Nord Stream 2 Diese Pipeline wird noch für mächtig Ärger sorgen

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Zu spät oder besser zu spät als nie?

Es gibt allerdings nur zwei Varianten, wie die Bundesregierung mit der Pipeline verfahren kann. Die politischen Kosten, so weit ist das Projekt, sind bei jeder Variante immens. Variante eins würde besagen: Zu spät, das Gas ist in den Pipelines. War ein Fehler, der aber jetzt nicht mehr geheilt werden kann. Die Hoffnung würde darin bestehen, dass sich die weltpolitischen Wogen bis zum Ende der Prüfung durch die Netzagentur irgendwann im Spätsommer oder Herbst 2022 geglättet haben. Es ist ein Spiel auf Zeit, möglicherweise auch in der Erwartung, dass die Netzagentur die Nord Stream 2 AG am Ende nicht als Betreiber zulässt und ein weiterer, nichtrussischer Partner ins Boot geholt werden müsste. Das ist bislang die Scholz'sche Lesart.

Die Kosten dafür sind offensichtlich: Die Amerikaner, viele Europäer, die Grünen geißeln diese Sichtweise als weltfremd und im Kern unpolitisch. Eskaliert der Konflikt um die Ukraine, wird eine vergleichbare Position immer schwerer zu halten sein. „Ich kann mir selbstverständlich bei einer weiteren Eskalation Russlands nicht vorstellen, dass wir einfach business as usual betreiben“, sagte diese Woche Michael Roth, der neue Vorsitzendes des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Reuters-TV. „Natürlich wird das auch mögliche Auswirkungen haben auf das Nord Stream 2 Projekt.“ Roths Äußerung ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil sie von einem SPD-Politiker kommt, einem Genossen des Kanzlers.

Scholz müsste einen erheblichen Schwenk vollziehen

Die zweite Variante besagt: Besser spät die Reißleine ziehen als nie. Schluss mit Nord Stream 2. Wenn man ehrlich ist, hat zumindest in Deutschland noch niemand so genau ausbuchstabiert, was das in der Umsetzung genau bedeuten würde, weder Annalena Baerbock noch Robert Habeck. Baerbock hat mehrfach darauf hingewiesen, dass die Pipeline in der derzeitigen Form nicht den europäischen Vorgaben entspreche. Das ist eine Interpretation, eine Vorwegnahme einer möglichen Sichtweise der Netzagentur, bestätigt nur durch die im Detail aber anders begründete Verfahrensaussetzung.

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Wollten Baerbock und Habeck Ernst machen, die Pipeline zum Sicherheitsrisiko erklären und sie damit stoppen, müsste das Habeck-Ministerium einen Weg finden, den von Peter Altmaier ausgestellten Persilschein zu widerrufen. Nord Stream 2 müsste doch zum Risiko für die Versorgungssicherheit deklariert werden. Dann wäre, mit einem Schlag, Schluss. Innerhalb der Ampel scheint so ein Schritt derzeit allerdings noch nicht denkbar. Aber die Sichtweise auf Russland kann sich auch dort ändern. Scholz müsste einen erkennbaren Schwenk in Richtung der Grünen vollziehen. Zunehmende internationale Spannungen würden das gesichtswahrend erleichtern.

Auf Sanktionen dürfte Putin empfindlich reagieren

Die für die Bundesregierung einfachste Lösung wäre allerdings ein Positionswechsel der Amerikaner. Würde Washington, wie es vor allem die Republikaner im US-Senat anstreben, Sanktionen wieder einsetzen, wäre das Projekt mit einem Schlag erledigt – und die Deutschen wären so fein raus, dass zumindest innerhalb der Ampelkoalition niemand sein Gesicht verliert. Allerdings wären hier die politischen Kosten vermutlich extrem hoch: Wladimir Putin dürfte auf Sanktionen empfindlich reagieren.

Welche Variante am Ende gewählt wird? Auflösung 2022. Für die Gasversorgung in Deutschland und Europa bedeutet dieser sich hinziehende Konflikt um die Pipeline in jedem Fall nichts Gutes. Denn, so oder so: Für Russland bestehen weiterhin Anreize, den Europäern mit jedem gelieferten oder nicht gelieferten Kubikmeter Erdgas zu demonstrieren, wie abhängig sie – und vor allem die Deutschen – vom guten Willen des Kreml abhängig sind. Das Preisniveau beim Gas wird das hoch halten.

Vielleicht auch deshalb ergab eine ARD-Umfrage diese Woche: Eine Mehrheit, 60 Prozent der Bürger, sind dafür, dass Deutschland die Pipeline in Betrieb nimmt. Nur 28 Prozent sind dagegen. Allein unter den Anhängern der Grünen sind 55 Prozent gegen Nord Stream 2. Der Riss geht mitten durch die Ampel-Koalition. 

Mehr zum Thema: Diese Spitzenbeamtin entscheidet über Deutschlands geopolitisch heikelstes Projekt: Nord Stream 2

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