
Erst vor zwei Wochen passierte der Gesetzesentwurf von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) zum Mindestlohn das Kabinett. Nun hat der im Kanzleramt angesiedelte Normenkontrollrat eine Stellungnahme abgegeben, die zu einem vernichtenden Urteil kommt. In dem sechs Seiten langen Schreiben, das der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) vorliegt, heißt es, dass in dem Entwurf "die wesentlichen Aufwände (die Erhöhung der Lohnsumme durch den Mindestlohn sowie der Aufwand auf Seiten der Zollverwaltung auf Grund der Prüfungen) nicht dargestellt" würden. Die Kostenfolgen und Regelungsalternativen seien nur lückenhaft dargestellt. Der Rat mache daher "im Rahmen seines Mandats grundsätzliche Bedenken geltend", zitiert die FAZ. Den gesetzlichen Anforderungen zur Gesetzesfolgenabschätzung und Alternativenprüfung werde "nicht entsprochen", heißt es abschließend.
Der Normenkontrollrat besteht aus einem zehnköpfigen Gremium. Im Jahr 2006 wurde der Rat eingesetzt, um für "Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung" zu sorgen. Dem Bundestag werden die Stellungnahmen als Entscheidungshilfe mit den jeweiligen Gesetzesentwürfen zugestellt.
Das Expertengremium weist in seiner Stellungnahme auch darauf hin, dass der anvisierte Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde die Unternehmen in der Anfangsphase mit etwa 16 Milliarden Euro belasten dürfte. Der Rat bezieht sich hier auf eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Im Gesetzentwurf der Bundesregierung sei hingegen von Belastungen "für die Wirtschaft nur in geringem Maße" die Rede, da lediglich die Bürokratiekosten berücksichtigt würden. Darüber hinaus verweist die Bundesregierung in dem Entwurf darauf, dass die finanziellen Auswirkungen des Mindestlohn-Gesetzes "mit Unsicherheiten behaftet" seien.
Weiter kritisiert der Normenkontrollrat, dass auch der Verwaltungsaufwand für die geplanten Kontrollen zur Einhaltung des Mindestlohns nicht beziffert worden seien. In dem Gesetzesentwurf ist nur allgemein von "höheren Personal- und Sachkosten" bei der Zollverwaltung die Rede. Das Finanzministerium sei aber verpflichtet, die Kosten darzustellen, moniert der Rat.
Unvollständig wurden dem Bericht nach auch die möglichen Alternativen zum Mindestlohngesetz abgewägt. Die Regierung hätte zumindest erläutern müssen, warum das Anfangsniveau des Mindestlohns mit 8,50 Euro zum 1. Januar 2015 festgelegt werden soll. " Eine relevante Alternative wäre zum Beispiel, einen (zunächst geringeren) Mindestlohn auf Vorschlag einer unabhängigen Kommission festzulegen", heißt es in dem Schreiben. Warum diese mögliche Variante verworfen wurde, habe die Regierung nicht erklärt. Dies widerspreche den gesetzlichen Regelungen und der Geschäftsordnung der Bundesministerien.
Massive Zweifel am Nutzen des Mindestlohns





Auch die Kritik am Nutzen des gesetzlichen Mindestlohns reißt nicht ab. Nach Erkenntnissen von Arbeitsmarktforschern, die am Mittwoch veröffentlicht wurden, werden nur wenige Hartz-IV-Aufstocker von dem Mindestlohn profitieren. Von den derzeit 1,3 Millionen Aufstockern fallen voraussichtlich nur rund 60.000 aus der Jobcenter-Förderung, geht aus der Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor.
Denn die meisten Aufstocker hätten nur einen Teilzeitjob von weniger als 22 Stunden in der Woche; entsprechend gering sei trotz des Mindestlohns ihr Monatseinkommen. „Die meisten werden daher auch nach der Einführung des Mindestlohns weiter Hartz IV benötigen“, sind die Arbeitsmarktforscher überzeugt. Hinzu komme, dass der überwiegende Teil des Lohnzuwachses auf die Hartz-IV-Bezüge angerechnet werde. „Das verfügbare Nettoeinkommen der Aufstocker steigt im Durchschnitt nur um zehn bis zwölf Euro.“
Am Ende profitiert nur der Bundeshaushalt
Aufstockende Hartz-IV-Leistungen werden gezahlt, wenn das Arbeitseinkommen eines Beschäftigten nicht zum Leben ausreicht.
Deutschland
Gewinner des Mindestlohns sind nach IAB-Berechnungen hingegen der Bund und die Sozialversicherungen. Sollte die Zahl der Hartz-IV-Bezieher wegen Jobverlusten nicht steigen, würde der Mindestlohn die jährlichen Hartz-IV-Ausgaben um 700 bis 900 Millionen Euro verringern. Da dann aber die Ausgaben für Wohngeld und Kinderzuschläge steigen dürften, bleibe es bei Einsparungen von lediglich 500 bis 650 Millionen Euro. Zusammen mit Mehreinnahmen bei Sozialversicherungsbeiträgen und der Einkommenssteuer ergäbe sich eine Entlastung für die öffentlichen Haushalte zwischen 2,2 und 3,0 Milliarden Euro.
Der gesetzliche Mindestlohn ist das Kernvorhaben der SPD. Sie hatte im Bundestagswahlkampf damit geworben, dass dadurch auch die Ausgaben für Aufstocker in Höhe von jährlich über zehn Milliarden Euro deutlich verringert würden. "Ein gesetzlicher Mindestlohn ist ökonomisch richtig, weil er (...) Euch und viele andere von diesem irrwitzigen Betrag von zehn Milliarden Aufstockermitteln entlastet", sagte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück auf dem Wahlparteitag im April 2013.
Der Bundestag soll im Juni erstmals über das Gesetz beraten, die Verabschiedung ist für Juli geplant. Den Bundesrat soll das Gesetz nach der Sommerpause passieren.