Öffentlicher Dienst Gewerkschaften kündigen Protestaktionen im öffentlichen Dienst an

Beschäftigte im öffentlichen Dienst demonstrieren in Hamburg auf dem Gänsemarkt und halten ein Transparent mit der Aufschrift „Raise your Hand for > 10,5 %“. Quelle: dpa

Sie betreuen Kinder und Kranke, zahlen Wohngeld aus oder transportieren den Müll weg – Beschäftigte des öffentlichen Dienstes. Ab heute geht es um ihr Einkommen. Flächendeckende Streiks sind möglich.

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Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland müssen sich in den kommenden Wochen auf Protestaktionen von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes einstellen. Nach dreistündigen Beratungen vertagten Gewerkschaften und Arbeitgeber ihre Tarifverhandlungen für Bund und Kommunen, wie Verdi-Chef Frank Werneke am Dienstag in Potsdam mitteilte. In welchem Umfang Arbeitskampfmaßnahmen notwendig seien, hänge vom Verlauf des zweiten Verhandlungstermins am 22. und 23. Februar ab. „Einzelne Aktionen wird es sicherlich bereits im Vorfeld des zweiten Verhandlungstermins geben.“ Der Chef des Beamtenbunds dbb, Ulrich Silberbach, sagte: „Wir werden Begleitmusik starten. Deswegen bitten wir heute schon um Verständnis, wenn es an der einen oder anderen Stelle Beeinträchtigungen geben wird.“

Werneke betonte, die Gewerkschaften erwarteten zum zweiten Termin „ein konkretes Angebot“ der Arbeitgeberseite. Trotz der aktuellen Inflation würden die Arbeitgeber „die Notwendigkeit, die gestiegenen Preise auszugleichen, nicht anerkennen“, sagte Werneke. „Da haben wir einen absoluten Dissens.“ Die gestiegenen Belastungen der Beschäftigten würden zwar anerkannt, aber ohne darauf tatsächliche Antworten zu geben. „Es ist richtig Druck auf dem Kessel“, so Werneke.

Verhandelt wird über die Einkommen unter anderem von Müllwerkern, Erzieherinnen, Krankenschwestern, Juristen, Busfahrern. Tausende Berufe sind betroffen – auch Feuerwehrleute, Altenpflegerinnen, Klärwerksmitarbeiter, Förster und Ärzte. Entsprechend groß könnten Auswirkungen von Warnstreiks für die Bürgerinnen und Bürger sein.

Flächendeckende Warnstreiks möglich

Bereits zum Jahreswechsel hatte Werneke von einem ungewöhnlich großen Engagement der Beschäftigten in dieser Tarifrunde berichtet. „In den fast 22 Jahren, in denen ich nun dem Verdi-Bundesvorstand angehöre, habe ich noch keine so große Entschlossenheit der Beschäftigten wie heute erlebt, sich aktiv in die Tarifbewegung einzubringen”, sagte Werneke der Deutschen Presse-Agentur. Direkt nach Verhandlungsstart sei die Arbeitnehmerseite „aktionsfähig”. Warnstreiks würden „den gesamten öffentlichen Dienst” betreffen, kündigte Werneke in der „Süddeutschen Zeitung” an.

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Bei der bisher letzten Tarifrunde für Bund und Kommunen waren 2020 unter anderem Kliniken, Kitas, Nahverkehr oder Sparkassen von Ausständen und Protestaktionen betroffen. Damals fielen die Warnstreiks im Vergleich zu früher moderat aus, was vor allem auf Vorsichtsmaßnahmen wegen der Corona-Pandemie zurückging.

Mehr als zehn Prozent gefordert

Verdi und der dbb fordern 10,5 Prozent mehr Einkommen, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat. Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) hatte bereits nach der Präsentation der Forderungen im Oktober eine Umsetzung als „schlicht nicht leistbar” bezeichnet. „Wir haben Verständnis für die Sorgen der Beschäftigten angesichts der aktuell hohen Inflation, aber auch die kommunalen Arbeitgeber befinden sich in einer enorm schwierigen Lage”, so VKA-Präsidentin Karin Welge, SPD-Oberbürgermeisterin von Gelsenkirchen.

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Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die seitens des Bundes die Verhandlungen führt, erwartet zum Start der Tarifrunde für den öffentlichen Dienst schwierige Gespräche. „Die Forderungen der Gewerkschaften sind hoch und sie treffen auf eine angespannte Haushaltslage, insbesondere auch in den Kommunen.”, sagte die SPD-Politikerin am Dienstag in Potsdam, wo beide Seiten zum Auftakt der Beratungen zusammengekommen waren. Deswegen würden es „schwierige Verhandlungen“, sagte Faeser.

Inflation und Reformdruck

Neben der Inflation zählen die krisenbedingt gestiegenen Anforderungen im öffentlichen Dienst zu den besonderen Umständen dieser Verhandlungen. Es gebe eine „lange Liste der Reformen auf Kosten kommunaler Beschäftigter”, sagte Welge der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung”. Mehr Aufwand bringen etwa das gestiegene und ausgeweitete Wohngeld und das zum 1. Januar eingeführte Bürgergeld.

Werneke sieht auch in dem im Vergleich zu 2022 wohl etwas nachlassenden Inflationsdruck in diesem Jahr keinen Grund zur Entspannung. Der Verdi-Chef bekräftigte in der „Süddeutschen Zeitung”, dass der reale Lohn ohne Tariferhöhung um bis zu 14 Prozent schrumpfen würde. Zum Jahreswechsel war er noch von 16 Prozent ausgegangen.

Mit einem Anstieg um 7,9 Prozent hatte die Bevölkerung in Deutschland im vergangenen Jahr den stärksten Preisschock seit Gründung der Bundesrepublik erlebt. Zum Ende dieses Jahres hofft Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nun auf eine Teuerungsrate unter fünf Prozent.




Milliardenkosten für Kommunen und Bund

Zu den weiteren Forderungen der Gewerkschaften zählt eine Laufzeit von zwölf Monaten. Auszubildende, Studierende sowie Praktikantinnen und Praktikanten sollen monatlich 200 Euro mehr erhalten. dbb-Chef Silberbach forderte ein konkretes Angebot bereits in der ersten von drei geplanten Verhandlungsrunden. Das Tarifergebnis soll aus Sicht der Gewerkschaften ohne Abstriche auf Beamtinnen und Beamte, Richterinnen und Richter sowie Soldatinnen und Soldaten übertragen werden. Für die Tarifbeschäftigten des Bundes und der Kommunen geht es um den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD).

Laut VKA würden die Kosten für das geforderte Lohnplus bei den kommunalen Arbeitgebern mit rund 15,4 Milliarden Euro zu Buche schlagen. Beim Bund wären laut Innenministerium Mehrkosten von rund 1,4 Milliarden Euro pro Jahr die Folge, bei Übertragung auf die Beamten, Richter und Soldaten von 4,7 Milliarden. Die voraussichtlich entscheidende dritte Verhandlungsrunde ist für 27. bis 29. März angesetzt.

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Der Deutsche Städte- und Gemeindebund forderte einen Abschluss „mit Augenmaß”. Die Finanzlage der Kommunen entwickele sich dramatisch, warnte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Natürlich wird es einen Gehaltszuwachs geben müssen, da auch die Beschäftigten unter der hohen Inflation leiden”, sagte er. „Gleichzeitig sollte jedoch auch ein Schwerpunkt sein, die Arbeitsbedingungen weiter zu verbessern, etwa mit noch mehr flexiblen Arbeitszeitmodellen, sodass es vielleicht gelingt, auch mehr Teilzeitbeschäftige zu einer Erhöhung ihrer Arbeitszeit zu bewegen.”

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