinen Kubikmeter mehr. Immer wieder passt Gazprom bei Auktionen für eine höhere Durchleitungskapazität durch das ukrainische Netz. Gleichzeitig weist Wladimir Putin immer unverhohlener darauf hin, dass die unter den hohen Energiepreisen ächzenden Europäer gleichsam über Nacht mehr Gas bekommen könnten, wenn sie sich nur bei der Zertifizierung von Nord Stream 2 nicht so anstellen würden.

„Wir zählen auf die Bundesnetzagentur“

In der Praxis ist Moskau seinem Ziel sehr nahe, und zwar unabhängig von den Forderungen Baerbocks, unabhängig von dem Gepolter Putins, und auch unabhängig von dem Aufruf von Naftogaz-Chef Vitrenko, der sagt: „Ohne Entflechtung und Zugang unabhängiger Dritter ist Nord Stream 2 eine ernste Bedrohung für die Versorgungssicherheit Deutschlands und Europas. Wir zählen auf die Bundesnetzagentur sowie die europäischen Institutionen, sich nicht der aktuellen Erpressung mit Energie des Kreml zu beugen.“ Denn selbst wenn die Bundesnetzagentur sich gegen eine Zertifizierung von Nord Stream 2 entscheiden sollte, hat Gazprom immer noch die Möglichkeit, sich einen in Deutschland bereits zertifizierten Partner als Betreiber zu suchen. Politisch würde das zwar für einige Furore sorgen, im Ergebnis aber die Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline nicht stoppen.

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Insofern ist die jüngste Entscheidung des Wirtschaftsministeriums in sich zwar folgerichtig. Immerhin bringt Altmaier zu Ende, was diese Koalition begonnen hat. Aber sie ist auch bitter. Denn Nord Stream 2 gefährdet die Versorgungssicherheit nicht nur nicht. Sie wäre, wie deutsche Experten immer wieder angemahnt haben, für eine ausreichende Versorgung nicht einmal nötig. Und fast täglich gibt Moskau derzeit allen Mahnern recht, die davor gewarnt hatten, dass Putin seine Gas-Macht voll ausspielen werde, wenn man ihn nur lässt.

Aber diese politische Einsicht, so scheint es, kommt deutlich zu spät.

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