Dass heute oft das Gegenteil passiert, das Firmen sich bewusst für die Rendite und gegen die sozialen Pflichten entscheiden, macht von Dewitz wütend. Sehr wütend sogar. Auch deshalb nimmt sie sich viel Zeit für dieses Gespräch. Das Thema ist ihr wichtig: Glaubwürdigkeit. Eben die vermisst sie bei vielen Managern, die nur riesige Gehälter einstreichen, aber nicht für ihre Fehler haften wollen. „Es wird ganz viel dazu beigetragen, dass das Vertrauen der Bürger erschüttert wird. Wem sollen sie denn noch glauben? Ob sie jetzt die Fifa anschauen oder VW – scheinbar überall wird geschummelt“, sagt sie. Von Dewitz ist jetzt richtig in Rage. „Es herrscht ein großes Misstrauen gegen Großunternehmen, gegen Politiker, gegen Vertreter dieses Systems. Das macht das System insgesamt instabil. Wenn das Vertrauen weg ist, dann treten die Briten aus der EU aus, dann erstarken Nationalisten und Populisten. Dann wird der Frust der Menschen zur Parole.“
Für die Familienunternehmerin gibt es eigentlich nur eine logische Konsequenz: das System muss umkrempelt werden. Haftung und Chance müssen wieder gekoppelt, die Verantwortung der Unternehmen für die Gemeinschaft wieder hergestellt werden – Deutschlands Wirtschaft muss wieder nachhaltiger und gemeinwohlorientierter werden, vielleicht durch ein neues Steuersystem. Was, fragt von Dewitz, wenn künftig nicht mehr nur Gewinne besteuert würden, sondern auch Engagement für das Gemeinwohl belohnt würde? „Es würde mich schon interessieren, ob es Konzernlenker gibt, die eine Verantwortung für das Erstarken von Pegida bei sich erkennen? Aber das Shareholder-Denken ist übermächtig. Ich glaube, so mancher fühlt sich gefangen in diesem System.“
Tatsächlich enden so viele Gespräche zum Thema Geld und Eliten. Am Ende geht es immer um die Verantwortung, die Einstandspflicht und das schöne deutsche Wort Bodenhaftung, dass so gut beschreibt, was sich viele Bundesbürger von ihren Wirtschaftsführern erwarten: Maß, Mitte – und das Geradestehen für die eigenen Fehler.
Bislang kamen Familienunternehmen diesem Ideal am nächsten. Menschen wie Wolfgang Grupp, der als vollständig haftender Inhaber der Trigema fordert: „Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der Leistung belohnt und Anstrengung honoriert wird, in der das Scheitern weh tut und Versagen ein Problem ist – ganz gleich, ob man reich ist oder nicht.“
Auch deshalb haben es Populisten hierzulande schwerer, als in den USA: der örtliche Mittelständler ist eben doch oft der lokale Fürst, als den ihn Reichtumsforscher Lauterbach beschreibt. Aber eben ein guter Regent, der weiß wo der Schuh drückt. Ein ehrbarer Kaufmann, der für Fehler persönlich haftet. Mit seinem Vermögen. So dachte man bisher.
Dann kam Anton August Schlecker, verdiente mit seinem Drogerie-Imperium Milliarden, schaffte diese kurz vor Toresschluss auf die Seite – nämlich zu seiner Frau – und präsentierte sich dem Insolvenzverwalter dann mittellos. In diesen Tagen steht er dafür vor Gericht. Und gibt den Arglosen: er habe die Insolvenz seines Lebenswerkes, so argumentiert er tatsächlich, ja nicht kommen sehen. Deshalb sei die Vermögensübertragung auch bitte nicht als Betrug an den Gläubigern zu verstehen – schon gar nicht als Betrug an seinen ehemaligen Mitarbeitern, den berühmten „Schlecker-Frauen“.
Nun ist also auch dieses Bild ramponiert. Und die Erzählung von der Flucht aus der Verantwortung, die so viele bei all den Winterkorns, Hoeneß‘ oder Ackermanns sehen, geht weiter. Längst, so scheint es, haben die Menschen das Gefühl, dass da eine Elite das System zu ihren Gunsten ausnutzt und Gesetze biegt. Bevor es eng wird tritt man eben ab. Und zur Not gibt’s ja noch die Manager-Haftpflicht, deren Prämien natürlich die Firma zahlt. Wie wusste doch schon Max Frisch: „Erfolg verändert den Menschen nicht. Er entlarvt ihn.“
Es gibt da diese wunderbare Geschichte, von der leider nicht mehr ganz exakt nachzuvollziehen ist, wie sie sich zugetragen hat. Aber die groben Umrisse sind bekannt. Man gibt sie gerne in Manager-Kreisen zum Besten, wenn man über die eigene Klientel lästert. Die Erzählung handelt von Thomas Middelhoff, dem ehemaligen Karstadt-Quelle-Arcandor-Huschrauber-Cote-d’Azur-Direktor, der wie kein zweiter in diesem Land für das Image des Raffkes steht, der das eigene Wohlergehen in jeder Minute seines Wirkens über das seiner Firma und seiner Angestellten stellt. Der nie genug bekam und den Konzern samt allen Mitarbeitern ruinierte.
Dieser Thomas Middelhoff also ist, so erzählt man es sich gerne, in den beginnenden 2000er Jahren als damaliger Quelle-Eigner eingeladen, an einer Branchenveranstaltung in Süddeutschland teilzunehmen. Am Vorabend treffen sich die Manager der Versandbranche zum Netzwerken. Es gibt Häppchen und Rotwein. Viele sind schon angereist, um in lockerer Atmosphäre einen Plausch zu halten. Nur Middelhoff fehlt. Stattdessen steht da ein junger Mann am Stehtisch, von dem sich nach kurzer Zeit herausstellt, dass er der persönliche Assistent des Arcandor-Chefs ist. Er ist vom Chef mit der Mercedes S-Klasse vorgeschickt worden aus Essen. Sein einziger Job: er habe Middelhoff am nächsten Morgen vom Hubschrauberlandeplatz abzuholen – den Fonds des Fahrzeugs vorgewärmt auf genau 22 Grad.