NRW-Wahl Machtkampf im Westen

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Sieben Jahre voraus

Kanzlerin Angela Merkel und CDU-Spitzenkandidat Norbert Röttgen Quelle: dapd

Freilich, was genau man sich unter dem Liberalismus der Zukunft vorzustellen habe, kann Lindner auch nicht erklären. Oder besser: Das erklärt er jedem auf verschiedene Weise. Es ist Lindners größtes politisches Kapital: das Vermögen, seine Überzeugungen zu nuancieren, sie zeitgemäß abzuschatten, ihnen einen Klang beizumischen, der der Hörerschaft gefällt. Lindner ist ein rhetorischer Charmeur.

Er sagt Bankern nichts anderes als Occupy-Bewegten. Aber er sagt es anders. Lindner ist ein Meister der Modulation. Er ist beseelt von der Grundmelodie der individuellen Freiheit – und spielt sie seinen Zuhörern immer in der Tonart vor, die gerade verlangt wird.

Vielleicht ist es das, was Lindner Röttgen voraus hat: Lindner vertritt einen Sachverhalt verschieden. Röttgen vertritt jeden Sachverhalt entschieden. Röttgen bewegt immer Meilensteine, heute diese, morgen jene, Hauptsache: Meilensteine.

Wenn die CDU eine Partei ist, die in zentralen gesellschaftspolitischen Fragen (Ökologie, Atom, Schule, Frauen) zehn Jahre hinter der Avantgarde herläuft, dann weiß sich Röttgen ihr sieben Jahre voraus. Und Angela Merkel, ihm zwei Jahre hinterher, schätzt ihn eben dafür: Röttgen ist so etwas wie ihr persönlicher Eisbrecher.

Doch Merkels Protektion und Röttgens intellektueller Schneid haben ihren Preis: Wer auf alles eine bessere Antwort weiß und sich voller Ungeduld für jeden Posten empfiehlt – um den wird es leicht einsam.

Sparen ist kein Meilenstein

Norbert Röttgen fühlt sich zum Kanzler berufen – und gewiss, ja: Man traut es ihm zu. Vor allem deshalb reicht es für ihn nicht zum Ministerpräsidenten. Sein Wahlkampf war halbherzig, taktisch, volksfern, seltsam unbeteiligt: pro Pendlerpauschale, contra Studiengebühren – früher klang auch das mal anders.

Eine Politik aus der Sicht der Kinder will er machen, das ist sein Thema: keine Schulden mehr und ökologische Nachhaltigkeit. Aber woran er sparen will in NRW, das sagt Röttgen nicht. Warum auch? Sparen ist eine Selbstverständlichkeit, kein Meilenstein. Und so etwas bewegt Norbert Röttgen nicht. Anders als die rote Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.

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