Öffentlicher Dienst Wer von den Tarifverhandlungen am meisten profitieren könnte

Die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst beginnen. Die Chancen stehen gut, dass Müllmänner besser wegkommen als Verwaltungsjuristen.

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Die Angestellten in den unteren Einkommensgruppen des öffentlichen Dienstes könnten überproportional von einer Tariferhöhung profitieren. Quelle: dpa

Berlin Tarifverhandlungen sind immer auch ein Instrument der Umverteilung. Vom Faktor Kapital hin zum Faktor Arbeit. Von den Besserverdienern hin zu den Geringverdienern. Von Männern hin zu Frauen. Das ist im öffentlichen Dienst nicht anders.

Zwar geht es hier nicht um das Geld von Aktionären, das verteilt wird, sondern um das Geld der Steuerzahler. Doch wer das größte Stück vom Kuchen bekommen soll, darüber lässt sich auch in den Verhandlungen für die rund 2,2 Millionen Tarifbeschäftigten des Bundes und der Kommunen trefflich streiten, die an diesem Montag in Potsdam beginnen.

Zwei Positionen prallen hier aufeinander – und beide haben mit der Frage zu tun, wie der öffentliche Dienst als Arbeitgeber, der mit der Privatwirtschaft um Berufsnachwuchs konkurriert, attraktiv bleiben kann.

Die Gewerkschaften Verdi und dbb Beamtenbund und Tarifunion legen vor allem Wert auf eine soziale Komponente. Sie fordern sechs Prozent mehr Geld für die Beschäftigten – mindestens aber 200 Euro. Untere Entgeltgruppen würden damit überproportional von einem Abschluss profitieren.

Und zwar deutlich, wie die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) vorrechnet: Denn bis zur Entgeltgruppe 4 würde die soziale Komponente Löhne und Gehälter im Schnitt um neun Prozent ansteigen lassen, in der Spitze sogar um 11,4 Prozent. Müllwerker, Kanalarbeiter, Reinigungspersonal oder Verwaltungsangestellte mit einfachen Aufgaben könnten sich also besonders über einen solchen Abschluss freuen. „Durch höhere Löhne und Gehälter die Kaufkraft in Deutschland zu stärken, ist nicht nur gerecht, sondern auch wirtschaftspolitisch vernünftig“, heißt es bei Verdi.

Doch die VKA hält wenig von einer sozialen Komponente. „Im Hinblick auf die Personalgewinnung von Fach- und Führungskräften muss der öffentliche Dienst gerade für den Beschäftigten in den oberen Entgeltgruppen Perspektiven bieten“, argumentieren die Arbeitgeber. Kommunen haben heute Schwierigkeiten, Investitionsmittel zu verbauen, weil in den Ämtern Planer oder Ingenieure fehlen. Gerade bei den höherbezahlten Tätigkeiten hat der Staatsdienst im Werben um Berufsnachwuchs aber oft das Nachsehen gegenüber der Privatwirtschaft.

Tatsächlich haben die Gewerkschaften schon in vergangenen Tarifrunden durch Mindest- oder Sockelbeiträge vor allem untere Entgeltgruppen bedient. So verdiene ein Müllwerker in der Entgeltgruppe 3 heute in der Endstufe 2.629 Euro im Monat – 31,8 Prozent mehr als vor 2007, argumentiert die VKA. Das Entgelt einer erfahrenen Verwaltungsjuristin sei in der gleichen Zeit dagegen nur um gut 29 Prozent auf heute 5.524 Euro gestiegen.

Jobverluste drohen

Die VKA warnt zudem vor Jobverlusten im öffentlichen Dienst, sollten die Entgelte in unteren Lohngruppen weiter überproportional angehoben werden. Denn gerade im Servicebereich kommunaler Kliniken, im öffentlichen Nahverkehr oder der Entsorgungswirtschaft sei der Wettbewerbsdruck schon heute hoch.

So verdiene ein Busfahrer in der Privatwirtschaft heute durchschnittlich 2.146 Euro, im öffentlichen Dienst dagegen 2.455 Euro. Sollten die Gewerkschaften ihre Lohnforderung mit sozialer Komponente durchsetzen, würde der Verdienstabstand auf knapp 24 Prozent anwachsen, argumentiert die VKA: „Im Ergebnis bewirkt die soziale Komponente den Abbau attraktiver öffentlicher Arbeitsplätze und ist für die Betroffenen unsozial.“

Der Nachwuchsgewinnung soll zudem die von den Gewerkschaften geforderte Erhöhung der Ausbildungs- und Praktikumsvergütungen um 100 Euro im Monat dienen. Sie würde aber laut VKA einer prozentualen Erhöhung zwischen sechs und elf Prozent entsprechen – und könnte die Bereitschaft der kommunalen Betriebe dämpfen, über den Eigenbedarf hinaus auszubilden.

Gestritten wird in der Tarifrunde auch darüber, inwieweit der öffentliche Dienst bei der Bezahlung überhaupt noch einen Nachholbedarf gegenüber der Privatwirtschaft hat. Verdi bemängelt, dass die Gehaltsentwicklung der Staatsdiener seit der Jahrtausendwende um vier Prozent hinter der der Beschäftigten in Privatunternehmen zurückgeblieben ist.

Anders sieht es allerdings aus, wenn man den Zeitraum seit der Finanzkrise betrachtet. Zwischen 2008 und 2017 seien die Löhne bei Bund und Kommunen nominal um 30 Prozent gestiegen, in der Gesamtwirtschaft im gleichen Zeitraum nur um 25 Prozent, argumentiert die VKA. Hier kommt es also vor allem auf das Ausgangsdatum des Vergleichs an.

Auch wenn es dieses Mal um eine reine Entgeltrunde geht, wird der Abschluss nicht einfach. Sollten sich die Gewerkschaften mit ihren Forderungen durchsetzen, würde das eine Zusatzbelastung von 6,5 Milliarden Euro jährlich bedeuten, argumentiert die VKA. Das vergangene Jahr schlossen die Kommunen mit 8,8 Milliarden Euro Überschuss ab.

Auch die kommunalen Steuereinnahmen sollen bis 2022 um jährlich fünf Prozent steigen. Doch trotz der guten Gesamtlage mussten fast 40 Prozent der deutschen Kommunen in den letzten drei Jahren ein Haushaltssicherungskonzept oder Haushaltssanierungspläne aufstellen. Und die Verschuldung der Städte und Gemeinden liegt mit 141 Milliarden Euro immer noch auf sehr hohem Niveau. Entsprechend klein ist der finanzielle Spielraum für Entgelterhöhungen aus Sicht der Arbeitgeber.

Neben den höheren Entgelten und Ausbildungsvergütungen wollen die Gewerkschaften unter anderem noch mehr Urlaub für Schichtarbeiter und Auszubildende, eine Angleichung des Bemessungssatzes für die Jahressonderzahlung in Ost und West und eine Verlängerung der Regelungen zur Altersteilzeit durchsetzen.

Als weitere Verhandlungstermine sind der 12./13. März und der 15./16. April vorgesehen. Die Gewerkschaften fordern, dass der Tarifabschluss am Ende auch auf die gut eine halbe Million Beamten und Versorgungsempfänger des Bundes übertragen wird. Der geschäftsführende Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat die Kosten für den Bund in diesem Fall auf mehr als zwei Milliarden Euro pro Jahr beziffert.

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