NSA-Affäre Deutsche Geheimdienste unter Erklärungsdruck

Die Bundesregierung zeigt sich empört über die Schnüffelaktionen der USA. Tatsächlich wissen die deutschen Geheimdienste aber mehr über Ausspähprogramme als bisher bekannt. Die Opposition fordert personelle Konsequenzen.

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„Der BND hat daran gearbeitet, die deutsche Regierung so zu beeinflussen, dass sie Datenschutzgesetze auf lange Sicht laxer auslegt, um größere Möglichkeiten für den Austausch von Geheimdienst-Informationen zu schaffen“ Quelle: REUTERS

Die deutschen Geheimdienste geraten in der Debatte über die US-Ausspähaffäre zunehmend unter Druck. Das Bundesamt für Verfassungsschutz räumte ein, dass es selbst ein Spähprogramm des US-Nachrichtendienstes NSA verwendet. Seine Behörde teste die Software, setze sie aber „derzeit“ nicht für ihre Arbeit ein, sagte Präsident Hans-Georg Maaßen. Der „Spiegel“ berichtet unter Berufung auf NSA-Dokumente vom Januar, der Bundesnachrichtendienst (BND) habe sich für eine laxere Auslegung deutscher Datenschutzgesetze eingesetzt, um den Austausch zu erleichtern.

Die Opposition im Bundestag reagierte empört. SPD-Chef Sigmar Gabriel brachte eine Ablösung von BND-Präsident Gerhard Schindler ins Gespräch. „Wenn es stimmt, dass der BND-Präsident die geltenden Datenschutzgesetze in Deutschland umgehen wollte, muss er abgelöst werden“, sagt er „Spiegel Online“. Linke-Chef Bernd Riexinger forderte, die Präsidenten von BND und Verfassungsschutz zu suspendieren.

Maaßen bestätigte in der „Bild am Sonntag“, dass seine Behörde testweise die NSA-Spähsoftware „XKeyscore“ verwendet, die laut „Spiegel“ neben Verbindungsdaten zumindest teilweise auch Kommunikationsinhalte darstellen kann. Es treffe aber nicht zu, dass das Bundesamt damit „in Deutschland Daten erhebt und an die USA weiterleitet oder von dort Daten erhält“.

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Laut „Spiegel“ wurde der Verfassungsschutz vor allem deshalb mit dem Programm ausgerüstet, „um dessen Fähigkeiten auszubauen, die NSA bei der gemeinsamen Terrorbekämpfung zu unterstützen“. Der BND solle den Inlandsgeheimdienst im Umgang damit unterweisen. Schindler räumte in der „Bild am Sonntag“ ein, dass der Auslandsgeheimdienst 2012 in Einzelfällen auch Datensätze deutscher Staatsbürger an die USA übermittelt habe. „Eine millionenfache monatliche Weitergabe von Daten aus Deutschland an die NSA durch den BND findet nicht statt.“

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann erklärte: „Das erschüttert die Glaubwürdigkeit der Kanzlerin bis ins Mark.“ Er kündigte an, Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) zu einer weiteren Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums einzuladen. Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sagte der „Bild“-Zeitung, die Berichte bestätigten, „dass die Bundesregierung über die massive Grundrechtsverletzung in Deutschland entweder Unwissenheit vortäuscht und ihre Mitwisserschaft verschweigt oder die Geheimdienste außer Kontrolle geraten sind“.

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe warf der Opposition im Gegenzug „Heuchelei“ vor, weil die Geheimdienstkooperation schon zu Zeiten der rot-grünen Regierung massiv ausgeweitet worden sei. Äußerungen des früheren NSA-Chefs Michael Hayden legen nahe, dass die deutschen Dienste seit langem in die umstrittenen US-Ausspähprogramme eingebunden sind. Nach seiner Darstellung hatten die USA ihre Kooperation mit den Europäern nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 massiv ausgeweitet - und keinen Zweifel an den Zielen gelassen: „Wir waren sehr offen zu unseren Freunden“, sagte er im ZDF.

Die Ausspäh- und Überwachungsprogramme der NSA, mit denen auch in Deutschland zigtausendfach Daten von Telefon- und Internetnutzern gesammelt worden sein sollen, haben weltweit für Empörung gesorgt. Einzelheiten und Umfang sind immer noch unklar. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verlangt deshalb Auskunft von den USA. Am Freitag rief sie die Vereinigten Staaten erneut auf, auf deutschem Boden deutsches Recht einzuhalten.

Ein US-Gericht verlängerte inzwischen die Genehmigung zum Sammeln von Telefonverbindungsdaten durch US-Behörden, die am Freitag ausgelaufen wäre. Normalerweise bleiben Entscheidungen des für die Überwachung der US-Geheimdienste zuständigen Gerichts geheim. „Angesichts des erheblichen und anhaltenden öffentlichen Interesses an dem Programm zur Sammlung der Telefonverbindungsdaten“ habe man sich aber zur Veröffentlichung entschieden, erklärte das Büro des obersten Chefs der US-Geheimdienste (DNI), James Clapper.

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