Notstand Stiftung fordert Mindestpersonalschlüssel für Pflegeheime

Unter dem Pflegenotstand leiden nicht nur Pflegebedürftige, auch viele Pflegende kehren dem schweren Job den Rücken. Es sei mehr Personal nötig, sagen Experten. Doch woher nehmen?

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Im Schnitt arbeiteten ausgebildete Pflegekräfte nur 13 Jahre in ihrem Beruf. Neue Pflegekräfte werden wegen mangelnder Berufsperspektiven, schlechter Bezahlung und Arbeitsüberlastung kaum gefunden. Quelle: dpa

Berlin Die Deutsche Stiftung Patientenschutz hat die Politik aufgefordert, noch dieses Jahr einen bundeseinheitlichen Mindestpersonalschlüssel für Pflegeheime festzulegen. „Gute Pflege ist nur möglich, wenn auf den Stationen genügend Pflegefachkräfte pro Bewohner vorhanden sind“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch der Deutschen Presse-Agentur. „Liegt eine Einrichtung unter dieser Mindestvorgabe, muss es einen Aufnahmestopp oder sogar eine Schließung geben.“ Brysch geht davon aus, dass am Tage eine Pflegekraft für etwa fünf pflegebedürftige Heimbewohner zuständig sein sollte – es komme dabei immer auch auf den Pflegegrad an. Nachts sollte demnach für jede Station mindestens eine Pflegekraft zuständig sein.

Da die Leistungen aus der Pflegeversicherung nicht ausreichten, sei schon heute die Hälfte der Pflegeheimbewohner auf Sozialhilfe angewiesen, argumentierte der Stiftungsvorstand. „Will eine künftige Regierung etwas für bessere Arbeitsbedingungen und für würdige Pflege tun, müssen die Zahlungen aus der Pflegeversicherung um mindestens 500 Euro pro Monat für jeden Versicherten steigen, der ambulante oder stationäre Pflege benötigt“, sagte Brysch. Gegen finanzielle Pflegerisiken sichern sich immer mehr Deutsche ab. Aktuell gibt es rund 3,52 Millionen private Zusatzversicherungen – 61 Prozent mehr als vor fünf Jahren, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (Dienstag) unter Berufung auf Daten des Verbands der Privaten Krankenversicherung berichtete. Bei den staatlich geförderten Zusatzverträgen – nach dem damaligen Bundesgesundheitsminister „Pflege-Bahr“ genannt und mit 60 Euro im Jahr unterstützt – wird dem Bericht zufolge für das abgelaufene Jahr ein Zuwachs von mehr als fünf Prozent erwartet.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte in ihrer Neujahrsansprache Verbesserungen für die Pflegeberufe angemahnt. Auch die SPD will deren Lage verbessern. Wie das geschehen solle, ist aber weiter offen. Brysch kritisierte: „Alle wollen mehr für Pflege tun. Das Versprechen lautet: höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Doch für die Anhebung der Löhne ist nicht die Politik, sondern zuerst der Arbeitgeber verantwortlich.“ Druck sollte also über einen Mindestpersonalschlüssel aufgebaut werden.

Allerdings mangelt es auch an Fachpersonal. Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) warnt vor der Annahme, allein eine bessere Bezahlung könne den Mangel beheben. „Man muss auch über die Vergütung reden, aber es ist nicht damit getan, zusätzliche Milliardenbeträge ins System zu schütten“, sagte der für die Pflegeversicherung zuständige Vorstand des GKV-Spitzenverbands, Gernot Kiefer, der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Dienstag). „Dazu gehört auch ein neues Qualifizierungsprogramm der Bundesagentur für Arbeit, um Hilfs- und Fachkräfte für die Langzeitpflege zu gewinnen“, befand Kiefer. Von der Anwerbung ausländischer Fachkräfte hält er dagegen nichts. Das Problem damit lösen zu wollen, sei „ziemlich naiv“.

Verbesserungsbedarf sieht Kiefer auch bei Regelungen, die die Pflege durch Familienangehörige fördern sollen – etwa die bezahlte zehntägige Pflege-Auszeit vom Job oder die unbezahlte Freistellung für bis zu eineinhalb Jahre und zum finanziellen Ausgleich die Gewährung eines zurückzuzahlenden Darlehens. Die Regeln seien zu kompliziert und zerstückelt, nötig sei „eine neue, kompakte Gesetzgebung“.

Brysch unterstrich: „Viele Pflegende kehren dem Job den Rücken, weil sie an ihre körperlichen und seelischen Grenzen kommen.“ Im Schnitt arbeiteten ausgebildete Pflegekräfte nur 13 Jahre in ihrem Beruf. Neue Pflegekräfte werden wegen mangelnder Berufsperspektiven, schlechter Bezahlung und Arbeitsüberlastung kaum gefunden. Daher fehlen in den nächsten acht Jahren voraussichtlich rund 200.000 Vollzeitkräfte in der Pflege. Bis 2030 wird die Lücke Schätzungen zufolge auf bis zu 500.000 wachsen.

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