So lange wir nicht auf unserem heimischen Markt ökologische Produkte einführen, können wir auch nicht den Import der Waren aus dem Ausland beeinflussen. Wenn wir aber einen Markt schaffen, der klare Regeln für die Qualität und Standards von Produkten festlegt, hat das auch Auswirkungen auf die Produktion im Ausland. Die Chinesen etwa würden natürlich alles tun, um unsere Vorgaben zu erfüllen. Sie brauchen Europa als Markt. Möglicherweise könnten sich sogar die Amerikaner bewegen, wenn sie bemerken, vom Rest des Weltmarktes abgekoppelt zu werden.
Wer legt die Standards fest und überprüft sie?
Wir brauchen eine unabhängige Institution, die Kennzeichnungen für die Ressourcenintensität für Güter und Dienstleistungen festlegt, und alle gesetzlichen Vorhaben der Regierung prüft, ob sie einer materiellen Verschlankung der Wirtschaft dienen oder nicht. Natürlich auch für Brüssel. Das fängt bei der Mausefalle an und hört beim Smartphone, dem Auto, und auch dem Windrad nicht auf. Technisch ist das machbar: Es gibt einfache Wege, um die Umweltverträglichkeit von Produkten festzustellen. Das hört sich bürokratischer und komplizierter an, als es ist.
Streitpunkte beim TTIP
US-amerikanische Fleischhersteller legen geschlachtete Hühnchen und viele andere Schlacht-Tiere für ein bis drei Stunden in chlorhaltige Desinfektionsbäder oder besprühen sie mit hochdosierter Chlor-Lösung. Das finden die meisten Europäer widerlich. Und so avancierten die „Chlorhühnchen“ und ihr möglicher Import zum Inbegriff aller Übel, die Verbrauchern durch die TTIP-Verhandlungen drohen könnten. Dieses transatlantische Abkommen soll den freien Handel zwischen den USA und Europa erleichtern. Tatsächlich ist eine solche Chlorbehandlung für Fleisch in Europa bisher nicht zulässig. Die Sorge: Durch die Behandlung könnten gesundheitsschädliche Chlorverbindungen entstehen.
Tipp für den Haushalt: Weil bei nicht entkeimtem Geflügel die Möglichkeit einer Salmonellen-Infektion besteht, sollte das Fleisch gut durchgebraten werden. Messer und Brettchen, die mit dem rohen Fleisch in Kontakt kamen, gut abwaschen und keinesfalls für andere Lebensmittel wie die Zutaten für den Salat benutzen. Hände waschen!
Auch Salat, Gemüse und Obst darf in den USA mit Chlorwasser behandelt werden. In Europa ist das – wie auch das schwache Chloren des Trinkwassers – nicht generell verboten. Der gezielte Einsatz von Chlor zur Desinfizierung von Obst und Gemüse muss in der EU aber genehmigt werden, wofür jedes Land selbst zuständig ist. So verbieten Deutschland, Österreich und Dänemark das Chlorieren des Salat-Waschwassers. Belgien und Frankreich gestatten es in sehr geringen Maße. Die Dosis ist aber viel niedriger als bei der US-Chlordusche für Hühnchen.
Tipp: Gerade der fertig geschnibbelte, verzehrfertige Salat ist eine echte Keimbombe und ebenso empfindlich wie rohes Hackfleisch. Denn durch das Schneiden werden die Pflanzenzellen verletzt, so dass Zucker und andere Nährstoffe austreten – Mikororganismen leben dort wie im Paradies. Deshalb gehört Fertigsalat in den Kühlschrank und sollte nach spätestens drei Tagen gegessen sein.
Um Keime abzutöten, benutzen Hersteller vor allem von Obst, Gemüse, Gewürzen oder Meeresgetier schwach ionisierende Strahlung, was vor einigen Jahren für heftige Diskussionen sorgte. In USA werden zudem auch Fleischprodukte wie das Hackfleisch für Hamburger so behandelt. Das Bestrahlen ist aber auch in einigen europäischen Ländern gestattet, zum Beispiel in Belgien, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Tschechien, Polen und in Großbritannien. In Deutschland ist diese Methode nur für getrocknete aromatische Kräuter und Gewürze erlaubt. Allerdings dürfen bestrahlte Erdbeeren, Pilze oder Zwiebeln aus anderen Ländern auch in Deutschland angeboten werden, müssen aber gekennzeichnet sein. Selbst eine Tiefkühlpizza, die mit bestrahltem Pfeffer gewürzt ist, muss auf der Zutatenliste den Hinweis „bestrahlt“ oder „mit ionisierenden Strahlen behandelt“ tragen. Auch in Restaurants oder Kantinen müssen die Kunden durch Aushang oder Hinweise auf der Speisekarte darüber informiert werden – jedenfalls lautet so die Gesetzgebung.
Moderne Molkereibetriebe haben heute sehr strenge Wareneingangskontrollen. Hier wird geprüft, ob die Rohmilch mit Keimen oder Medikamentenrückständen belastet ist. Früher war es dagegen durchaus möglich, die Milchchargen, die zum Beispiel durch die Milch von Kühen mit eitriger Euterentzündung nicht für die Frischmilch taugten, zu H-Milch zu verarbeiten. Das entsprechende Behandlungsverfahren – das sogenannte Ultrahocherhitzen – macht jeglichen Keimen den Gar aus, so dass keine Gesundheitsgefahr bestand. Appetitlich war das trotzdem nicht.
In den USA sind Hormone als Wachstumsbeschleuniger zugelassen. In Europa ist das verboten und der Import von solchem Fleisch nicht erlaubt.
In den USA werden große Mengen gentechnisch veränderten Sojas, Mais und Raps und hergestellt und ohne Kennzeichnung verkauft. In Europa ist eine Kennzeichnung vorgeschrieben, wenn der Anteil des gentechnisch veränderten Organismus (GVO) über 0,9 Prozent liegt.
Während es in Europa ganz selbstverständlich ist, aus unbehandelter Milch leckere Käsesorten wie Camembert, Brie, Roquefort oder Emmentaler herzustellen, graut es hier – wegen der möglichen Keimbelastung – die amerikanischen Verbraucher. Deshalb müssen alle aus Europa in die USA exportierten Weichkäse aus pasteurisierter Milch hergestellt werden. Zuletzt erklärte die US-Gesundheitsbehörde FDA im vorigen Jahr auch den aus Nordfrankreich stammenden orangefarbenen Hartkäse Mimolette für ungenießbar: Besonders ekelhaft fanden die FDA-Prüfer die Rinde des Käses. Sie wird zwar nicht mit gegessen, aber auf ihr leben mikroskopisch kleine Milben. Sie verhelfen dem Käse zu seinem leicht nussigen Aroma.
In den USA werden inzwischen Hochleistungsrinder von Züchtern mit der selben Methode geklont, die erstmals beim Schaf Dolly 1996 erfolgreich war. Da es sich aber um sehr wertvolle Zuchttiere handelt, kommt deren Fleisch selbst in Amerika allerdings in der Regel nicht in den Handel, sondern nur die Steaks ihrer traditionell gezüchteten Nachkommen.
Sowohl in den USA wie in Europa sind Antibiotika in der Tierzucht nicht mehr als Mastbeschleuniger erlaubt, sondern nur noch um kranke Tiere zu behandeln. Theoretisch jedenfalls. Die Kontrolle ist allerdings schwierig – und sie liegt in den Händen derselben Tierärzte, deren Geschäft es ist, den Bauern Tierarzneimittel zu verkaufen. So wurden laut Bericht des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) im Jahr 2011 gut 1.734 Tonnen Antibiotika von der pharmazeutischen Industrie an Veterinäre geliefert. Im Jahr 2012 bekam beispielsweise ein Masthähnchen durchschnittlich an zehn seiner 39 Lebenstage Antibiotika – und das sei nach Aussage des Bundesverbandes Naturkost Naturwaren die Regel, nicht die Ausnahme. Allerdings ist die Belastung mit Antibiotika beim Fleisch in Deutschland nach Angaben des BVL rückläufig. So wurden im Jahr 2012 im Rahmen des Nationalen Rückstandskontrollplans 58.998 Proben untersucht. Davon waren 268 positiv, wurden also beanstandet. Der Prozentsatz der ermittelten positiven Rückstandsbefunde war mit 0,45 Prozent etwas niedriger als im Jahr 2011. Damals waren 0,56 Prozent und im Jahr 2010 noch 0,73 Prozent der untersuchten Planproben mit Rückständen belastet.
Wie schwer die Kontrolle von Lebensmittelgesetzen auch in Europa ist, zeigte der Lasagne-Skandal Anfang des vorigen Jahres. Damals tauchten massenweise falsch deklarierte Tiefkühlprodukte wie Lasagnen, Canneloni oder Moussaka in den Supermärkten auf. Deren Hackfleischfüllungen bestanden nicht nur aus Schwein oder Rind, sondern auch aus Pferdefleisch. Das ist zwar grundsätzlich sogar gesund, aber nicht jedermanns Sache. Weil die geschlachteten Pferde zudem keinerlei offiziellen Kontrollen unterlagen, fanden die Prüfer in diesen Tiefkühlwaren allerlei unzulässige Medikamentenrückstände.
In Deutschland werden zwar Innereien wie Leber und Niere oder die Zunge vom Rind gerne gegessen, Schweinefüße kommen hierzulande allerdings nicht auf den Tisch. Solche sogenannten Nebenprodukte von gesund geschlachteten Tieren werden aber in Länder exportiert, wo sie als Delikatesse gelten, zum Beispiel nach China. Das Problem, das Verbraucherschutz-Organisationen damit haben: Diese Nebenprodukte unterliegen nicht mehr den Lebensmittelbestimmungen, so dass es beispielsweise passieren könne, dass die Kühlkette nicht eingehalten wird.
Sie haben gerade die USA und ihr Drängen auf den europäischen Markt erwähnt. Wie bewerten Sie die Verhandlungen Europas mit den Amerikanern über ein Freihandelsabkommen?
Was man erfährt, scheint das eine Katastrophe. Die USA haben in den vergangenen 30 bis 40 Jahren bewiesen, dass sie nur ein Interesse haben: die Stärkung ihrer eigenen Wirtschaft. Sie werden sich nicht an europäische Sozial- und Umweltstandards halten. Wer das anders sieht, ist naiv! Da können die USA in den Verhandlungen noch so oft und freundlich das Gegenteil behaupten. Denken Sie mal an die vorsätzlichen Täuschungen im Zusammenhang mit der NSA-Affäre! Ich habe, als ich noch bei der OECD war, viele Gespräche mit US-Vertretern geführt. Ich kann Ihnen sagen: Die USA wollen keine öffentliche Diskussion, und alles deutet darauf hin, unsere Regierung auch nicht. Mit 28 Länderinteressen auf der Seite Europas wird auch die spätere Reparatur eines fehlerhaften Abkommens fast unmöglich, solange auch nur ein EU Land vom Handelsabkommen profitiert.
Sie glauben wirklich, die USA würden die Vereinbarungen Schritt für Schritt unterlaufen?
Oh ja. Davon bin ich fest überzeugt. Ob die USA vereinbarte Standards und Regeln einhalten oder nicht, wird dann wohl, wie bisher, vor der Welt Handels Organisation gerichtlich entschieden. Dort schließt die Definition für die Umweltgefährlichkeit von Handelswaren den Ressourcenverbrauch nicht ein. Ihre Ziele sind im Übrigen auch nicht neu. Nehmen Sie das Kyoto Protocol der Vereinten Nationen zum Klimaschutz. Es wurde zwar von den USA vor Jahren unterschrieben. Aber längst haben ihre wirtschaftlichen Interessen dafür gesorgt, dass es in Washington nicht ernst genommen wird. Ganz im Gegenteil. Das CO2 treibende Fracking wird seither massiv gefördert. Interessant ist auch die Diskussion um den Einschluss des Investitionsschutzes. Die USA haben über die OECD Anfang der 1980er-Jahre schon versucht, ein Klagerecht für US-Unternehmen zu erreichen, sollten sich Gesetze im Gastland geschäftsschädigend auswirken. Das wurde bei der OECD damals abgelehnt. Viele Mitgliedsländer empfanden die Forderungen als einen Affront. Nun kommen diese Forderungen wieder auf, im Namen des Wachstums! Die Europäer müssen wirklich aufpassen. Und noch eine grundsätzliche Sache stört mich am TTIP.