
Ein Jahr nach dem Start der öffentlichen Vernehmungen im NSA-Untersuchungsausschuss hat die Enthüllungsplattform WikiLeaks die Sitzungsprotokolle öffentlich gemacht. Im Internet kann man nun Mitschriften der Vernehmungen auf 1380 Seiten nachlesen, wie WikiLeaks dazu am Dienstag online mitteilte.
Bisher waren die Protokolle nicht öffentlich zugänglich, auch nicht solche der öffentlichen Sitzungen. Nun finden sich in den WikiLeaks-Dokumenten sogar Protokolle nicht öffentlicher Sitzungen. Gründer Julian Assange betonte, nur durch öffentliche Kontrolle könne der Ausschuss Transparenz und Gerechtigkeit herstellen. Der Ausschuss arbeitet die Spionageaffäre rund um den US-Geheimdienst NSA und den Bundesnachrichtendienst auf.
Der Ausschussvorsitzende Patrick Sensburg (CDU) sagte „Spiegel online“: „Für die Aufklärung der Sache sind diese Offenlegungen jedenfalls nicht hilfreich.“ Zeugen sollten unabhängig, unbefangen und frei aussagen können. „Auch müssen wir weitgehend sicherstellen können, dass sich ein Zeuge nicht indirekt auf Aussagen eines anderen Zeugen stützen kann.“
Der neue Skandal um BND und NSA
Der BND soll dem US-Geheimdienst NSA jahrelang geholfen haben, Ziele auch in Europa auszuforschen. Es geht dabei um große Datenmengen, die der BND an seiner Abhörstation in Bad Aibling abgreift und die die NSA nach europäischen Unternehmen und Politikern durchforstet haben soll. In Bad Aibling belauscht der BND internationale Satellitenkommunikation, angeblich vor allem aus Krisenregionen wie Afghanistan oder Somalia. Es ist aber nicht ganz klar, was dort tatsächlich alles abgefischt wird.
BND und NSA vereinbarten vor Jahren, dass die Amerikaner nach bestimmten Suchmerkmalen (Selektoren) Zugriff auf diese Daten bekommen - zur Terrorbekämpfung und unter Einhaltung deutscher Interessen. Die Amerikaner hielten sich aber wohl nicht an diese Vereinbarung, sondern nutzten die Daten keineswegs nur für den Kampf gegen den Terror, sondern möglicherweise auch zur Wirtschaftsspionage und für andere Zwecke, die deutschen und europäischen Interessen zuwiderlaufen.
Um aus den großen Datenmengen relevante Informationen herauszusuchen und die Kommunikation von Verdächtigen aufzuspüren, filtern sie diese nach bestimmten Suchmerkmalen - zum Beispiel E-Mail-Adressen, Telefonnummern oder IP-Adressen von Computern. Die NSA hat dem BND massenhaft solche Suchkriterien übermittelt, damit dieser die Daten aus Bad Aibling danach maschinell durchkämmt und anschließend an die USA weitergibt. Wie viele Selektoren die Amerikaner geliefert haben, ist unklar. Die Rede ist von mehreren Hunderttausend oder mehr als einer Million. Sie werden ständig überarbeitet und ergänzt.
Der BND prüft nach eigenen Angaben durchaus, was die NSA an Daten anfragt und welche Suchkriterien sie übermittelt. Und der Geheimdienst beteuert, dass er Selektoren, die deutschen Interessen widersprechen, aussortiert und keine Daten dazu liefert. Angesichts der riesigen Mengen an Daten und Selektoren sind die Prozesse aber computerbasiert. Der Grünen-Obmann im NSA-Ausschuss, Konstantin von Notz, geht deshalb davon aus, dass alles grundsätzlich automatisiert und ohne Prüfung der einzelnen Suchmerkmale abläuft. „Dieses System ist unkontrollierbar“, sagt er. „Und der BND wusste das auch.“
Der BND bemerkte schon 2005, dass die NSA in dem Wust an abgehörten Daten auch nach europäischen Zielen suchte - nach den Firmen EADS und Eurocopter und nach französischen Behörden. Nach den Enthüllungen der NSA-Affäre 2013 schaute sich der BND die Suchanfragen noch genauer an und stieß auf rund 2000 kritische Selektoren der NSA. Insgesamt hat der BND über die Jahre rund 40 000 solcher Suchkriterien der USA abgelehnt. Nach eigenen Angaben fischten die BND-Mitarbeiter diese heraus, gaben den Amerikanern dazu also keine Daten.
Doch die Linke-Obfrau im NSA-Ausschuss, Martina Renner, glaubt nicht an diese Version. „Wir gehen davon aus, dass ein Teil der Selektoren auch eingesetzt wurde.“ Wen genau die Amerikaner alles ausforschen wollten und bei welchen Stellen ihnen das in welchem Umfang gelang, ist noch unklar. Das Kanzleramt erfuhr angeblich erst vor ein paar Wochen von der ganzen Sache - nachdem der NSA-Untersuchungsausschuss nachhakte.
Ins Verhör genommen wurden bisher schwerpunktmäßig teils auch hochrangige Mitarbeiter des BND und anderer Behörden, der Telekom und der NSA. Vertreter der Öffentlichkeit dürfen bei den öffentlichen Sitzungen mitschreiben, Blogger stellen die Äußerungen auch online. Ton- oder Videoaufzeichnungen sind aber nicht erlaubt. Der Geschäftsordnungsausschuss des Bundestags hatte entschieden, dass die Veröffentlichung der Protokolle vor Abschluss der Ausschussarbeit nicht möglich sei.
Die Zeugen werden in der Sitzung von einem Anwalt begleitet. Er und auch Vertreter der Bundesregierung schreiten immer wieder ein, wenn die Abgeordneten Dinge wissen wollen, die die Regierung als vertraulich einstuft. Dann wird darauf verwiesen, dass darüber nur in nicht-öffentlicher Sitzung Auskunft gegeben kann.
Auch die Aussagen in solchen Sitzungsteilen werden nochmals in mehrere Geheimhaltungsstufen unterschieden. Nur manche Protokolle nicht-öffentlicher Sitzungen werden den Abgeordneten und ihren Mitarbeitern in digitaler Form zugänglich gemacht - die geheimeren nur auf Papierform.
Das macht es unwahrscheinlich, dass für regelmäßige Beobachter des Ausschusses wirklich brisante Informationen nun neu öffentlich werden. Dennoch gibt es in Ausschusskreisen nach der WikiLeaks-Veröffentlichung die Befürchtung, dass die Bundesregierung künftig noch restriktiver informiert als bisher schon, wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr.
SPD-Obmann Christian Flisek sagte, er habe sich immer für ein hohes Maß an Öffentlichkeit eingesetzt. „Deshalb habe ich immer wieder angemahnt, dass auch nicht-öffentliche Teile der Protokolle, die nicht geheimhaltungsbedürftig sind, zugänglich gemacht werden.“